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Die Pflicht geht, der Zwang kommt

Altersvorsorge: Ab in die Pflichtversicherung?

Ursula von der Leyen will alle Selbstständigen zur Altersvorsorge zwingen. Kleine Handwerksbetriebe könnte das belasten.

Es ist, als ob ein toter Vogel mit den Flügeln schlägt", sagt Heidi Prigge von der Fliesenlegerei Jens Prigge in Wohnste (Landkreis Rotenburg). "Die Rentenkasse braucht Geld und jetzt schaut sie, von wem sie noch etwas bekommen kann", ergänzt die Unternehmerfrau.

Ganz anders liest sich die Begründung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) zu seinen Plänen, Selbstständige ab dem kommenden Jahr zur Altersvorsorge zu verpflichten. Man wolle der "möglichen Abhängigkeit von Grundsicherungsleistungen im Alter" entgegenwirken, geht aus dem Eckpunktepapier des Ministeriums hervor. Arbeitsministerin von der Leyen will alle Selbstständigen, für die keine Ausnahmeregelung greift, in der gesetzlichen Rentenversicherung unterbringen.

Die Pflichtversicherung geht, der Zwang kommt – lesen Sie Seite 2.

"Wir wollen selbst entscheiden"

Solche Ausnahmen sind beispielsweise die Über-50-Jährigen, Unternehmer in der Existenzgründungsphase und nebenberuflich oder geringfügig verdienende Selbstständige. Auch für Selbstständige zwischen 30 und 50 Jahren, die bereits vorsorgen, soll es Befreiungsregelungen geben. Doch nicht jede Vorsorge wird anerkannt. Zum Beispiel darf sie nicht vererb- oder kapitalisierbar sein.

Trifft keine Ausnahme zu, kommen auf Selbstständige laut Auskunft des BMAS voraussichtlich monatliche Kosten von etwa 300 Euro für die Alterssicherung plus ca. 100 Euro für die Absicherung des Erwerbsminderungsrisikos zu. Die Handwerkerpflichversicherung will von der Leyen abschaffen. Derzeit zahlen dort Selbstständige zulassungspflichtiger Gewerke mindestens 18 Jahre lang ein. Was genau mit den bestehenden Versicherungen passieren wird, kann man beim BMAS noch nicht sagen. Aber "niemand wird schlechter gestellt", sagt ein Sprecher.

Den Wegfall der Handwerkerpflichtversicherung sehen die Handwerksjunioren als Fortschritt. Die zukünftige Vorsorgepflicht muss aber nach Auffassung des Bundesvorsitzenden Frank Berting bestimmten Bedingungen genügen. Dazu gehöre neben Gerechtigkeit und Flexibilität insbesondere eine größtmögliche Wahlfreiheit: "Wir müssen selbst entscheiden können, wo wir uns wie versichern."

Betrieben wird ein Auslaufmodell aufgezwängt – lesen Sie Seite 3.

"Gesetzliche Rente ein Auslaufmodell"

Besonders mit Blick auf sehr kleine Betriebe hat Ute Regina Voß Bauchschmerzen, wenn sie an die Reformpläne denkt. Voß ist unabhängige Finanzberaterin in Wankendorf (Schleswig-Holstein). Zu ihren Kunden gehören zahlreiche Handwerker. Ihre Erfahrung: "Manche machen sich nur aus der Not heraus selbstständig, als Alternative zur Arbeitslosigkeit."

Solche Kleinstunternehmer stöhnten dann häufig schon unter den Krankenkassenbeiträgen. Liquide zu sein, habe für Unternehmer Vorrang vor der Altersvorsorge. Aber wenn Selbstständige Altersvorsorge betreiben, sollten sie später auch angemessene Erträge erzielen. Voß weiß: "Wer ein Jahr lang monatlich 200 Euro in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt, bekommt später 90 Cent monatlich heraus."

Die Rentenversicherung hat Jens Prigge angeschrieben, als er sich selbstständig gemacht hat. Er sei nun selbst für seine Alterssicherung zuständig. Ehefrau Heidi Prigge begrüßt das. Die 52-Jährige wünscht sich generell mehr Eigenverantwortlichkeit. „Unternehmer sind bereit, Verantwortung zu tragen. Das gilt auch für die Altersvorsorge.“ Das Paar setzt auf einen Mix aus Rürup-Rente, Einkünften aus der gesetzlichen Rentenversicherung und aus Vermietungen. "Die gesetzliche Rente ist ein Auslaufmodell, die Gesellschaft muss sich noch anpassen", meint Prigge.

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(bw)

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