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Warum zahlt die BG nicht?

Wenn der Chef die Zeche zahlt

Ein Unfall, der keiner ist. Ein Mitarbeiter, der ausfällt. Ein Arzt, der falsch diagnostiziert. Eine Berufsgenossenschaft, die sich nicht zuständig fühlt. Und wer muss das ausbaden?

12 Stunden täglich ist Handwerksmeister Addi Kloppenburg im Einsatz. Zeit für das Büro hat er nur am Wochenende, „abends bin ich dafür zu kaputt“, sagt der Sanitär- und Heizungsbaumeister aus Düsseldorf. Seit 14 Monaten geht das nun schon so. Seit dem Tag, an dem sein einziger Mitarbeiter einen schweren Arbeitsunfall hatte.

Der Unfall passiert 2013, es ist der 30. Oktober. „Wir haben eine Duschabtrennung aus Glas abgeladen“, berichtet der Unternehmer. Der Chef schiebt, der Geselle zieht. Irgendwie kommt die Scheibe ins Rutschen. Der Geselle reagiert und fängt die schwere Scheibe ab. Danach ist alles anders.

Addi Kloppenburg schickt seinen Mitarbeiter zum Durchgansarzt. Dann wartet er auf Post von der Berufsgenossenschaft (BG). Der letzte Arbeitsunfall liegt in seinem Betrieb zwar schon sechs Jahre zurück, doch daran erinnert sich Kloppenburg noch genau: „Der Fragebogen war immer innerhalb von zwei Tagen da. Die BG will doch alles ganz genau wissen: Was ist passiert, wann, wodurch und welche Präventivmaßnahmen wurden ergriffen.“

Dass sich die BG nicht meldet, hat einen Grund. Den findet der Unternehmer allerdings erst nach und nach heraus: „Im Bericht des Arztes stand wohl, dass die Verletzung beim Anheben der Glasscheibe passiert ist.“ Eine Verletzung durch Anheben ist jedoch im rechtlichen Sinn kein Unfall – und damit auch kein Fall für die BG?

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Die BG? Unerreichbar und uneinsichtig

Der Mitarbeiter nimmt sich einen Anwalt, um sein Recht gegenüber der BG durchzusetzen. Doch die berufe sich auf die Darstellung des Arztes, berichtet Kloppenburg. Der Chef will seinen Mitarbeiter unterstützen. Doch zwei Briefe an die BG, einige E-Mails und mehrere Anrufe bringen ihn nicht weiter. Niemand ist für ihn zu sprechen. Schließlich erwischt er eine Sachbearbeiterin am Telefon: „Falls man mich sprechen will, werde man mich schon erreichen, hat sie gesagt.“

Sechs Wochen nach dem Unfall wird der Mitarbeiter operiert. Der Chirurg sei begeistert gewesen, wird Kloppenburg zugetragen. Denn die Sehne war abgerissen, nicht angerissen, wie es Durchgangsarzt diagnostiziert habe. Kloppenburg hat sich informiert, selbst mit Ärzten gesprochen: Ein Abriss hätte sofort operiert werden müssen. „Mir hat man gesagt, dass es dann in der Regel nur rund drei Monate dauert, bis der Arm wieder belastbar ist.“ Vorausgesetzt, der Abriss wird sofort erkannt und der Patient gut versorgt.

Womit wir wieder beim Thema „BG“ sind. Heilbehandlung und Reha bezahlt zwar auch die gesetzliche Krankenversicherung. Doch bei einem anerkannten Arbeitsunfall ist die BG zuständig, und deren Leistungen gelten als besser. BG-Patienten „werden fast wie privat Versicherte behandelt“, sagt Beatrix Hüller, Fachanwältin für Versicherungsrecht: „Man bekommt gute Ärzte, schnelle Termine und leichter Verschreibungen. Die Berufsgenossenschaften haben einen großzügigeren Leistungskatalog und erstatten viel häufiger die Kosten als die gesetzlichen Krankenkassen.“

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Ersatz ist schwer zu finden

Krankgeschrieben sei sein Geselle nun noch bis Ende Mai - „mindestens“, sagt Kloppenburg. Harte Zeiten für den Gesellen, aber auch für den Chef: Zumal der Handwerker 2013 sehr erfolgreich in der Akquise war. „Ich hatte vorher sehr viel Arbeit angenommen.“ Kunden, die er nun alleine betreuen muss, denn „die möchte ich nicht wieder verlieren“.

Natürlich hat sich der Handwerksmeister um Ersatz bemüht. Doch das ist nicht so einfach, wenn es nur um eine befristete Krankheitsvertretung geht. „Die wenigen Monteure, die überhaupt etwas suchen, wollen natürlich eine Festanstellung.“ Die kann Kloppenburg nicht versprechen, denn eigentlich will er seinen Gesellen zurück. „Mein Mitarbeiter denkt und handelt wie ein Unternehmer. Der lässt nicht um 17 Uhr den Hammer fallen. Wenn es drauf ankommt, dann macht er weiter – Hauptsache, der Kunde ist zufrieden. So jemand ist verdammt schwer zu finden.“

„Da zahlt man jahrelang Beiträge …“
Zur Sorge um den Mitarbeiter kommt der Ärger: „Da zahlt man jahrelang Beiträge und denkt, die Mitarbeiter sind abgesichert. Aber wenn es darauf ankommt, ist die BG nicht zuständig und nicht zu sprechen.“

Im Prinzip hätten seine Kollegen schon recht, wenn sie spotten: „Hätte mein Mitarbeiter kurz überlegt, wäre die Scheibe wahrscheinlich auf seinen Fuß geknallt. Dann wäre der Fall eindeutig und längst vergessen. Aber wollen wir wirklich Mitarbeiter, die vor jedem Handschlag erst die Versicherungsbedingungen überprüfen? Ich verstehe das Sozialsystem nicht mehr. So geht das jedenfalls nicht.“

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Ein unglücklicher Einzelfall?

Kein Einzelfall, wie die ARD-Sendung plusminus berichtet. Zahlen gebe es von den Berufsgenossenschaften zwar nicht. Doch der ehemalige Sozialrichter Jürgen Borchert berichtet in der Sendung dennoch von einem Trend: Die Berufsgenossenschaften würden im Streitfall alles daran setzen, nicht zahlen zu müssen. „Da ist sehr auffallend, vor allem in den letzten Jahren, dass wir kaum noch Gutachten einholen können von den Sozialgerichten, ohne dass die Berufsgenossenschaft mit ihren Vertragsärzten Gegengutachten erstellen lässt. Und das zwingt zu endlosen Ermittlungen.“ Die Folge: Selbst wenn Betroffene doch einmal siegen, würden sie „aus solchen Verfahren beschädigter hervorgehen, als sie hineingegangen sind“.

Wie sind Ihre Erfahrungen?
Sind Sie zufrieden mit den Leistungen der BG? Oder haben Sie auch schon schlechte Erfahrungen gemacht? Schreiben Sie uns!



(jw)

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