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Neue Beweise

Auftragsvermittler: Diverse Firmen – ein Strippenzieher

Mike Stefan M. ist Auftragsvermittler. Wir begleiten ihn seit 10 Jahren. Und weil man sich zu so einem Jubiläum etwas gönnen darf, haben wir M. getroffen – auf den Fluren des Frankfurter Amtsgerichtes. Ein Abgesang.

Amtsgericht Frankfurt, Gebäude E. Mike Stefan M. steht auf dem Flur vor Verhandlungsraum 15. Soeben musste er sich wegen Insolvenzverschleppung verantworten. Nur wegen Insolvenzverschleppung. „Guten Tag, Herr M., werden Sie auch nach diesem Tag als Auftragsvermittler aktiv sein?“

Als er unsere Begrüßung hört und unsere Kamera sieht, dreht er sich um und geht zielstrebig auf den nächsten Ausgang zu. Sein Anwalt schließt die Tür hinter ihm. Das hätte ein kurzes Treffen werden können, doch so ganz und gar nicht zufällig sind weitere Gäste zum Jubiläum erschienen. Und wie es sich gehört, werden Geschenke verteilt.

Nächste Seite: Lebt in Monaco, hat kein Einkommen – guter Witz zum 10-Jährigen!

Strafrechtlich wurde M. nie belangt

Nachdem M. aus dem Gerichtsgebäude geflohen ist, erscheint einer der Rechtsanwälte, die M. in den zurückliegenden Jahren eingesetzt hat. Das Urteil des aktuellen Prozesses gegen M. enttäuscht Herbert Schwarze (Name geändert): 90 Tagessätze á 40 Euro. „Wenn der Mike einen normalen Tag hat, entspricht das einem Tageseinkommen“, sagt der Jurist.

Insofern entbehrt der erste Absatz der Urteilsbegründung gegen M. nicht einer gewissen Komik: „Der Angeklagte gibt an, kein Einkommen zu haben. Er ist selbstständiger Ökonom. Er lebt bei seiner Lebensgefährtin nach seiner Einlassung in Monaco.“ Sie unterstütze ihn finanziell und trage die Miete. Und dann der Satz der Sätze: „Bis jetzt ist der Angeklagte strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten.“

Lebt in Monaco. Hat kein Einkommen. Ist strafrechtlich noch nie in Erscheinung getreten! Wie bitte? „Der Mike taucht namentlich niemals selbst auf, weil er immer einen Dummen findet, der für ihn den „Geschäftsführer macht“, verdeutlicht Schwarze. Natürlich sei M. der heimliche Chef und Strippenzieher bei fast allen Auftragsvermittlerfirmen, die in den vergangenen 10 Jahren auf der Bildfläche erschienen und genau so schnell wieder verschwunden sind. Locat, Zweig, Gebako, Stern, O.R. … die Liste ließe sich fortsetzen. Und immer sei M. verantwortlich gewesen. Gibt es dafür Beweise? „Ja“, sagt Schwarze, „allerdings, kommen Sie mal mit.“ Das allerdings ist ein Präsent, das wir gerne annehmen.

Nächste Seite: „Telefonisch nerven bis die Jungs Ablass begehren.“

Bei Handwerkern bitterböse

Als wir Schwarzes Büroräume in Frankfurt betreten, steht gleich hinter der Tür eine Reihe dicker Ordner mit Firmennamen, die uns bekannt vorkommen. „Alles Mike M.-Fälle“, sagt Schwarze. Er wühlt sich durch die Dokumentenberge auf seinem Schreibtisch, immer wieder steht er auf und kopiert für uns Papiere. Interessant ist vor allem die Korrespondenz zwischen Schwarze und M. In einer E-Mail mit dem Absender mikem…..@hotmail.com verschickt M. „Zugangsdaten für AND/Stern und OR International“. Und er schreibt: „GeBako ist nicht im System. Sind aber nur 3 Akten, glaube ich.“

„Denke an folgende Vorgehensweise“, schreibt M. weiter. Auf einen mahnenden Anruf solle ein „böser Brief“ folgen: „Bei Handwerkern bitterböse, damit Sie zum Rechtsanwalt rennen und wir einen kompetenten Ansprechpartner haben.“ Und dann: „Telefonisches Nerven bis die Jungs Ablass begehren. Gruß, Mike.“

Wenn Drohgebärden nicht helfen: „ATTACKE“ – lesen Sie die nächste Seite.

Verhalten bei „emotionalen Jungs“

In einer anderen E-Mail mit dem Absender mikem…..@hotmail.com gibt’s weitere Vorschläge für den charmanten Umgang mit zahlungsunwilligen Handwerksmeistern: „Kannst der Gegenseite ja kommunizieren, dass die Forderung jetzt mit allem Nachdruck geltend gemacht wird, da sie an ‚Heuschrecken‘ abgetreten wurden und diese überhaupt keinen Spaß verstehen.“

M. schlägt mögliche Drohgebärden vor, die vor allem „bei emotionalen Jungs“ fruchten würden. Und falls die Betriebsinhaber nicht darauf anspringen sollten: „ATTACKE.“

Herbert Schwarze sagt: „Von Locat über A.N.D. bis O.R. International war der alleinige Ansprechpartner und unmittelbare Auftraggeber Mike M.“ Im Umkehrschluss bedeutet das: M. hat dabei zugesehen, wie seine Mutter für ihn den Kopf hinhalten musste.

Nächste Seite: Scharfes Urteil gegen M.s Mutter wird wieder aufgehoben.

Zwei Jahre ohne Bewährung

Eine weiteres Präsent, das uns jetzt zugespielt worden ist: Im September 2009 hat das Amtsgericht Offenbach die Mutter von Mike M. wegen „des gewerbsmäßigen Betruges in 14 Fällen“ verurteilt. Gegen Hannelore Janina M. wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verhängt. Ohne Bewährung.

Auch wenn Hannelore Janina M. in der Berufungsverhandlung freigesprochen wurde, sind die Details des Prozesses und der Urteilsbegründung krass. Ein kurzer Auszug: „Ziel der Angeklagten, die hierbei im Zusammenwirken mit ihrem Sohn Mike M. handelte, war es, Handwerksbetriebe mit schlechter Auftragslage zu betrügen.“ Den Betrieben sei vorgegaukelt worden, dass Stern Engineering Inc. Mittelpunkt in einem überregionalen Netzwerk aus Architekten und Planern und Bauherren sei.

Handwerksmeister quer durch die Republik hatten bei Stern Engineering unterschrieben, und einige hatten nicht nur den Vertrag, sondern auch Wechsel abgezeichnet. Im Fall eines Kölner SHK-Betriebes standen stolze 5.568 Euro auf dem Zahlungspapier.

„Mike ist zum Prozess aus Monaco angereist. Er hat einerseits eine Fahrtkostenerstattung beantragt, andererseits aber nicht für seiner Mutter ausgesagt – die war ja auch nur eine seiner Marionetten“, sagt ein Rechtsanwalt. M. habe kühl zugesehen, wie seine Mutter „verknackt“ wurde: „Dabei hätte er sie entlasten können. Unfassbar.“ Zu schade, dass wir davon nicht eher erfahren haben.

Mike M. kommt wieder ungestraft davon – lesen Sie die nächste Seite.

Es gibt tatsächlich Referenzbetriebe

Auch interessant: Das Urteil sollte laut Amtsgericht Offenbach nicht zur Bewährung ausgesetzt werden, weil die Ermittlungen ergeben hatten, dass Hannelore Janina M. ihre „Aktivitäten“ bei O.R. International S.A. fortsetzte. Dass Gleiches auch für ihren Sohn gelten könnte, war kein Thema des Prozesses.

In der Berufungshauptverhandlung hatte die Staatsanwaltschaft Darmstadt einen Freispruch beantragt. Das Landgericht Darmstadt folgt dem Antrag. Warum? Oberstaatsanwältin Annette von Schmiedeberg hat sich die Akte und das Urteil jetzt für uns angesehen. Die Beweise, die erhoben worden waren, seien nicht ausreichend für eine Verurteilung gewesen, sagt die Juristin. Der Vorsitzende Richter habe die Angeklagte aus "tatsächlichen Gründen" freigesprochen.

Das bedeute: Aus Sicht des Richters reichten die Beweise nicht aus, um Hannelore Janina M. die Taten mit der letztendlichen Sicherheit nachweisen zu können. "Andere Beweise dafür, dass es sich bei der Firma Stern um ein Unternehmen gehandelt haben könnte, dass von vornherein nur auf Betrug" ausgelegt war, hatten sich nicht gefunden, zitiert von Schmiedeberg aus dem Urteil.

Das Amtsgericht Offenbach hatte in der ersten Instanz etliche Beispiele wütender Handwerksmeister aufgedröselt. Das Landgericht musste offenbar würdigen, dass Stern Engineering Referenzbetriebe vorweisen konnte. Die gibt es nämlich tatsächlich. Auf telefonische Nachfrage bestätigt beispielsweise ein Fliesenlegermeister aus Berlingerode (Thüringen), dass er noch heute für ein Bauunternehmen arbeitet, das Stern Engineering 2006 vermittelt hatte.

Ex-Mitarbeiter: „Mike M. lullt die Leute unheimlich ein.“ Lesen Sie die nächste Seite.

Pro Mitarbeiter 180 Akquise-Anrufe täglich

Zu den Jubiläumsgästen in Gebäude E des Frankfurter Amtsgerichtes gehört ein junger Mann, den Mike M. als Auftragsvermittler aufbauen wollte. Der Architekt Pavel Schmidt (Name geändert) war über eine Stellenanzeige in einem Internetportal an M. geraten. „Das Vorstellungsgespräch war total interessant, M. wollte als Generalunternehmer auftreten – und ich hatte erste Erfahrungen als Bauleiter gesammelt.“

Allerdings bestand Schmidts Aufgabe vom ersten Tag an in der Akquise per Telefon: „Handwerker anrufen, sie ins Büro locken. Übel.“ Über wie viele Anrufe sprechen wir? „Die Vorgabe war 180, täglich. Das ist brutal“, sagt Schmidt. Die meisten Unternehmer seien genervt, viele würden nach den ersten Sätzen auflegen. Aber: „Immer wieder lassen sich Handwerker auf das Gespräch ein und zum Termin überreden. Meine Quote war von Anfang an mies, ich hatte dazu einfach keine Lust.“

Wie viele Handwerker kamen täglich zum Termin in die Frankfurter Geschäftsräume von Mike M.? „Zwei bis drei, manchmal vier“, antwortet Schmidt. Weil er später selbstständig Vertragsverhandlungen führen sollte, musste Schmidt zweimal an Gesprächen mit Handwerksmeistern teilnehmen: „Mike M. war richtig gut, der hat die Leute unheimlich eingelullt.“

Schmidt hat das System schnell durchschaut, ist nach anderthalb Monaten gegangen – auf sein Gehalt wartet er bis heute vergeblich.

Nächste Seite: Ein Stargast zum 10-Jährigen.

Ruhig bleiben, Vertrag anfechten

Eine Art Stargast zum 10-Jährigen ist Bernd Aue. Mit seinem Internetportal HaustechnikDialog.de hat er jahrelang Rückgrat bewiesen. Klagedrohungen, Unterlassungserklärungen – Aue hat das ganze Paket der juristischen Daumenschrauben ertragen. Und er hat gleich scharenweise Betriebe davor bewahrt, bei Mike M. zu unterschreiben.

„Eine ganze Reihe von Handwerkern, die bei M. unterschreiben, zahlen die komplette Summe aus den Verträgen“, sagt Aue. Aller Hinweise der zurückliegenden Jahre zum Trotz gebe es zu wenig Betriebe, die standhaft bleiben und auch kein Vergleichsangebot seitens der Auftragsvermittler akzeptieren würden.

Aues Tipp: Ruhig bleiben, den Vertrag anfechten, auf eine Klage warten. Leider, sagt der HaustechnikDialog-Chef, gebe es immer wieder Richter mit der einfachen Einstellung: „Sie haben einen Vertrag unterschrieben, der ist rechtsverbindlich, den müssen Sie erfüllen.“ Glücklicherweise seien genügend Rechtsanwälte im Thema und auf solche Fälle spezialisiert: „Mit dem Standardanwalt fällt man leicht auf die Nase.“ Und die Handwerker-Chefs – nur die werden eingeladen – sollten wissen, dass für sie kein Rücktrittsrecht existiert, warnt Aue. Wenn mündlich Zugesichertes schriftlich nicht existiere: „Pech, die Masche funktioniert – juristisch.“

Letzte Seite: Abschiedsvideo für einen alten Unbekannten!

Mike Stefan M. im Kurz-Video

Durch das aktuelle und relativ milde Urteil wegen Insolvenzverschleppung des Frankfurter Amtsgerichtes ist Mike M. knapp einer Vorstrafe entgangen. Der eigentliche Gegenstand des Prozesses ist nicht sonderlich aufregend, es geht um nicht gezahlte Mieten und nicht gezahlte Antwaltshonorare. Immerhin geht aus der Urteilsbegründung hervor, dass M. „faktischer Geschäftsführer“ der GeBaKo Gesellschaft für Baukoordinierung war.

Ist auch nach dem Prozess in Frankfurt mit Mike M. zu rechnen, wird er weiter als Auftragsvermittler aktiv sein? „Ja, ich denke schon“, sagt Rechtsanwalt Schwarze, „der Mike ist zäh.“

Wir denken, dass 10 Jahre genug sind. Deshalb ist dieser Text eine Art Abschiedsbrief von einem Thema – und von einem Typen, mit dem wir uns einfach nicht mehr beschäftigten möchten. Mach's schlecht, Mike. Wir haben endgültig die Nase voll von Dir. Zum Glück gibt's schönere Geschichten und bessere Menschen, über die wir berichten können.

Dies ist unser Abschiedsvideo.

Mike Stefan M. im Kurz-Video

Nächste Seite: Die Arbeit der Auftragsvermittler – ein kompakter Rückblick.

10 Jahre Auftragsvermittler – eine schräge Nummer

Ein kurzer Rückblick für alle, die nicht im Thema sind: Die Dienstleistung so mancher Auftragsvermittler besteht im Verkaufen heißer Luft. Telefonakquisiteure bezirzen Handwerksunternehmer mit konkreten Aufträgen aus der Premium-Ecke und laden zum Gespräch in schicke Geschäftsräume. Dort verleiten Profiverkäufer selbst gestandene Handwerksmeister zur Unterschrift unter geschickt formulierte Vertragstexte. Konkrete Bauvorhaben mutieren zu „Auftragsnachfragen“. Das heißt: Auftragsvermittler haben ihren Teil des Vertrages bereits erfüllt, wenn sie beliebige Ausschreibungen kopieren und den Betrieben schicken. Die Unterschrift kostet die Unternehmer mehrere tausend Euro, aktuell ist von 4.900 Euro-Verträgen zu hören.

Das erste „Planungsbüro“, über das die handwerk.com-Redaktion stolpert, sitzt in Hannover und heißt Locat. Nachdem sich die ersten Betriebe über Locat beschweren, beantwortet ein gewisser Harald Kreis unsere Presseanfrage. Das war 2003. Kreis bezeichnet die Locat-Dienstleistung als „Informationsveredelung“.

Jahre und zahllose Locat-Nachfolgeunternehmen später wird sich herausstellen, dass Harald Kreis nur eines von vielen Pseudonymen ist, hinter denen sich Mike Stefan M. versteckt. Mitarbeiter berichten, dass sie ihren Chef nie mit seinem echten Namen ansprechen dürfen. M. tritt niemals selbst als Geschäftsführer auf.

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(sfk)

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