Auf einen Blick:
- Es kommt nicht selten vor, dass sich Azubis in Handwerksbetrieben schlecht behandelt fühlen oder Opfer von Gewalt werden.
- Ausbildungsberaterin Almut Peters rät Betrieben zu einer offenen Kommunikationskultur von Beginn an – damit Probleme erst gar nicht entstehen.
- Azubis ermutigt sie, neutrale Dritte ins Boot zu nehmen und Handgreiflichkeiten anzuzeigen.
- Azubis und Betriebe können sich bei Fragen an die Handwerkskammern wenden: Sie vermitteln, schlichten und helfen im Notfall, den Betrieb zu wechseln.
- Auch andere Anlaufstellen bieten Problemlösungen für beide Seiten an.
Wochenlang hat Stefanie* sich krankschreiben lassen. Bei dem Gedanken an die Arbeit hatte sie Bauchweh. „Mir war übel und ich konnte einfach nicht in den Betrieb gehen“, berichtet die 20-Jährige Auszubildende Elektronikerin. Was war ihr auf den Magen geschlagen? „Wir Azubis dürfen keine Pausen machen, werden angebrüllt und sind Handlanger für Gesellen und Vorarbeiter“, sagt Stefanie. Andere Azubis im 2. Lehrjahr bereiten sich gerade auf ihre Zwischenprüfungen vor und bekommen Unterstützung – davon seien die Azubis in ihrem Betrieb weit entfernt.
Probleme offen ansprechen
„Es kommt häufig vor, dass Auszubildende im Handwerk sich ungerecht behandelt fühlen oder gemobbt werden“, bestätigt Almut Peters, ehemalige Ausbildungsberaterin bei der Handwerkskammer Hannover. Die Spanne der Gründe dafür sei groß – von zu viel geleisteten Überstunden, fehlenden Ausbildungsinhalten bis hin zu Beleidigungen oder Handgreiflichkeiten. Je länger die Ausbildung schon andauere, desto schwerer sei es, ins Gespräch zu kommen.
Wichtig sei, dass Auszubildende Missstände und Mobbing nicht hinnehmen und Nein sagen. „Eine offene Kommunikationskultur in den Betrieben ist dafür die Voraussetzung und sollte regelmäßig geübt werden“, betont Peters, die jetzt Berufsschüler unterrichtet. Unternehmen und Lehrling sollten sich in festgelegten Abständen an einem ruhigen Ort zusammensetzen und „Beurteilungsgespräche“ führen.
In diesen Gesprächen sollten Azubis ihre Unzufriedenheit wie beispielsweise den rauen Umgangston oder die fehlende Prüfungsvorbereitung ansprechen. Aber auch Ausbilder sollten klare Worte finden, wenn sie etwa Pünktlichkeit vermissen oder sie die übermäßige Handynutzung stört. Die Ergebnisse aus den Gesprächen sollten immer wieder verglichen werden. „Wichtig ist, dass sich beide Seiten an die Vereinbarungen halten und der Betrieb wirklich ein offenes Ohr für die Probleme des Azubi hat“, sagt sie.
Handwerkskammern sind erste Anlaufstellen
Können Anliegen nicht intern geklärt werden, seien die Ausbildungsberater der Handwerkskammern erste neutrale Anlaufstelle für Azubis und Betriebe gleichermaßen. Sie sind auf den Webseiten der Kammern zu finden und nach Region und Berufen unterteilt, berichtet die Ausbildungsberaterin. „Wir helfen bei Fragen und Problemen gern telefonisch weiter“, sagt Almut Peters. Bei Nachfragen rufen die Berater in den Betrieben an und hören sich die Gegenseite an. „Oft ändert sich nach einem Telefonat die Sicht auf das Problem.“ Denn nicht immer seien die Beschwerden der Azubis auch gerechtfertigt.
Zum Schlichten kommen die Berater der Handwerkskammer persönlich in die Betriebe. „Sie hören sich beide Seiten an und arbeiten gemeinsam an einer Lösung. Einer Schlichtung müssen Azubi und Betrieb vorab zustimmen“, betont Peters.
Wo bekommen Azubis Hilfe?
Helfen erste Gespräche nicht oder sind die Probleme schwerwiegender, hat Peters Tipps, wo sich Azubis Hilfe holen können:
Vereinbarungen mit dem Betrieb treffen
Gibt es beispielsweise Probleme wegen zu viel geleisteter Überstunden, empfiehlt Peters, nach einem klärenden Gespräch eine schriftliche Vereinbarung aufzusetzen, in der sich der Betrieb verpflichtet, auf die Einhaltung der Arbeitszeiten zu achten, die Überstunden auszubezahlen oder Ausgleichstage zu vereinbaren.
Haben Auszubildende das Gefühl, dass Lerninhalte nicht ausreichend vermittelt werden oder fehlen, können sie bei der Handwerkskammer die aktuelle Ausbildungsverordnung anfordern. Diese könne als Grundlage dafür dienen, dass der Betrieb die Inhalte nachholt – dazu muss der Azubi dies aber bei seinem Chef oder Ausbildungsbeauftragten einfordern, betont Peters.
Arbeit ohne Sicherung nicht ausführen
Kommt es vor, dass Azubis in einem Betrieb arbeiten, der beispielsweise Höhenarbeiten ohne erforderliche Sicherung ausführt oder mit Schadstoffen arbeitet, die besonderer Schutzmaßnahmen bedürfen, sind die Berufsgenossenschaft (BG) oder das Gewerbeaufsichtsamt die ersten Ansprechpartner.
„Dort können Sie den Betrieb anonym anzeigen“, erklärt die Peters. Wichtig sei die Angabe, um welchen Betrieb es sich handele. Dann könne die BG dem Fall nachgehen und den Betrieb überprüfen lassen.
Bei persönlichen Befindlichkeiten: Team wechseln
„Es kann auch sein, dass ein Unwohlsein auf der Arbeit mit den Personen zusammenhängt, die den Azubi betreuen“, weiß Peters aus Erfahrung. Sie möchte Azubis ermuntern, das bei ihren Chefs anzusprechen. „Ein Wechsel in ein anderes Team oder eine andere Filiale bewirkt meist sehr viel“, sagt Almut Peters. In vielen Fällen sei das ein wichtiger Versuch, das Ausbildungsverhältnis aufrecht zu erhalten.
Bei Gewaltanwendung sofort Anzeige erstatten
„Niemand muss sich anschreien zu lassen oder gar Gewalt über sich ergehen lassen“, betont sie. In Fällen von Gewaltanwendung rät sie dringend dazu, eine schriftliche Beschwerde an die Handwerkskammer zu schicken und den Fall bei der Polizei anzuzeigen.
Betriebswechsel als letztmögliche Lösung
Der Wechsel in einen anderen Betrieb sei der letzte Schritt. „Vorher sollten Sie die oben genannten Möglichkeiten ausschöpfen“, sagt Peters. Helfe das nicht und beide Parteien wollen das Ausbildungsverhältnis beenden, würden die Ansprechpartner in den Kammern und Innungen bei der Suche nach einem anderen Betrieb unterstützend tätig werden. Priorität habe immer, dass die Jugendlichen ihre Ausbildung fortsetzen.
Auch in der Berufsschule könnten sich Azubis umhören, ob ein Kollegenbetrieb jemanden aufnimmt. Berufsschullehrer hätten ebenso einen guten Draht zu Betrieben und könnten Ideen beisteuern.
Was können Betriebe tun?
„Wenn Sie auf Baustellen sehen, dass Ihre Kollegen ihre Azubis schlecht behandeln, sprechen Sie sie an“, rät Almut Peters. Es gehöre eine Portion Mut dazu, aber bewirke bei den Betroffenen oft etwas. Wer den direkten Kontakt scheut, kann auch eine schriftliche Beschwerde bei der Handwerkskammer einreichen. Peters: „Sollte die Kammer Beweisen nachgehen und aktiv werden müssen, helfen nur schriftliche Aufzeichnungen.“
Bei Nicht-Einhalten von Sicherheitsvorschriften appelliert sie an Betriebe, die Verstöße bei der BG oder dem Gewerbeaufsichtsamt anzuzeigen, wenn andere Betriebe auf Hinweise nicht reagieren. Denn in solchen Fällen sei Gefahr in Verzug. „Handeln Sie sofort und schützen Sie Ihre Kollegen“, rät Peters.
Mögliche Schwächen der Azubis hinterfragen
Die gelernte Tischlerin hat aber auch schon erlebt, dass Auszubildende sich schlecht behandelt fühlten, die Ursache aber nicht offensichtlich ist. „Manche Azubis haben Lernschwächen und trauen sich nicht, es zu sagen.“ Oft erwuchsen daraus Konflikte, da Misserfolge fehlgedeutet werden, die sich lösen ließen, wenn die Schwäche erkannt werde – beispielsweise durch Lernförderung oder Nachhilfe. Zudem sei eine Beantragung von Nachteilsausgleichen für die Schule oder die Prüfungen möglich sowie eine Lehrzeitverlängerung.
Auch hier rät Peters: „Wenn Sie merken, dass der Lehrling sich anstrengt, aber es nicht schafft, hinterfragen Sie, was das Problem sein könnte.“ Auch im Bereich Lernschwächen oder Behinderungen bieten die Handwerkskammern laut Peters Unterstützung an.
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*Name geändert, Name der Redaktion bekannt
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