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Steinreiche Vergangenheit

Backsteingotik: Steinreiche Vergangenheit

Eigentlich nur schmutziger Modder, als Baustoff eine Notlösung: Dennoch schufen Handwerker im Mittelalter aus gebackenem Lehm lichte Kathedralen. Eine Ausstellung in fünf Hansestädten würdigt die Leistungen.

Der Star des Films hat weder Sex-Appeal noch Traumfigur. Statt muskelbepackter Oberarme schlenkern dünne Ärmchen an seinem kantigen Körper. Auch die Stimme lässt an Volumen zu wünschen übrig, der Name ist geradezu hausbacken. Und doch ist dieser Film mit Bruno Backstein so spannend, dass Steven Spielberg vor Neid erblassen könnte. Die 3D-Präsentation Eine Kirchenbaustelle im Mittelalter entführt ihre Zuschauer auf eine atemberaubende Reise in die Vergangenheit.

Sie zeigt den Bau der St. Marienkirche zu Wismar im 14. Jahrhundert. Die Zeichentrickfigur Bruno Backstein erläutert die einzelnen Arbeitsschritte. Zu erleben gibt es Blicke aus schwindelerregender Höhe vom Gerüst des Kirchturms über die mittelalterliche Stadt und waghalsige Kletterpartien hinauf unter das Dach des entstehenden Kirchenbaus. Zum Greifen nah sind die Zuschauer dabei, wenn der Dachstuhl aufgesetzt und das Gewölbe verschalt wird.

Das rund zwanzig Minuten lange, aufwändig produzierte Werk ist das Herzstück der Ausstellung Wege zur Macht, mit der sich Wismar an der Gemeinschaftsschau Wege zur Backsteingotik beteiligt. Zu ihr haben sich die Hansestädte Wismar, Lübeck, Rostock, Stralsund und Greifswald zusammengeschlossen. Jede von ihnen präsentiert einen anderen thematischen Schwerpunkt (siehe nebenstehenden Kasten). Doch vor allem zeigen sie ihre historischen Innenstädte her stolz auf die große Vergangenheit, die diese noch heute erkennen lassen.

Bau-Boom durch den Erfolg der Hanse

Die Backsteingotik ist untrennbar verbunden mit der wirtschaftlichen Erfolgsgeschichte der Hanse. Ob Lübeck oder Stralsund, Lüneburg oder Stendal, Braunschweig oder Magdeburg: Dem mächtigen Wirtschaftsbund gehörten zu seiner Blütezeit um das Jahr 1400 fast 200 Städte an. Der Einfluss der Hanse erstreckte sich über den gesamten Ostsee-Raum, sie beherrschte den kompletten Warenaustausch zwischen Nowgorod und Brügge, zwischen Oslo und Köln.

Die durch den Handel aufblühenden Städte wollten ihren Reichtum und damit ihre neue Macht nach außen zeigen. In ihren Mauern sollten die schönsten, die größten und kostbarsten Kirchen, Rathäuser, Handelskontore und Marktplätze stehen. Der Ehrgeiz der Städte erstreckte sich vor allem auf den Bau von Kathedralen: Die Religion bestimmte den damaligen Alltag geistliche und weltliche Macht waren nicht voneinander zu trennen.

Die Folge dieses Wetteifers war ein immenser Bau-Boom. Im brandneuen Stil der Gotik, deren Vorbilder sie aus Frankreich kannten, wollten die Hanseaten die modernsten, die höchsten, die hellsten Kirchen bauen.

Formkästen erleichtern die Produktion

Die Idee, dafür Steine aus Lehm zu backen, war eigentlich aus der Not geboren: Im gesamten Ostseeraum gab es kaum abbaubare Natursteine. Zwar reichten die Feldsteinvorkommen aus, um die eine oder andere Dorfkirche zu errichten für den enormen Bedarf der Städte aber gab es nicht genügend Steinbrüche. Mönche aus Italien hatten die Technik der aus Tonerde gebrannten Steine in den Norden importiert. Aus ihr entwickelten die findigen Hanseaten geradezu eine Hochtechnologie. Waren die Backsteine bisher mühsam von Hand geformt worden, ermöglichten nun hölzerne Formkästen, die Steine gleichmäßiger und in Serie zu fertigen.

Wer hier rausgeht, der weiß, ein Ziegel wiegt sieben Kilo, sagt Beatrice Busjan. Die Direktorin des Stadtgeschichtlichen Museums Wismar gehört mit zu den Initiatoren der Ausstellung. Diese bietet neben der virtuellen Präsentation der Kirchenbaustelle zudem besonders Anschauliches. Bei uns können die Besucher selbst Hand anlegen, erläutert Busjan das Konzept der Ausstellung, das die drei großen Stadtkirchen von Wismar mit einbezieht. Rund um den Turm der St. Marienkirche das ist alles, was 1960 nach der Sprengung von der kriegszerstörten Kirche übrig geblieben ist ist Anfassen eindeutig erwünscht. Die Besucher können selbst ein Maßwerk zum Muster zusammenfügen oder einen Handziegel streichen. Danach wissen sie: Einfach ist es nicht, einen Klumpen Lehm gleichmäßig in Form zu pressen.

Wie mühsam es war, das Baumaterial anschließend hinauf in die Höhen des himmelwärts strebenden Kirchen-Rohbaus zu transportieren, kann man ebenfalls in Wismar erleben. Extra für die Ausstellung hat Harald Weise, Architekt und Tischlermeister aus Dambeck, einen historischen Tretradkran nachgebaut in der Originalgröße von 5,60 Metern Durchmesser.

Zwei Arbeiter fanden hier nebeneinander Platz, um im Laufschritt das Rad anzutreiben. Mit einer Umdrehung haben sie die Lasten einen Meter anheben können, erläutert Weise. Beim Nachbau konnte er auf ein Vorbild zurückgreifen, das sich auf dem Dachboden der Wismarer St. Nikolaikirche über die Jahrhunderte hinweg erhalten hat. Das hat man einfach vergessen abzubauen.

Vor der Leistung den Hut ziehen

Beim Besuch der Ausstellung in Wismar wird vor allem eins klar: Der Bau der gewaltigen Kirchen war ein unglaublich mühseliges Unterfangen. Wissenschaftlich fundierte Statik-Kenntnisse gab es es noch nicht. Also mussten die Bauleute des Mittelalters vieles ausprobieren und manches wieder einreißen oder nach einem Einsturz neu aufbauen.

Die haben sich damals Zeit genommen, sagt Rudi Heim. Der Polier arbeitet wenige Schritte entfernt in der Ruine der St. Georgen-Kirche, die gerade restauriert wird. Wir sind vielleicht zehn Jahre hier beschäftigt im Mittelalter haben sie über hundert Jahre an St. Georgen gebaut.

Die kriegszerstörte Kirche ist mit ihrem 3000 Quadratmeter großen Innenraum nicht nur die größte in Wismar: Sie gilt zurzeit als Deutschlands gewaltigste Kirchenbaustelle. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hatte sich der jahrzehntelang vernachlässigten Ruine angenommen, nachdem ihr Nordgiebel in einer Orkannacht des Jahres 1990 auf die gegenüberliegende Häuserzeile gestürzt war. Bis 2010 soll die Kirche wieder vollständig hergerichtet sein.

Rudi Heim ist seit drei Jahren damit beschäftigt, die Gewölbekappen des Kirchenschiffs wieder aufzumauern. Wenn er hoch oben in St. Georgen auf dem Gerüst steht und aus 35 Metern Höhe sozusagen vom zwölften Stockwerks eines Hochhauses hinunter in die Tiefe schaut, gilt sein Respekt den Bauleuten des Mittelalters: Vor dem, was die damals geleistet haben, muss man schon seinen Hut ziehen, findet er.

Die Ausstellung im Überblick

Die Ausstellung Gebrannte Größe Wege zur Backsteingotik ist noch bis zum 3. November 2002 in den Hansestädten Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund und Greifswald zu sehen. Jede Stadt setzt dabei einen anderen Themenschwerpunkt, um den Besuchern die faszinierende Epoche der Backsteingotik nahezubringen:

In Lübeck steht die Aussstellung unter dem Motto Die Hanse. Macht des Handels. Der Beitrag von Wismar entführt die Besucher unter dem Titel Bauten der Macht auf eine mittelalterliche Großbaustelle. Rostock widmet sich der Sprache der Steine: Hier laden die Schmuckformen der Backsteingotik zur Entdeckungsreise ein. In Stralsund steht die Maritime Macht der Hanse im Mittelpunkt: Ihr Erfolg gründete sich auf die Flotte ihrer Handelskoggen. Die Ausstellung in Greifswald widmet sich unter dem Titel Dialog des Glaubens der religiösen Welt des Mittelalters.

Weitere Informationen zu diesem Thema

www.wege-zur-backsteingotik.de

Erbauliche Lektüre

Wer keine Gelegenheit hat, die Wege zur Backsteingotik an Ort und Stelle zu beschreiten, kann sich an den ausgezeichneten Katalog zur Ausstellung halten. Höchst anschaulich beschreibt er die einzelnen Stationen der Schau. Darüber hinaus bietet er eine Fülle an Hintergrundwissen. Die fünf Bände zu den Themen Hansekaufmann, Schifffahrt, Kirchenbau, Schmuckformen und Religion sind jeweils auch einzeln erhältlich.

Lübeck, Die Hanse. Macht des Handels , ISBN 3-935208-13-8

Wismar, Bauten der Macht, ISBN 3-935208-14-6

Rostock, Die Sprache der Steine, ISBN 3-935208-15-4,

Stralsund, Maritime Macht, ISBN 3-935208-16-2,

Greifswald, Dialog des Geistes, ISBN 3-935208-137-0

Jeder Band kostet einzeln neun Euro. Die Gesamtausgabe kostet 38 Euro, ISBN 3-935208-12-X.

Erhältlich im Buchhandel sowie direkt beim Verlag: Monumente, Publikation der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, Telefon (02 28) 95 73 5-0, Telefax (02 28) 95 73 5-28, Internet: www.denkmalschutz.de/publikationen/shop

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