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Foto: handwerk.com

Die Kehrseite des Mindestlohns: Finanzkontrolle Schwarzarbeit

Bewaffnet und gefährlich

Betriebsprüfungen kennen Sie. Aber kennen Sie auch schon die Finanzkontrolle Schwarzarbeit? Ein bisschen wie ein schlechter Film – ohne Popcorn und mit Überlänge.

von Jörg Wiebking

Für Nina von Roden ist es ein Schock. Plötzlich stehen sie vor ihr – drei Männer in Zivil, jeder mit einer Pistole am Gürtel: „Guten Tag, der Zoll. Wir kommen wegen Schwarzarbeit.“

Auf Großbaustellen gehört so etwas zum Alltag. Aber in einem 46 Quadratmeter großen Friseursalon im niedersächsischen Geismar?

Und wieso überhaupt „wegen Schwarzarbeit“? „Ich bin günstig, aber ich arbeite doch nicht schwarz“, sagt die Friseurin gegenüber handwerk.com. „Meine Mutter hilft mir stundenweise, aber mit Arbeitsvertrag. Alles andere mache ich alleine.“

Alleine arbeitete sie auch an diesem Tag. Eine Kundin auf dem Stuhl, den nächsten Termin in einer Viertelstunde. Die vielleicht längsten 15 Minuten ihrer Selbstständigkeit.

Schnell unter Verdacht – und die Kunden bekommen alles mit!

Schwarzarbeit oder Mindestlohn?

Ausweiskontrolle, ein langer Blick ins Terminbuch, dann die entscheidende Frage nach den Mitarbeitern und Löhnen.

Nina von Roden: „Wie viele Stunden meine Mutter genau arbeitet, konnte ich in dem Moment nicht sagen, zwischen drei und vier Stunden in der Woche, manchmal auch weniger. Aber dass sie angemeldet ist und was sie verdient.“

Ein gefundenes Fressen für die Beamten. „Einer hat mir sofort unterstellt, dass meine Muter also sechs Euro die Stunde bekommt, weniger als den Mindestlohn. Ich weiß nicht, was er sich da ausgerechnet hat – jedenfalls stimmt es nicht.“

Wieso eigentlich Mindestlohn?
Ging es nicht eben noch um Schwarzarbeit? Schwarzarbeit hat viele Gesichter. Eines davon ist das Unterschreiten des Mindestlohns.

Kontrolliert werden Mindestlöhne von der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ (FKS), einer Abteilung des Zolls. Die FKS überprüft auch, ob Arbeitnehmer angemeldet sind und ob Subunternehmer in Wahrheit nicht scheinselbstständig sind. Treffen kann es also jeden.

An häufigsten trifft es im Handwerk jedoch die Mindestlohn-Branchen. Das sind die Gewerke, in denen es einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag gibt. So wie in Niedersachsen für die Friseure.

Beamte stehen im Weg
Für Nina von Roden geht es jetzt also um den Mindestlohn. Vor den Augen und Ohren der Kundin. Und mittlerweile wartete schon der nächste Termin in der Tür. „Die Beamten haben sich nicht einen Schritt bewegt und die Kundin kaum durchgelassen“.

Die Friseurin lässt sich nicht einschüchtern – und die FKS revanchiert sich.

„Ich konnte die drei ja nicht einfach rausschmeißen“

Die Friseurin ist ziemlich geladen. „Die haben sich mehrfach im Ton vergriffen und mich nur belächelt“.

Als sie Namen und Dienstausweis von einem verlangt, habe einer geantwortet: „Später, Frau von Roden, das machen wir später.“ Drei weitere Aufforderungen später habe einer endlich seinen Dienstausweis gezückt: Herr W., der Aggressivste aus dem Trio.

Nun ist Nina von Roden keine, die sich so ein Auftreten gefallen lässt. Ein Wort gibt das andere, die Stimmung wird nicht besser. „Ich konnte die drei ja nicht einfach rausschmeißen.“ Am Ende muss sie einen Zettel unterzeichnen, „den habe ich kaum gelesen, so wütend war ich“. Dann ist der Zauber vorbei.

Drei Tage später schreibt sie eine Dienstaufsichtsbeschwerde.

Der Zoll bedankt sich mit einem Termin zur Überprüfung ihrer Geschäftsunterlagen. „Das wäre sowieso gekommen. Die waren ja der Meinung, dass ich meine Mutter schwarz beschäftige.“

Termin bei der FKS: viel Aufwand – und viel heiße Luft!

Keine Beweise – was jetzt?

Von Roden muss eine Menge Unterlagen vorbereiten. Sieben dicke Ordner schleppt sie mit zu der Besprechung – und einen Rechtsanwalt. Das alles kostet sie viel Zeit und Geld.

Muss der Anwalt dabei sein?
Beim Zoll trifft sie wieder auf Herrn W. Er hat auch Verstärkung dabei: seinen Vorgesetzten. „Mir wurde klar unterstellt, dass meine Mutter mehr als angegeben für mich arbeitet – natürlich schwarz. Dabei haben die die ganze Zeit nicht einen Blick in meine Ordner geworfen“, berichtet von Roden. „Stattdessen hat W. meinem Anwalt dreimal vorgeschlagen, er könne ruhig wieder gehen, seine Anwesenheit sei hier doch nicht erforderlich.“

„Keine Ahnung vom Tarif oder der Handwerksordnung“
Der Anwalt bleibt. Die Beamten können ihre Behauptungen nicht beweisen und versuchen es mit einer letzten Attacke: Nina von Rodens Mutter ist Friseurmeisterin, sie selbst aber nicht. Also stehe der Mutter der Meisterlohn zu. Folglich zahle die Tochter doch zu wenig.

„Die hatten keine Ahnung vom Tarif oder von der Handwerksordnung“, glaubt die Handwerkerin. Denn sie hat für ihren Salon eine Ausnahmegenehmigung der Handwerkskammer, muss also keinen Meister beschäftigen. „Und im Arbeitsvertrag steht nichts davon, dass meine Mutter als Meisterin arbeitet. Damit ist das ganze Ding gekippt.“ Also kein Verfahren wegen Schwarzarbeit.

Und was sagt die FKS zu den Vorwürfen?

Was sagt die FKS zu den Vorwürfen? 

Die FKS verweist auf Schweigepflichten und „Sozialgeheimnis“. Daher könne sie keine „Auskunft über Einzelheiten einer Prüfung“ geben, schreibt Andreas Meyer, Sprecher der zuständigen Bundesfinanzdirektion Mitte.

So ganz unkommentiert will Meyer die Dienstaufsichtsbeschwerde der Friseurin jedoch nicht lassen. Von Rodens Darstellung unterscheide sich „erheblich von der Schilderung der drei bei der Prüfungsmaßnahme eingesetzten Zollbediensteten“.

Ist das Auftreten so üblich?
Ganz allgemein allerdings, weist Meyer darauf hin, dass Mitarbeiter überwiegend in Dienstkleidung auftreten und sich auf Verlangen auch ausweisen. Durch den öffentlichen Hinweis auf eine Prüfung nach dem Schwarzarbeitsgesetz würden alle Beteiligten über Anlass, Rechtsgrundlage und Mitwirkungspflichten unterrichtet. Das „impliziert keine Verdächtigung“.

Ob anwesende Kunden das wohl auch so verstehen?

Und ist Nina von Roden vielleicht selbst schuld?

Ist die Friseurin selbst schuld?

Und dann fügt der FKS-Sprecher in seinem Schreiben noch etwas hinzu, wonach wir gar nicht gefragt hatten: „Je größer die Kooperationsbereitschaft der Arbeitnehmer bzw. Betriebe ist, je rascher und weniger störend für die Betriebsabläufe kann die Prüfungsmaßnahme im Ergebnis dann auch durchgeführt werden.“

Also war im Fall von Nina von Roden erstens alles ganz anders und sie zweitens wohl selbst schuld am Auftreten des FKS-Trios?

Darüber kann die Friseurin nur lachen: „Ist doch klar, dass sich die Behörde vor ihre Mitarbeiter stellt. Aber ich habe zwei Kundinnen als Zeugen.“

Dennoch ärgert sie sich über die Stellungnahme der FKS: „Wenn ich bei einer Kundin einen Fehler mache, dann muss ich dafür geradestehen. Aber wenn so etwas einer Behörde passiert, dann wird einfach erst mal das Gegenteil behauptet.“

Wird sie dagegen angehen? „Wozu denn? Wer schon einmal Besuch von der FKS hatte, weiß genau, wie die auftreten.“

Tatsächlich? Wie sind denn die Erfahrungen anderer Friseure mit der FKS?

Im Kampfanzug die Eingänge besetzt

Auch Andreas Popp weiß, wie die FKS teilweise unterwegs ist.

Der Friseurmeister berichtet von Kontrollen, bei denen „Beamte im Kampfanzug an umsatzstarken Tagen legal arbeitende Salons betreten, die Ausgänge sichern und erst mal keinen rein- oder rauslassen“.

Popp kennt die Beschwerden der Kollegen nur zu genau. Er ist Bundesvorsitzender und bayerischer Landesvorsitzender der Innungsfriseure.

Für Kontrollen – aber bitte in einem anderen Ton
Dabei ist Andreas Popp durchaus für die Kontrollen – nur nicht so. Schließlich gehe das auch anders: „Wir arbeiten in München sehr intensiv und erfolgreich mit der FKS zusammen.“

Erfolgreich bedeutet für ihn: Die FKS im München verhält sich weniger aggressiv, wird dafür aber fündig. In anderen Regionen Bayerns sehe das anders aus.

Höflich kann die FKS auch in Niedersachsen. Wenn es nicht anders geht.

Am Ende eine überraschende Bitte

Dass die FKS auch anders kann, bestätigt Friseurmeisterin Nina von Roden. Denn nachdem ihr die Beamten nichts nachweisen können, nimmt die Prüfung eine überraschende Wende: Zöllner W. wechselt den Tonfall.

„Er hat mich dann nachdrücklich gebeten, in meinen Lohnabrechnungen künftig die geleisteten Arbeitsstunden auszuweisen.“ Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage, erwidert von Rodens Anwalt. Deswegen „bitte“ er ja auch darum, habe W. geantwortet.

Eine Bitte, die Nina von Roden nicht erfüllen wird. „Ich habe auch so schon genug zu tun, da halse ich mir bestimmt keine Sonderarbeiten auf.“

Sicher ist sich die Handwerkerin auch in einem anderen Punkt: „Die kommen wieder, garantiert.“



(jw)


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