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Alternative Fassadendämmung

Charmante Aussenseiter

Sie kommen aus der Natur und sorgen für warme Wände: Moderne Dämmstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen punkten sogar im direkten Vergleich mit konventionellen Industrieprodukten.

Ulrich Steinmeyer kennt sich aus mit den Stärken und Nöten der Naturdämmstoffe. Seit 19 Jahren dämmt seine Biber GmbH, ein Handels- und Handwerksunternehmen für biologische Baustoffe, mit nachwachsenden Rohstoffen. Mal isoliert das Verdener Unternehmen Häuser mit Hanf, mal mit Holzweichfaser, wenn der Kunde es will – meistens aber mit Zellulose.

Obwohl die Naturdämmstoffe ihren künstlich hergestellten Gegenstücken zum Teil sogar überlegen sind, kommen sie aus ihrer kleinen Markt-Nische nicht heraus. Dabei liegt es nicht einmal an der Nachfrage: „Wir haben mal ermittelt, dass sich 30 Prozent der Bauherren dafür interessieren, aber nur drei Prozent setzen das auch um“, sagt Steinmeyer.

Ein Problem steckt darin, dass Neubau und energetische Sanierung in der Regel von einem Energieberater oder Architekten begleitet werden. Wenn dieser Planer die Dämmmöglichkeiten mit Naturstoffen nicht kennt, scheiden sie automatisch für ein Projekt aus.

Nachfrage übertrifft das Angebot
Dabei ist das Kundeninteresse groß wie nie: Steinmeyers Biber GmbH bekommt zurzeit Anfragen aus ganz Niedersachsen, die sein 16-köpfiger Betrieb unmöglich bearbeiten kann. „Die Nachfrage steigt gerade stark an. Aber es fehlt an Architekten und Handwerkern, die diese Nachfrage in den Regionen bedienen können“, sagt Steinmeyer.

Gegebenenfalls braucht es dafür eine Weiterbildung, weil die Naturdämmstoffe einen etwas höheren Anspruch in der Verarbeitung haben. Steinmeyers Betrieb setzt vor allem wegen der Kosten auf Zelluloseflocken, die in Hohlräume eingeblasen werden.

Um Zellulose als Außendämmstoff zu nutzen, bedient sich der Betrieb einer Konstruktion aus dem Holzrahmenbau. Dabei montieren die Handwerker Kanthölzer mit mindestens zehn Zentimeter Dicke an der Außenwand. Auf den Hölzern verschrauben sie Weichfaserplatten – ein Hohlraum entsteht, in den die Zellulose eingeblasen werden kann. „Die Fasern einzublasen ist nicht das Problem. Das Zuschneiden der Weichfaserplatten ist etwas anspruchsvoller als bei den Polystyrol-Blöcken“, sagt Steinmeyer.

Seite 2: So lohnt sich Zellulose auch für Ihren Geldbeutel.

Natürlicher Schutz ohne Giftstoffe

Der Vorteil der Naturstoffe liegt laut Steinmeyer klar in der Ökologie, vor allem weil als Putz Kalk zum Einsatz kommt, der die Fassade vor Schimmelpilzen und Algen schützt. Bei der Kunststoffvariante würden hingegen sehr häufig giftige Fungizide eingesetzt, die die Fassade gegen den Bewuchs schützen sollen. „Allerdings werden sie mit der Zeit ausgewaschen und vergiften den Boden. Dabei verliert die Fassade natürlich auch ihren Schutz vor Schimmel und Algen“, sagt Steinmeyer.

Und wie schneidet der Naturstoff im Kostenvergleich ab? Und wie schneidet der Naturstoff im Kostenvergleich ab? Eine Zellulose-Dämmung mit zehn Zentimeter Dicke plus etwa fünf Zentimeter dicken Weichfaserplatten kostet laut Steinmeyer rund 120 Euro pro Quadratmeter. Polystyrol liegt da bei etwa 80 Euro. „Geht man aber stärker in die Dicke, um höhere Dämmwerte zu erreichen, wird die Zellulose-Dämmung kaum teurer, Polystyrol dagegen schon“, sagt Steinmeyer.

Diese Aussage belegt auch eine Preisliste der privatwirtschaftlichen Organisation IPEG, Institut für preisoptimierte energetische Gebäudemodernisierung GmbH. Das IPEG hat ein Kostendiagramm mit 37 verschiedenen Dämmstoffen im Magazin „Bauen im Bestand“ veröffentlicht.

Beste Preisleistung für hohe Dämmwerte
Will man einen sehr hohen Dämmwert, also einen Wärmedurchgangskoeffizienten von 0,1 Watt pro Quadratmeter und Kelvin erreichen, ist der Dämmstoff Zellulose am günstigsten. Er kostet dann zehn Euro pro Kubikmeter, Polystyrol liegt bei 23 Euro.

Das IPEG-Institut hat insgesamt über 230 verschiedene Dämmstoffe aufgelistet und dazu die wichtigsten Eigenschaften und ungefähre Preisangaben ermittelt. Die Listen sind zum Preis von knapp zehn Euro hier erhältlich.

Zellulose hat als preisgünstigste Naturdämmstoffvariante im Grunde keine Nachteile. Das Material besteht aus recyceltem Papier und wird – um es gegen Schimmel zu schützen und ihm brandhemmende Eigenschaften zu verleihen – mit Borsalz oder Ammoniumnitrat versetzt.

Ein neuer Naturdämmstoff kommt komplett ohne solche Zusätze aus. Und er übernimmt noch einen weiteren Zweck: Rohrkolben ist nicht nur von Natur aus gegen Schimmel, Schädlinge und Feuer gewappnet, er kann sogar statische Eigenschaften übernehmen. Das macht die Pflanze (lateinisch Typha) zu einem dämmenden Baustoff.

Was den Rohrkolben zum Alleskönner macht, lesen Sie auf Seite 3.

Ganz schön stabil

Das Fraunhofer-Institut für Bauphysik hat nun zusammen mit dem Unternehmen Typha Technik ein Verfahren entwickelt, mit dem sich der Typha-Baustoff herstellen lässt, ohne dass die positiven Eigenschaften der Pflanze verlorengehen: Durch ein einfaches Herstellverfahren mit Schneidetechnik bleiben die dämmende Funktion und das stabile Stützgewebe der Pflanze erhalten. Mit Magnesit als Bindemittel wird das Typha-Schnittgut zu Platten verpresst.

Als reine Außendämmung ist Typha mit einer Wärmeleitfähigkeit von 0,055 zwar nicht der isolationsstärkste Natur-Dämmstoff, aber insbesondere im Fachwerkbau können die Platten sinnvoll eingesetzt werden. Beispielsweise als Ausfachung zwischen den Fachwerkbalken geben sie der Struktur zusätzlichen Halt. „Als tragende Wände in Neubauten erlauben die Typhaplatten auch größere Abstände zwischen den Stützen“, sagt Theo Großkinsky vom Fraunhofer IBP. So lassen sich Holzskelettbauten mit Rohrkolben realisieren.

Und in Sachen Brandschutz steht Typha besser da als manch anderer Naturdämmstoff: Er erreicht die Brandschutzklasse B1 und gilt damit als schwer entflammbar – andere pflanzliche Dämmstoffe kommen ohne Zusätze laut IBP nur auf eine normale Entflammbarkeit.

Typha im Fachwerk
Die Altstadtfreunde Nürnberg haben mit dem Material ein altes Fachwerkhaus in Nürnberg saniert. Das Handwerkerhaus war vor Kurzem noch unbewohnbar, das Lehmflechtwerk als Ausfachung war weitgehend verrottet. Dort sitzen nun die Typhaplatten mit insgesamt 20 Zentimeter Dicke. Sie erreichen einen U-Wert von 0,35, womit das Haus im Soll bei der Energieeinsparverordnung liegt. „Für dieses denkmalgeschützte Haus war die Sanierung mit Typha sogar günstiger als die Alternativen“, sagt Großkinsky.

Ein Durchbruch in der Dämm- und Bautechnik mit Rohrkolben wäre sogar ein großer Gewinn für die Natur. Rohrkolben ist quasi eine natürliche Kläranlage und reinigt nährstoffbelastetes Wasser aus der Landwirtschaft. Zudem ließen sich mit Typha entwässerte Niedermoore wiederbeleben.

(Denny Gille)

Mehr zur Dämmung und Energieeffizienz erfahren Sie hier:

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