Die Welt ist schön, es gibt 1000 Geschichten, mit denen ich mich als Journalist beschäftigen darf. Und heute steht die Sozialkasse Bau ganz eindeutig NICHT auf meiner Themenliste. Dachte ich.
10.07 Uhr: Tischlermeister Eckhard S. kündigt ein "interessantes" Fax an: „Sende ich Ihnen nachher, ein Schreiben von der Soka-Bau.“
11 Uhr: Ein Anrufer, der Mann ist Mitarbeiter eines Stahl- und Anlagenbauers, möchte „eine seltsame Geschichte“ loswerden: Sein Betrieb hatte einen Nachunternehmer, der in einem Fertigteilwerk Betonstahl verlegt hat. Speziell für solche Arbeiten konnte der Sub eine Freistellung vorlegen. Später stellte sich heraus, dass der Sub rückwirkend in die Sozialkasse Bau einzahlen muss, weil er sukzessive auch andere Aufträge im Baubereich übernommen hatte. Mehr als 50 Prozent Bau, dann sind alle Mitarbeiter sozialkassenpflichtig. „Und weil der Nachunternehmer nicht zahlen will oder kann, sind die Leute von der Soka jetzt an den Auftraggeber herangetreten, also an uns.“ Es geht um 120.000 Euro. Aua.
Je später der Tag, um so schräger die Anrufe – lesen Sie Seite 2.
Das ist so hochgradig unfair
11.49 Uhr. Neuer Leserbrief zum Text über Olaf Bannik und dessen Maleschen mit der Sozialkasse Bau. Aus Angst davor, dass er (möglicherweise) an die Sozialkasse Bau nachzahlen muss, leidet Bannik gewissermaßen unter unternehmerischen Lähmungserscheinungen. Dazu schreibt handwerk.com-Leser Neuenhofer: „Meiner Meinung nach wäre die Sache schnell gegessen, wenn die Soka-Bau bei einem falschen Urteil schadensersatzpflichtig gemacht werden könnte.“
13 Uhr. Noch ein Telefonat, eine neue Geschichte. 1997: Der Unternehmer Thomas S. lässt seinen Betrieb freiwillig prüfen, weil er „seinen Mitarbeitern etwas Gutes tun will“. Ergebnis: nicht sozialkassenpflichtig. Das Baunebengewerbe sei „damals nicht sonderlich interessant“ für die Sozialkasse Bau gewesen, sagt S. Zeitsprung, 2008: Die Soka-Bau-Prüfer kommen ungerufen um die Ecke. Sein Kerngeschäft hat sich nicht verändert, nach wie vor baut er „Gartenhäuser, Carports und Saunen“ auf.
Die neue Einschätzung: Montage-Betrieb, sozialkassenpflichtig! Rückzahlung rückwirkend bis 2004, knapp 275.000 Euro, Zweidrittel der Summe hätte er von der Soka zurückbekommen. Weil er die Differenz „leider nicht in der Portokasse“ hat, meldet er im Oktober 2010 die Insolvenz an und schickt 15 Mitarbeiter nach Hause. Heute „wurstelt“ er alleine vor sich hin, darf bis zur Pfändungsfreigrenze Geld für sich und seine Familie verdienen: 1410 Euro.
Anekdoten von der Soka-Bau-Hotline – lesen Sie Seite 3.
Ihr Mitarbeiter hat gar keinen Urlaub
14 Uhr. Gerade gesehen, dass handwerk.com-Leser Marc Gebhardt auf unserer Facebook-Seite einen Beitrag gepostet hat, der exakt zur Geschichte von Thomas S. passt. Es könne nicht sein, schreibt Gebhardt, dass Institutionen wie die Soka-Bau mit „solch einer Geheimniskrämerei weiter Betriebe kaputtmachen. Kein Unternehmer kann seinen Kunden, weil er es verpennt hat, Jahre zurück noch Rechnungen stellen. Warum soll also eine Sozialkasse, die damals keinen klaren Bescheid vorgelegt hat, heute rückwirkend Zahlungen fordern können?" Ohne Bescheid habe der Unternehmer auch nicht die Chance, die Kosten in seine Kalkulationen einzurechnen.
15 Uhr. Ein Leser, nennen wir ihn Maik Schmidtke, wollte vorgestern die Lohn- und Urlaubsdaten eines Mitarbeiters über die Internetseite der Soka eingeben. Die immer gleiche Fehlermeldung bremst ihn aus, sein Mitarbeiter habe keinen Urlaub. Seltsam. Hier das Gedächtnisprotokoll seines Anrufs bei der Hotline der Soka-Bau.
Sachbearbeiterin: „Ich kann daran nichts ändern, der Mitarbeiter hat keinen Urlaubsanspruch. Ich verbinde.“ Warteschleife.
Zweite Kollegin: „Der Mitarbeiter hat seinen Urlaub offenbar aufgebraucht.“
Schmidkte: „Aber das Jahr hat doch erst angefangen, der hat noch 30 Tage."
Zweite Kollegin: "Nein, das nicht so, der hat keinen Urlaub. Ich verbinde.“ Warteschleife. Nach "gefühlten zehn Minuten" zur Abwechslung ein männlicher Sachbearbeiter: „Ihr Mitarbeiter muss seinen Urlaub erst einmal ansparen.“
Schmidtke: „Der Mann ist seit mehr als 20 Jahren bei mir angestellt.“
Sachbearbeiter: Er bekommt jeden Monat zwei Tage gutgeschrieben, wenn er genug Tage hat, kann er Urlaub nehmen.“
Schmidtke: „Aber dann kann er ja nur zweimal im Jahr Urlaub machen, 12 Tage im Juli, 12 Tage im Dezember. Die Soka kann mir doch nicht vorschreiben, wann ich meinen Leuten Urlaube gebe, der fährt jetzt 12 Tage.“
Nach fast 20 Minuten in Soka-Bau-Hotline gibt und legt Schmidtke auf.
Das "interessante" Fax kommt an – lesen Sie Seite 4
Wie ausnahmsweise ist ausnahmsweise?
14.30 Uhr. Die anderen Themen, die ich heute angehen wollte, kann ich wohl abhaken. Mir klingt die ganze Zeit ein Satz von Thomas S. im Ohr: „Wenn die Zwangsmitgliedschaft in der Sozialkasse Bau von Anfang bestehen würde – nach dem Vorbild der Berufsgenossenschaften –, dann würden solche Probleme gar nicht erst auftreten." Durch die jetzige Regelung würden immer wieder Betriebe wegen unerwarteter Rückzahlungen straucheln. Wenn Thomas S. gewusst hätte, das er Beiträge an die Soka-Bau zahlen musste, hätte er anders kalkulieren können: "Was problemlos möglich gewesen wäre." Das alles ist aus seiner Sicht "hochgradig unfair".
15.15 Uhr. Der Brief, den Eckhard S. von der Soka-Bau bekommen hat, liegt im Fax. Darin steht ein bemerkenswerter Satz: „Ausnahmsweise – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht – wären wir bereit, die Entschädigungssumme auf die Höhe der tatsächlich angefallen Beiträge anzupassen.“ Aufrechnung! Das ist Aufrechnung, oder? Sie ist möglich! Es ist zwar nicht so, dass Tischlermeister S. das Geld auf der hohen Kante hat, seine finanziellen Schwierigkeiten sind damit nicht aus der Welt. Andere Betriebe würden allerdings sich über diese Möglichkeit extrem freuen. Bleibt die Frage: Wie ausnahmsweise ist ausnahmsweise?
16.10 Uhr. Ich blättere ein wenig durch die Recherche-Unterlagen des vergangenen Jahres. Eindeutig: Es gibt reichlich Betriebsinhaber, die hier angerufen haben, weil sie diese Möglichkeit nicht hatten. Zwischenfinanzierung über die Hausbank, so heißt die nervige Alternative. Was so nett klingt, bedeutet nämlich: Zur Bank rennen, um das Geld für den kompletten Mahnbetrag betteln, das gesamte Paket des bürokratischen Gewiggels ertragen – und erst dann fließen die Erstattungsbeträge zurück, die dem Betrieb zustehen. Darüber haben sich übrigens auch Handwerksmeister beklagt, die immer pünktlich eingezahlt hatten und – meistens durch ein dummes Missverständnis oder einen noch dümmeren Buchungsfehler – bei der Sozialkasse Bau in Rückstand geraten waren.
17.02 Uhr. Zum guten Schluss eine Presseanfrage an die Sozialkasse Bau: „Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe heute ein Schreiben gelesen, in dem die Sozialkasse Bau einem Betrieb die „Entschädigungssumme“ und die „tatsächlich angefallen Beiträge“ verrechnet hat. Unter welchen Bedingungen wird die Soka in der Zukunft die Aufrechnung ermöglichen und den Betrieben zugestehen? Haben Ihre Sachbearbeiter in dieser Hinsicht bestimmte Vorgaben?“ Fortsetzung folgt.
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