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Der Fall der Friseure

Das Paradoxon von Quakenbrück

Immer weniger Lehrlinge, immer mehr selbstständige Jungmeister – was im Friseurhandwerk vor sich geht, scheint widersinnig. Doch dahinter steckt eine fatale Logik.

Es ist wie vielerorts, Läden stehen leer. Fleischer, Bäcker und andere Wirtschaftszweige dünnen aus, erzählt Bärbel Brand. Doch die Zahl ihrer Wettbewerber in der Stadt wächst. Mehr als ein Dutzend Friseurgeschäfte gebe es inzwischen in Quakenbrück, hinzu kämen mobile Friseure und solche, die ihre Dienste zu Hause anbieten. 13.000 Einwohner zählt die Gemeinde zwischen Osnabrück und Oldenburg. 13.000 Einwohner, dafür wären sechs Friseurgeschäfte ausreichend, sagt Brand.

Vor 45 Jahren hat die Friseurmeisterin ihren Salon eröffnet. Sie hat harte und gute Zeiten erlebt, wie sie sagt. Was sie seit einigen Jahren beobachtet, beschreibt sie als "Niedergang" ihres Handwerks. Sie meint damit nicht nur die "Dumpingpreise", mit denen neue Minibetriebe das Geschäft verderben. Sie meint damit auch ein "sinkendes handwerkliches Niveau" – und sorgt sich um den Berufsnachwuchs.

Während die jungen Friseurmeisterinnen in Quakenbrück mehr geworden sind, ist die Zahl der Bewerber um eine Ausbildung extrem zurückgegangen. "Früher hatten wir jedes Jahr um die 50 Bewerbungen", sagt Brand. Vor fünf Jahren wurden es weniger. "Seit zwei Jahren haben wir null."

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Das Problem mit den Klischees

Dass sich niemand mehr bei ihr um eine Lehrstelle bewirbt, führt die 68-Jährige auf das Image des Berufs zurück. "Man denkt über uns in Klischees." Friseur, das sei für viele gleichbedeutend mit schlechten Löhnen und zahllosen Überstunden. Das liege nicht zuletzt an den negativen Medienberichten über die Branche. Brand selbst zahlt ihren fünf Mitarbeiterinnen Tariflöhne.

Wie das mit Klischees so ist, sie halten sich deshalb, weil sie nicht ganz falsch sind. Die niedrigen Löhne in zahlreichen Betrieben gelten auch als Grund dafür, warum Gesellinnen die Flucht nach vorne antreten. Gesellinnen, von denen die meisten gerade so durch Prüfung gerutscht sind: "Sie bestehen die Prüfung mit der Note 4 und gehen dann gleich auf die Meisterschule", sagt Brand. Sie weiß das so genau, weil ihre Tochter Lehrerin an einer Berufsschule ist.

Zweifellos, die Jugend hat es eilig. "Der Anteil der Friseure, die sofort nach der Gesellenprüfung den Meisterbrief anstreben, hat zugenommen", berichtet ein Mitarbeiter des Berufsbildungs- und Technologiezentrums der Handwerkskammer Osnabrück. Vor allem in Vollzeitkursen seien "viele junge und auch sehr junge Meisterschüler". Ihre handwerkliche Vorbildung sei "nicht so breit" wie die früherer Jahrgänge. Auch die Friseurmeisterschule in Oldenburg verzeichnet "mehr junge Kandidaten". Die meisten seien hier zwischen Anfang und Mitte Zwanzig.

Der Trend, sich früh selbstständig zu machen, sei bei Friseuren unverkennbar, sagt der Mitarbeiter der Kammer. Er hegt Zweifel, dass alle diese jungen Menschen schon soweit sind, Betriebe zu führen.

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Der Schwellenwert, der den Markt spaltet

Zahlen belegen, dass es dem Land mitnichten an Jungmeistern und Existenzgründern fehlt. In Niedersachsen haben von 2010 bis 2012 jedes Jahr etwa 350 Frauen und Männer die Meisterprüfung abgelegt. Zehn Jahre zuvor waren es im Schnitt noch 70 weniger. Die Zahl der Friseurbetriebe stieg in der Zeit von 2001 bis 2013 von 5900 auf 7400. Das zeigt die Statistik der Landesvereinigung der Handwerkskammern.

Deutschlandweit gibt es derzeit rund 80.000 Betriebe. Vor zehn Jahren waren es 65.000. Laut Schätzung des Zentralverbands des Friseurhandwerks ist die Zahl der "Ein-Personen-Unternehmen" in den vergangenen Jahren auf über 20.000 explodiert. Von einer "Atomisierung" der Branche ist die Rede. Diese schlägt sich auch darin nieder, dass heute knapp 30 Prozent weniger Betriebe ausbilden als Anfang des Jahrhunderts.

Minibetriebe folgen laut Verband der Logik des Preiskampfes. Und der Gesetzgeber billigt ihnen auch noch einen Wettbewerbsvorteil zu. Wer weniger als 17.500 Euro im Jahr umsetzt, ist von der Mehrwertsteuer befreit. Der Friseurmeister René Krombholz hat das beispielhaft durchgerechnet. Der Gründer der Initiative "Der faire Salon" kommt zu dem Ergebnis, dass einem Minibetrieb pro 1000 Euro Umsatz unter dem Strich 118 Euro mehr Gewinn bleiben. Klar, dass jemand dann für einen einfachen Herrenhaarschnitt nicht 14 Euro nehmen muss wie Bärbel Brand. Zehn Euro kostet der Schnitt bei Konkurrenten in Quakenbrück.

Zudem verzerren illegale Praktiken den Wettbewerb. Durch Schwarzarbeit schrumpft der legale Branchenumsatz um 20 Prozent, schätzt der Zentralverband. Eine vorsichtige Schätzung, zumal angesichts der Tricks, mit denen die seit knapp sieben Monaten geltenden bundesweiten Mindestlöhne umgangen werden.

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Der Mindestlohn und die kleinen und großen Trickser

Allgemeinverbindlich. Das ist ein Wort, mit dem große Hoffnungen verbunden sind. Seit August vergangenen Jahres gilt im Friseurhandwerk ein allgemeinverbindlicher Mindestlohntarifvertrag. Mindestens 7,50 Euro in der Stunde müssten demnach Gesellen in Westdeutschland verdienen, im Osten 6,50 Euro. Doch so mancher Arbeitgeber zeigt sich unverbindlich. René Krombholz nennt als Beispiel hohe Umsatzvorgaben, die Friseur-Ketten ihren Mitarbeitern machen – auf der Basis der gleichen Arbeitszeit. Eine Billig-Kette soll sogar das 4,4-fache des Bruttolohns vorgegeben haben. So etwas bedeutet jede Menge Überstunden für lau.

Ein anderer Trick mit unbezahlten Überstunden: "Mitarbeiter werden als Teilzeitkräfte angemeldet, arbeiten in Wirklichkeit aber länger", sagt Jans Wagner. Er ist der Lebensgefährte von Bärbel Brand und für die kaufmännische Seite des Betriebs zuständig. Wagner vermutet, dass manche Wettbewerber nur zwei Drittel der tatsächlichen Arbeitszeit entlohnen. Große Angst aufzufliegen, müssen Trickser nicht haben, meint Wagner. Denn "die Behörden können das nur schlecht kontrollieren".

Schlecht deshalb, weil die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) mit solchen Aufgaben überfordert ist, wie die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft selber sagt. Um Manipulationen aufzudecken, müssten die Fahnder Geschäftsunterlagen durchleuchten können. Dafür aber sind sie nicht ausgebildet. Momentan behelfen sie sich fallweise damit, dass sie gemeinsam mit Finanzbeamten Betriebe kontrollieren, erst im Juli 2013 hat der Gesetzgeber den Weg für diese Kooperation geebnet. Der Gewerkschaft genügt das nicht. Sie fordert, bei der FKS eine eigene Sparte mit Betriebsprüfern einzurichten. Bei der neuen Bundesregierung ist sie auf offene Ohren gestoßen. "Da wird sich einiges tun", sagt ein Gewerkschaftssprecher. Wie es aussieht, werde die FKS personell verstärkt, und es werde eine "Spezialisierung erfolgen".

Mindestlöhne und tiefergehende Kontrollen  – der Zentralverband der Friseure hält das für probate Mittel im Kampf gegen das Preisdumping und, um vom schlechten Image wegzukommen. Doch Bärbel Brand macht sich keine Illusionen: Die Lage in Quakenbrück wird schwierig bleiben, befürchtet sie. Mit seinem Paradoxon wird das Friseurhandwerk noch eine Weile leben müssen.

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