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Foto: handwerk.com

Freiwillige in Aktion

Die Turbo-Sanierer

Neun Tage lang haben etwa 140 Ehrenamtliche rund um die Uhr ein denkmalgeschütztes Haus in Hann. Münden saniert. Es gehört einer Bürgergenossenschaft. Unter den Helfern waren viele Handwerker aus der Region. Das Modell soll nun Schule machen – doch im Handwerk gibt es auch kritische Stimmen.

Es war eine Baustelle, wie sie Ewald Lotze noch nicht gesehen hatte: Scharen von Helfern zogen an ihm vorbei, angekündigte und spontan hinzugekommene, Fachleute und völlige Laien. Teams formierten sich und lösten sich wieder auf, Pläne und Schichtsysteme wurden aufgestellt, untergraben und vermisst. Die Helfer waren angetreten, um ein 300 Jahre altes Fachwerkhaus in der Speckstraße zu sanieren, eine denkmalgeschützte Ruine mit verkohltem Dachstuhl, seit einem Brand im Jahr 2004 stand sie leer. „In diesem Gewusel zu arbeiten, das war schon eine Herausforderung“, sagt der Seniorchef der Zimmerei Lotze-Franke in Hann. Münden. Gemeinsam mit zwei anderen Zimmereibetrieben hat Lotze-Franke den alten Dachstuhl abgerissen und einen neuen auf das Haus gesetzt – unentgeltlich, im Dienste des Denkmalschutzes. Nach zwei Tagen konnte Richtfest gefeiert werden.

Das Freiwilligenprojekt „9 mal 24“ sollte innerhalb von neun Tagen komplett abgeschlossen sein. Es war Teil des Festivals „DenkmalKunst – KunstDenkmal“. Die Initiatoren wollten damit die Schönheit der historischen Altstadt und gleichzeitig auch deren Brüchigkeit ins Blickfeld rücken. Etliche der mehr als 500 denkmalgeschützten Gebäude in Hann. Münden stehen leer und sind dringend sanierungsbedürftig. Neben Handwerksbetrieben haben sich Architekten, Statiker, Denkmalschützer und andere Fachleute am Projekt beteiligt. Sponsoren steuerten Dachziegel, Kabel und Fliesen bei und die Gastronomiebetriebe vor Ort sorgten für die Verpflegung der Helfer. Die Idee für den Sanierungsmarathon stammt von dem Mündener Hotelier und gelernten Tischler Bernd Demandt. Er hatte das Fachwerkhaus zunächst privat gekauft, mittlerweile gehört es jedoch der Bürgergenossenschaft „Mündener Altstadt“, die Demandt zufolge bereits über 230 Mitglieder hat.

Welche Stimmung auf der Baustelle herrschte und ob das Haus fertig geworden ist, lesen Sie auf Seite 2. 

Nicht genügend Fachleute auf der Baustelle

„Originelle Ideen sind immer gut für so eine Altstadt, die sonst langsam zugrunde gehen würde“, findet Ewald Lotze. Den Schulterschluss mit seinen Mitbewerbern hält er in solchen Fällen für selbstverständlich: „Wir sind Innungsbetriebe, und wenn es drauf ankommt, dann schlagen wir zusammen zu.“ Initiator Demandt hatte allerdings „einen Bammel davor, dass auf der Baustelle eine negative Stimmung herrscht und die sich gegenseitig die Dachlatten auf den Kopf schlagen“. Unter einem solchen Zeitdruck zu arbeiten, dass könne schließlich ganz schön an die Nerven gehen.

Seine Befürchtungen sieht er jedoch nicht bestätigt, ganz im GegenteiI, die Stimmung sei sehr gut gewesen. Das sieht auch Martin Trebing aus Großalmerode so. Der Malermeister und Techniker für Baudenkmalpflege hat auf der Baustelle kaum Malerarbeiten verrichtet, weil die anderen Arbeiten stockten. Er hat Böden abgedeckt, den Förderkran für Ziegel bedient und Gefache mit Lehmstein ausgemauert – unter anderem. In neun Tagen könne man kein Haus nach allen Regeln der Kunst restaurieren, man könne es nur sanieren. „Aber die Fassade sieht so aus, wie sie einmal war.“

Fertig geworden ist das Fachwerkhaus in den neun Tagen allerdings nicht. „Wir hatten insgesamt doch zu wenige Fachleute, um das in der Zeit zu schaffen“, erklärt Bernd Demandt. So hätten sie zwar Dachziegel geschenkt gekriegt, aber zunächst keinen Dachdecker gehabt und auch keinen Maurer. Durch die Berichterstattung in den Medien sei dann aber doch noch Verstärkung gekommen, sogar aus Bremerhaven und Frankfurt seien Handwerker herbeigeeilt. „Der Rohbau steht“, sagt der 47-Jährige. „Wir haben etwa 60 Prozent der Arbeiten verrichten können.“ In den kommenden Wochen werde es daher noch weitergehen, nach der Abschlussfeier in der Kirche habe ein Teil der Helfer gleich weitermachen wollen. Und ein 76-jähriger Mauer sei am nächsten Morgen schon wieder auf der Baustelle gewesen.

Warum es auch kritische Töne gab, lesen Sie auf Seite 3.

Kritische Stimmen: Qualität muss gewährleistet sein

„Meine einzige Kritik war, dass die Qualität leidet, wenn zu viele Hobbyhandwerker im Einsatz sind“, sagt die stellvertretende Geschäftsführerin der Kreishandwerkerschaft Südniedersachsen, Sabine Heuer. „Wenn sich später Schäden zeigen, wer haftet dann dafür?“ Ansonsten sei das schon eine beeindruckende Gemeinschaftsaktion für eine gute Sache gewesen. Vertreter von Handwerkskammer und Kreishandwerkerschaft hätten sich die Baustelle vor Beginn der Aktion angesehen und das Vorhaben für unbedenklich erklärt, „weil kein gewerbliches Interesse dahintersteht“. Einige Handwerksbetriebe hätten sich jedoch darüber beschwert, dass durch die Aktion bezahlte Aufträge am Handwerk vorbeigegangen seien, berichtet Demandt. Eine Sanierung hätte nach seinen Schätzungen etwa 500.000 Euro gekostet – inklusive der Kosten für Architekten, Statiker und das Material. „Das könnte man gar nicht erwirtschaften, die Bürgergenossenschaft wäre pleite gewesen, bevor sie angefangen hätte.“ Auch Ewald Lotze sagt mit Blick auf die Kürzungen in der Städtebauförderung: „Das Gebäude hätte nie jemand angepackt.“

Aus Sicht des Seniorchefs war das Ganze eine gelungene PR-Aktion für das Handwerk: „Was glauben Sie, wie oft ich auf der Abschlussveranstaltung in meiner Zimmererkluft fotografiert worden bin?“  Und wie soll das Projekt nun weitergehen? Wenn das Fachwerkhaus fertig ist, darf der Verein „Mündener Kunst-Netz“ einen Teil der Räume als Ateliers nutzen. Darüber hinaus will die Bürgergenossenschaft mehrere Apartments vermieten. Die Einnahmen sollen in weitere Sanierungsprojekte fließen. Demandt erzählt von Anfragen aus anderen Kommunen, „die eventuell auch so etwas organisieren wollen“. Das Projekt könnte also Schule machen.

(afu)


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