Korruption ist im Gesundheitswesen an der Tagesordnung: Allein die KKH Allianz hat im vergangenen Jahr 818 neue Fälle aufgedeckt. Schaden: eine Million Euro. Strafanzeigen: 106. Auch das Gesundheitshandwerk ist betroffen: Die Kasse ermittelte 2009 in 28 Fällen gegen Orthopädietechniker, in sieben gegen Optiker, in fünf gegen Hörgeräteakustiker und in sechs Fällen gegen Orthopädieschuhhersteller.
Die Bundesinnung für Hörgeräteakustiker (biha) in Mainz hat das Thema zusammen mit Medien seit Januar 2009 offensiv in Angriff genommen, berichtet Hauptgeschäftsführer Jakob Stephan Baschab. Zuvor sei rund die Hälfte aller Hörgeräteakustiker an Bestechungen beteiligt gewesen. Pro Ohr hätten sie im Schnitt 120 Euro gezahlt. „Sie waren Täter und Opfer zugleich“, betont Baschab. Kaum ein Betroffener möchte in die Öffentlichkeit. Die Angst sei zu groß, existenziellen Schaden zu nehmen.
Deshalb bleibt die Hörgeräteakustikermeisterin, die mit handwerk.com gesprochen hat, anonym. Ihr Fall ist typisch: Anke F.* betreibt in einer Kleinstadt im Rhein-Main-Gebiet ein Geschäft. Der HNO-Arzt, der sie bei Kunden empfahl, hatte sie unter Druck gesetzt. Jahrelang hat sie dafür gezahlt, dass der Arzt ihre Leistung positiv bewertet. Wäre kein Geld geflossen, hatte ihr Geschäft keine Verordnungen mehr bekommen. „Schmiergeld zu zahlen, war vor dem neuen Gesetz gang und gäbe“, weiß die Handwerksmeisterin.
Mit dem neuen Gesetz meint F. den Antikorruptions-Paragrafen 128 Sozialgesetzbuch V. Seit April 2009 verbietet er Bezahlmodelle und schränkt den verkürzten Versorgungsweg stark ein. Doch damit sind die Probleme nicht aus der Welt: Viele Ärzte suchen neue Schlupflöcher im Gesetz, um an Hörsystemverordnungen mitzuverdienen.
„Als ich nicht mehr bezahlt habe, wollte der HNO-Arzt plötzlich eine Beteiligung an meinem Geschäft“, berichtet Anke F. Eine gruselige Vorstellung, die für die Unternehmerin nicht infrage kam. Von Kunden habe sie später erfahren, dass der Arzt zusammen mit dem zweitem HNO-Arzt am Ort ein Hörgerätezentrum eröffnen wird. Neukunden kann sie von dem Mediziner nicht mehr erwarten.
„Wir zählen schon circa. 150 Geschäfte, in denen HNO-Ärzte unmittelbar beteiligt sind oder mittelbar durch Ehefrauen, Treuhänder, Rechtsanwälte oder sonstige Bekannte“, sagt biha-Geschäftsführer Baschab und betont: „Es kann nicht sein, dass derjenige, der eine Verordnung ausstellt, sich daran wirtschaftlich bereichert.“ Die verschiedenen Leistungsbereiche müssten im Sinne von Wettbewerb und Verbraucherschutz klar voneinander getrennt sein. Unternehmerin F. hofft, dass die biha in anstehenden Musterprozessen gegen die HNO-Ärzte-GmbHs erfolgreich sein wird. Zurzeit hält sie sich mit Nachversorgungen über Wasser, für die keine Verordnungen notwendig sind. Und zaghaft belebt sich das Geschäft: „Es gibt wieder mehr ehrliche Empfehlungen.“
* Name ist der Redaktion bekannt.