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Foto: handwerk.com

Flüchtlinge im Betrieb

Einfach mal ausprobieren

Ein Flüchtling aus Afghanistan zählt zu den besten Lehrlingen, die dieser Unternehmer je hatte. „Habt keine Angst“, rät Cengiz Canata allen Betrieben. „Ihr könnt nur gewinnen.“

Cengiz Canata hat mit seinem Lehrling

Friseur Lüneburg Cengiz Canata

Vier Mitarbeiter, viele Stammkunden, das Geschäft läuft. Um seinen Betrieb muss sich Cengiz Canata keine Sorgen machen. Sorgen aber macht er sich um die Zukunft seines Berufsstands in Lüneburg. Seit über 40 Jahren lebt der gebürtige Istanbuler in Deutschland. Hier hat er seine Ausbildung abgeschlossen. Hier hat er seinen Betrieb gegründet, den er seit 23 Jahren leitet.

„Früher waren wir 30 Leute in der Berufsschulklasse“, sagt Canata. Und heute? Zehn Ausbildungsbetriebe im Friseurhandwerk zählt die Stadt noch. Dem Unternehmer bereitet das Sorgen. Über 20 Lehrlinge hat er in seinem Berufsleben ausgebildet. Vom Hauptschüler bis zum Studienabbrecher, Deutsche, Migranten – jeder hat bestanden. Zurzeit sei der Markt voll mit jungen Talenten. „Sechs von ihnen hatte ich dieses Jahr selbst im Betrieb“, sagt Canata. Die minderjährigen Flüchtlinge absolvierten bei ihm ein Praktikum. „Alle waren super“, erzählt Canata. „Aber ich kann sie nicht alle gleichzeitig ausbilden.“

Kein Grund zur Sorge
Sein Anliegen: „Ich hoffe, dass noch mehr Unternehmer es einfach mal mit einem Flüchtling probieren.“ Dass mancher Betrieb dem Thema skeptisch gegenübersteht, kann er verstehen. Allerdings sei die Skepsis unbegründet, berichtet Canata aus eigener Erfahrung. Fähigkeiten und Charakter seiner Praktikanten haben ihn beeindruckt. „Alle waren unheimlich diszipliniert erzogen“, erzählt der Unternehmer. „Keiner von denen hatte ein professionelles Handwerk gelernt, aber wow, ich habe mich gewundert, wie begabt die alle sind.“

Canata will Unternehmerkollegen dazu ermutigen, Flüchtlingen einfach ein Praktikum anzubieten. Damit gehe man schließlich kein Risiko ein. Orientierungspraktika von bis zu drei Monaten lassen sich für Flüchtlinge mit geringem Aufwand beantragen. Seit Mitte 2015 braucht es dazu nicht einmal die Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit. „Ein Praktikum tut keinem weh“, sagt Canata. Dadurch könne jeder leicht feststellen, ob er Spaß daran hat, mit einem Flüchtling zu arbeiten. „So oder so, man kann nur gewinnen“, verspricht der Unternehmer. Und kommt es tatsächlich zur Ausbildung, können sich Betriebe die sogar mit Zuschüssen fördern lassen.

Beliebt bei den Kunden
Doch was, wenn das gar nicht das Problem ist? Was, wenn der Flüchtling bei den Kunden auf Ablehnung stößt? Aus Gesprächen mit befreundeten Unternehmern hat Canata diese Sorge herausgehört. Und beruhigt: „Unser Moin Ararsalani zum Beispiel ist bei den Kunden super beliebt.“ Der 21-jährige Flüchtling aus Afghanistan lebt seit drei Jahren in Deutschland. Einst war er Praktikant bei Cengiz Canata, inzwischen ist er im zweiten Lehrjahr.

Der Chef ist von ihm begeistert. Moin Ararsalani ist begabt, weiß mit den Kunden umzugehen und steht in der Berufsschule grundsolide da. Moin Ararsalani spricht fließend deutsch. Ein Wunder? Nein. Das ist das Ergebnis der Ausbildung. „Die normalen Sprachkurse für Flüchtlinge reichen nicht aus“, sagt Ararsalani kritisch, „nur wenn man viel mit Leuten redet, lernt man die Sprache gut.“ Und da hat ihm die Ausbildung geholfen. „Nur der Anfang war schwierig“, erinnert sich der Azubi. „Nach einem halben Jahr sieht das ganz anders aus.“

Auch Cengiz Canata meint, die Bedeutung der Sprachhürde sollte man nicht zu hoch hängen. „Die Motivation ist bei den Flüchtlingen, die ich kennengelernt habe, sehr hoch. So lassen sich kleine Startschwierigkeiten leicht meistern.“ Vom praktischen Geschick her, gehöre Moin Ararsalani zu den besten Lehrlingen, die Canata je hatte. Das bestärkt ihn darin, auch künftig neuen Lehrlingen eine Chance zu geben. „Ich bin selbst auch Ausländer und froh, dass aus mir etwas geworden ist“, erklärt der 50-Jährige.

Auf welchen Wegen Chengiz Canata seine Azubis außerdem findet, und warum sie gern in seinem Betrieb lernen, erzählt er hier im Video.

(deg)

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