Foto: Heiner Siefken

Inhaltsverzeichnis

Panorama

Wenn die Erde unter der Werkstatt aufreißt

Da werden die eigenen Probleme ganz klein: Wir haben einen Bauhandwerker getroffen, der seine Werkstatt und sein Wohnhaus abreißen muss.

  • Erdbeben in Mexiko stellt das Leben des Tischlers Cristhian Hernández auf den Kopf.

  • Deutscher Bauexperte inspiziert Hernández‘ Betrieb in einem Vorort von Mexiko-Stadt.

  • Ergebnis: Das Gebäude ist nicht mehr sicher, muss abgerissen werden.

  • Staatliche Hilfen kommen bei Hernández und seinen Mitarbeitern nicht an.

13.14 Uhr. Noch ist es ein ganz normaler Dienstag in der Tischlerwerkstatt, die Mitarbeiter von Cristhian Hernández (Foto) arbeiten mit Hochdruck an einer Küchenzeile, der Abgabetermin naht. Hernández‘ Kinder spielen nebenan im Wohnzimmer. Plötzlich wackelt der Boden. Der Chef und seine Leute sehen sich kurz an, sie wissen genau, wie sie sich verhalten müssen. Jeder in Mexiko-Stadt kennt die wichtigste Regel bei einem Erdbeben: Raus! Raus auf die Straße!

13.15 Uhr. Die Erde bebt schwer, es ist „unheimlich laut“. Hernández kann kaum laufen. Er registriert, dass seine Kinder bereits in der Tür stehen. Irgendwie schaffen es alle nach draußen.

Der Schock nach dem Schock

Das Erdbeben vom 19. September hat Mexiko-Stadt hart getroffen. Die Bilder, Zahlen und Geschichten gehen um die Welt. Die Trümmerberge. Die 326 Opfer. Die 20 Schüler, die unter den Mauern ihrer Schule begraben werden.

Cristhian Hernández hat Glück. Zunächst. Niemand aus seiner Familie und aus den Familien seiner Mitarbeiter ist verletzt. Unmittelbar nach dem Beben geht der 31-Jährige mit seinen Leuten zurück in die Werkstatt und schafft die Maschinen auf die Straße: „Darüber musste ich nicht lange nachdenken, die Maschinen sind mein wertvollster Besitz.“

Dann betrachtet er die Straße vor seinem Haus, sie hat sich wie in Wellen angehoben. Er sieht die ersten Risse im Boden und den Wänden seiner Werkstatt – und ahnt Böses.

Ein Leben auf dem Wackelpudding

Mexiko-Stadt gehört zu den Hochrisikogebieten für Erdbeben, zudem steht die Metropole auf einem schlammigen Untergrund, einer Art Wackelpudding, auf dem mehr als 20 Millionen Menschen leben. Und ausgerechnet auf diesen Wackelpudding werden Hochhäuser gestellt, ausgerechnet auf diesem Wackelpudding entstehen immer neue Vororte. Planlos wachsende Siedlungen in der Peripherie der Stadt.

Auch in der Region der Stadt, in der Hernández lebt und arbeitet, ist die Wahrscheinlichkeit, auf einen Kataster-Beamten zu treffen, nicht sonderlich groß. Das Erdbeben hat in dem Vorort Tláhuac eine 3 Kilometer lange und zum Teil 7 Meter tiefe Erdspalte geöffnet. An zahllosen Stellen wölbt sich der Asphalt, in zahllosen Häusern sind breite Spalten zu sehen.

Hernández‘ Geschichte in Bildern

Deutscher Experte senkt den Daumen

Frank Blockhaus ist Chef eines Montagebetriebs in Hückelhoven bei Mönchengladbach. Seine Spezialisierung: Brandschutz, Strahlenschutz, Türen und Tore. Das Technische Hilfswerk schickt Blockhaus immer wieder als „Baufachberater“ in Krisengebiete. Er zeigt Einsatzkräften, wie sie sicher in Gebäude hineinkommen. Und vor allem: „Wie die Retter sicher wieder herauskommen, nachdem sie Verletzte geborgen haben.“

Blockhaus‘ zweite Aufgabe: die Beurteilung von Gebäuden. Als er mit Mitarbeitern der Deutschen Botschaft in Mexiko das Wohnhaus und die Tischlerei von Cristhian Hernández inspiziert, muss er nicht lange nachdenken. Mit roter Farbe schreibt ein Helfer auf die Fassade zur Straße: „Muy alto Riesgo.“ Sehr hohes Risiko.

Blockhaus‘ Urteil trifft Hernández bis ins Mark. Insgeheim hat er damit gerechnet, jetzt weiß er es sicher: „Im Prinzip kann ich das Gebäude nur abreißen.“

Die Last der Verantwortung

Hernández hat einen Raum angemietet, in dem er seine Maschinen unterstellen kann und eher schlecht als recht die offenen Projekte angeht: „Alles muss neu aufgebaut werden, alles muss sich einspielen, wir haben viel weniger Platz – keine einfache Situation.“

Die Banken nehmen darauf keine Rücksicht, sie pochen auf die Bezahlung der Raten für die Kredite, mit denen der Tischler die Maschinen finanziert hat. Und das größte Problem: „Wie soll ich die Gehälter für meine 5 Angestellten aufbringen, wenn ich nicht vernünftig arbeiten kann?“

Die Verantwortung lastet schwer auf ihm, jeder seiner Mitarbeiter hat eine eigene Familie: „Es gibt einfach viele Menschen, die von mir abhängig sind.“ Und hinzu kommt: Auch die Wohnhäuser der meisten Angestellten wird die Abrissbirne treffen.

Mit den Problemen alleingelassen

Wo kann er mit seiner Familie leben? Wo sollen die Familien seiner Mitarbeiter leben? Wo sollen seine Leute langfristig arbeiten? Es sind existenzielle Fragen, auf die Hernández Antworten finden muss.

Auch mehr als einen Monat nach dem Erdbeben habe sich noch keine staatliche Stelle in Tláhuac sehen lassen, sagt Hernández. Vor einer Woche habe er eine Drohne gesichtet, die könnte von offizieller Seite gesteuert worden sein: „Aber das war’s.“

Fühlt er sich vom Staat alleingelassen? „Ich fühle mich nicht alleingelassen, ich bin alleingelassen. Wir haben nicht einmal Wasser, wir können uns nicht einmal waschen.“ Aber die mexikanischen Fernsehsender sind doch voll mit Berichten über Hilfeleistungen. „Mag sein“, sagt der Tischler, „aber für unsere Gegend interessiert sich niemand.“ Und dann fügt er hinzu: „Das Einzige, was man in diesem Land wirklich lernt, ist das Überleben.“

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