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Eskalationsstufe Rot

Extreme Reaktion: Und plötzlich ist Krieg

Wie weit dürfen Kunden gehen, wenn sie die Wut packt? Ein Tischler durchlebt nach gewonnenem Rechtsstreit jetzt das, was Konfliktexperten als "Krieg" bezeichnen.

Zwei Stunden nach dem Gerichtstermin stand plötzlich der graue Skoda vor der Tischlerei. Wenige Meter vor dem Eingang des Schauraums mit Treppenmodellen. Markus Kynast erinnert sich genau. Als er vor ein paar Wochen vom Amtsgericht zurück ins Büro kam, war er der Ansicht, die Sache sei erledigt. Endlich erledigt. Hinter ihm lag ein fast zweieinhalb Jahre langer Streit mit einer Kundin. Was blieb ihr nun anderes übrig, als zu bezahlen?! Dachte er – und irrte sich gewaltig.

Die Kundin funktionierte ihr Auto zum Pranger um. „Seit 2011 haben wir eine Treppe. Wollen Sie die abkaufen?“, fragte sie auf einem handgeschriebenen Plakat am Heckfenster. Und warnte: Dreimal sei sie von ihrer Treppe heruntergefallen, einmal ihr Sohn. Auch an Front- und Seitenscheibe prangerte sie den Betrieb an. Und als wäre das nicht schon heftig genug, machte der Skoda kürzlich einem feuerroten VW Platz. Seither ist in Computerschrift zu lesen, dass eine „Sammelklage“ geplant sei. Wer auch schlechte Erfahrungen mit Kynast habe, solle sich telefonisch melden.

Gefährliche Eskalationsstufe: Kampf bis zum Ende? Lesen Sie die nächste Seite.

Kampf bis zum Ende – oder Mediation?

Kynast rief die Polizei. Seit 25 Jahren baut er Treppen, so etwas hat er vorher noch nie erlebt. „Was soll das alles? Warum akzeptiert die Kundin das Gerichtsurteil das nicht?“, ärgert er sich. Und auch das hätte er sich nicht träumen lassen: Der Polizist habe mit den Achseln gezuckt und gesagt, dass man da nichts tun könne. "Sind wir hier im Wilden Westen?" In gewissem Sinne offenbar schon.

Konfliktforscher und Mediatoren unterscheiden mehrere Eskalationsstufen. Kynasts Streitfall hat nach Einschätzung von Sabine Renken Stufe 7 erreicht. Bei 9 endet die gängige Experten-Skala. „Das ist schon der Kriegsfall“, sagt die Rechtsanwältin und Mediatorin aus Hamburg zur Plakataktion. Könnte man zwischen dem Tischler und der Kundin noch vermitteln? „Die Geschichte hört sich so an, als bleibe nur der Rechtsweg.“

Anders als in den USA, wo Richter eine Mediation verordnen können, können ihre Kollegen in Deutschland das nur vorschlagen. In der Praxis stieße ein solcher Vorschlag oft auf taube Ohren, sagt Renken. Mediation sei noch nicht Teil „unserer Streitkultur“. „Viele Menschen sind auf Krawall gebürstet und wollen auf Biegen und Brechen Recht haben.“

Rätselhafte Fugen: Der Fliesenleger mit dem seltsamen Augenmaß – lesen Sie Seite 3.

"Ich fühle mich arglistig getäuscht"

Kynast wirkt nicht wie jemand, der mit sich nicht reden lässt. Ruhig schildert der Unternehmer aus dem kleinen Ort Schandelah in Niedersachsen, was sich in der Zeit vom Angebot bis zum Autopranger zugetragen hat. Manchmal zögert er kurz, als suche er eine Erklärung dafür, warum der Streit eskaliert ist. Eine Erklärung für etwas, das sich rational vielleicht gar nicht erklären lässt. Jedenfalls nicht mit dem Maßstab, den er als Tischler anlegt. „Wir haben nichts falsch gemacht“, sagt er über die Arbeit für die Kundin. Zweimal sagt er das. Als könne er auf diese Weise einen doppelten Schlussstrich ziehen. Doch das will die Kundin so partout nicht stehenlassen.

„Ich fühle mich von der Firma Kynast arglistig getäuscht und bin mit der ausgeführten Arbeit in keiner Weise zufrieden“, schreibt sie dem Rechtsanwalt des Tischlermeisters. Dem Handwerker legt sie zahlreiche Punkte zur Last. So bemängelt sie etwa, dass die Treppe schief, nicht parallel zu den Fugen der Bodenfliesen, montiert worden sei. Und dass sie nicht überall am Boden aufstehe. „Beides stimmt“, sagt Kynast. Er habe die Treppe, wie es üblich sei, an der Wand ausgerichtet. „Die Fugen am Boden verlaufen nicht parallel zur Wand, auf einer Länge von eineinhalb Metern weichen sie drei Zentimeter ab“, wundert er sich. Obendrein seien die Fliesen nicht waagerecht verlegt. „Es sieht nicht danach aus, als ob hier ein Fachmann am Werk war.“

Die Mühlen der Justiz: „Warten, warten, warten." Lesen Sie die nächste Seite.

Trotz Gerichtsvollzieher noch keinen Cent gesehen

Auch allen anderen Reklamationen der Kundin stellt der Treppenbauer Argumente entgegen. Und er zeigt sich sicher, dass die Treppe einer fachgerechten Überprüfung standhält. Zumal der Auftrag „nichts Kompliziertes war“. Die Kundin habe eine viertelgewendelte Treppe vom Obergeschoss in den Spitzboden bestellt. Auftragsvolumen? "4.200 Euro."

Als er mit der Arbeit fast fertig war, stellte er eine Abschlagsforderung in Höhe von 3.500 Euro. Das war im Juli 2011. Die Eskalationsschraube begann sich zu drehen. Die Kundin zahlte nicht, der Handwerker mahnte, sein Anwalt reichte schließlich Klage ein. Viel Zeit verstrich. 2012 fand ein Gütetermin statt. Der Richter entschied, ein Gutachter solle sich die Treppe ansehen. Doch dazu kam es nicht. „Die Kundin hat den Vorschuss dafür nicht bezahlt“, sagt der Treppenbauer. Wieder verstrich viel Zeit.

Im Sommer dieses Jahres verurteilte der Richter die Frau, die Forderung zu begleichen. Es passierte: wieder nichts. Erst als der Vollstreckungsbescheid erging, reagierte sie. Sie schickte ihren Sohn vor. Der junge Mann sprach beim Gerichtsvollzieher vor und vereinbarte eine Ratenzahlung. Im September war die erste Rate fällig. „Ich habe noch keinen Cent gesehen“, sagt ­Kynast. Für Mitte Oktober lud das Gericht die Frau noch einmal vor. Es war der Tag, an dem kurz nach Mittag der graue Skoda vor der Tischlerei abgestellt wurde. Und es war der Tag, an dem ein weiterer Rechtsstreit seinen Anfang nahm.

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Werturteile sind erlaubt

Damit die Plakate verschwinden, ließ der Treppenbauer über seine Anwaltskanzlei eine einstweilige Verfügung gegen die Kundin beantragen. „Unser Schauraum ist rund um die Uhr geöffnet, viele Leute schauen vorbei, weil wir ihnen empfohlen worden sind.“ Er findet, dass die Plakataktion „eindeutig zu weit“ geht. Und er vermutet, dass er jetzt einen Anspruch auf Schadensersatz hat.

Das Gesetz schützt Unternehmer wie Kynast vor Rufschädigung, Werturteile sind aber nicht verboten. Das betonen Juristen immer wieder. Die Meinungsfreiheit deckt Aussagen wie „einmal und nie wieder“ oder „schlechter Service“. Nicht hinnehmen muss man Schmähkritik und Tatsachenbehauptungen, die unwahr sind. Kunden, die Handwerker zum Beispiel mit frei erfundenen Mängeln anschwärzen, sind juristisch angreifbar.

Kynast steht der Sinn nicht nach Angriff. Er ist kriegsmüde. Ein halbes Dutzend Mal war er wegen der Kundin beim Amtsgericht. Neben seinem Schreibtisch steht ein dicker Ordner mit Unterlagen zu dem Fall. Abgesehen von seinem Geld will er nur noch eines: „die Angelegenheit endlich vom Tisch haben.“


(mfi)

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