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Foto: handwerk.com

In dieser Geschichte stinkt es

Faule Methoden mit faulen Eiern?

Baufirmen mit scheinbar selbstständigen Billiglöhnern erschaffen sich eine Parallelwelt. Eine Welt, die buchstäblich zum Himmel stinken kann.

Ach, Du faules Ei!
Drochtersen Ei quer

Es roch, als hätte jemand eine Stinkbombe geworfen. Als Sonia und Konstantin Jung die Küchenwand in ihrem neuen Haus aufstemmten, konnten sie es nicht glauben: Eigelb quoll aus dem Putz. Neben einer kaputten Wasserleitung waren rohe Eier eingemauert worden. Als wäre die Mängelliste nicht schon lang genug, musste sich das junge Ehepaar aus Drochtersen bei Stade auch noch verspottet fühlen.

Mehr als 200.000 Euro haben die beiden einer polnischen Baufirma bezahlt. Für die "Lieferung und Montage eines Massivhauses laut Planung", wie es im "Generalübernehmervertrag" heißt, ein Vertrag mit Pauschalpreisgarantie. "Unser Haus sollte schlüsselfertig sein", sagt Sonia Jung.

Das letzte Baustellenprotokoll, das der Architekt aufgenommen hat, weist 43 Mängel aus. Vom Fundament bis zum Ausbau ist demnach gepfuscht worden. Als die Baufirma abzog, fehlten in dem Einfamilienhaus laut Protokoll Heizkörper, Waschbecken, WC-Kästen, Fliesen und vieles mehr. Rund 40.000 Euro wird es kosten, die Schäden zu beseitigen und das Haus fertigzubauen, sagen die Jungs.

Wie konnte so viel schieflaufen auf der Baustelle?

Glaubt man Zbigniew und David W., dann steckte Methode dahinter. Dann arbeitete die Baufirma mit Billiglöhnern nach eigenen, extremen Regeln. Und dann hätte das den Behörden früh auffallen können.

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Improvisation mit Stahlstäben

Die W.s sind Arbeiter, die an dem Haus mitgebaut haben. Zwei von vielen. "Arbeiter waren nie lange da, es sind immer wieder neue gekommen", erzählt Sonia Jung. Auch die W.s waren nicht lange da.

Die beiden Polen sagen, dass sie auf der Baustelle "improvisieren" mussten. Es habe kein Gerüst gegeben, wichtige Geräte seien nicht zur Verfügung gestanden, der Bauleiter habe ungeeignete Materialien bestellt. "Wir mussten beschädigte und recycelte Stahlstäbe verlegen. Anstelle von Mörtel mussten wir Kleber für Keramikplatten benutzen, weil der billiger ist", schildern sie. Manchmal habe sich der Bauleiter tagelang nicht blicken lassen.

Vier Wochen haben sie in Drochtersen gearbeitet, sagen sie. Zehn Stunden am Tag, samstags acht. Dann seien sie "gefeuert" worden. Während eines Aufenthalts in der Heimat hätten sie erfahren, dass sie nicht mehr gebraucht werden. Warum, habe man ihnen nicht gesagt. Bis heute warteten sie auf einen Großteil des Lohns. Acht Euro pro Stunde seien vereinbart gewesen, 1600 Euro pro Monat. Auch Kollegen auf der Baustelle seien um Lohn geprellt worden.

Und nein, erst nach und nach hätten sie erfahren, was das sind: ein Gewerbe und ein Werkvertrag.

Zbigniew W. ist Maurer, sein Sohn David hat Erfahrungen als Bauhelfer. In Deutschland verwandelten sie sich auf dem Papier in selbstständige Fliesenleger. Oder muss man sagen: wurden verwandelt? Allein hätten sie es nicht gekonnt, sie sprechen kein Deutsch. David W. betont, sie hätten Dokumente in dem Glauben unterschrieben, "dass es sich um Arbeitsverträge handelt". Eine Arbeitsvermittlerin aus Stade, die selber ursprünglich aus Polen stammt, ging mit ihnen aufs Amt und half bei der Gewerbeanmeldung. Sie handelte nach eigener Aussage im Auftrag der Baufirma. Sie sagt, sie habe den W.s Punkt für Punkt das Wichtigste erklärt.

Nicht zu buchstabieren brauchte sie den Mitarbeitern der Gewerbstelle die Adresse, die sie als "Wohnung" und "Betriebsstätte" der W.s angab. Die kannten die Beamten schon gut. Sie gehört zu einer Sammelunterkunft auf einem ehemaligen Bauernhof, seit Jahren dient sie Polen, die sich angeblich selbstständig machen, als Firmensitz. (Die Schwachstelle ist amtlich)

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Verträge ohne Verpflichtungen?

Ihre Post an diese Adresse bekamen sie nicht zu sehen, erzählt David W. Einmal habe sein Vater einen Brief erwischt, der Bauleiter sei deswegen wütend geworden. Er habe sie vor die Alternative gestellt, den Brief herauszurücken oder "sich einen eigenen Buchhalter zu besorgen". "Kein Arbeiter durfte seine Post in Empfang nehmen", erinnert sich David W.

Keine Post – auch nicht vom Finanzamt. "Das ist eine übliche Masche", sagt Jochen Empen. "Wenn jemand seine Steuernummer nicht erfährt, kann er keine gültige Rechnung stellen." Und ohne Rechnung: kein Geld. So hätten im Nachhinein auch die "Chefs" der Arbeiter argumentiert. Empen versuchte, den W.s zu ihrem Geld zu verhelfen. Er arbeitet in Hamburg für das Projekt "Faire Mobilität" des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). "Die meisten solcher Arbeiter haben keine Ahnung von Rechnungen, sie schreiben Stunden auf", berichtet Empen. Geld erhielten sie bar – anfangs.

Zbigniew und David W. sagen, dass jeder von ihnen in Polen 2000 Zloty, umgerechnet 477 Euro, und in Deutschland 200 Euro auf die Hand bekommen habe. Dass es danach nichts mehr gab, liegt nicht nur an fehlenden Rechnungen. Der Subunternehmer, bei dem sie Werkverträge unterschrieben hatten, wirft ihnen vor, "ihre vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllt" zu haben. "Dadurch ist uns ein nicht unerheblicher Schaden entstanden", behauptet Piotr Warzecha. Nach eigener Darstellung Chef einer Firma namens Peter Bau, auch mit Firmensitz auf dem ehemaligen Bauernhof. "Wir behalten uns vor, den uns entstandenen Schaden gegen Sie gerichtlich durchzusetzen", schreibt Warzecha den W.s.

Nicht klar ist, welche vertraglichen Verpflichtungen er meint. Denn in den Werkverträgen steht in dem Abschnitt, in dem die Leistungen der Aufragnehmer aufzulisten sind: nichts. Auch eine "pauschale Festvergütung" ist nicht angegeben.

"Das ist absurd", sagt Jochen Empen darüber, dass die W.s als Unternehmer hingestellt werden. Für den DGB-Mitarbeiter ist es ein klarer Fall von Scheinselbstständigkkeit. Zumal die W.s ihr Gewerbe offensichtlich nicht aus freien Stücken angemeldet hatten. "Sie hatten das so verstanden, dass sie die Jobs nur kriegen, wenn sie mit der Frau aufs Amt gehen." ("Mindestlohn entzerrt Wettbewerb")

Außerdem: Wie können Selbstständige "gefeuert" werden?

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Wer lügt denn da?

Vater wie Sohn, alle beide hätten zwei linke Hände gehabt, sagt der Leiter der Baustelle in Drochtersen. Sie hätten schlecht und langsam gearbeitet. Nur "Stunden schreiben, das konnten sie gut." Auch sollen sie Streit mit Kollegen gehabt haben. Ihm sei nichts anderes übrig geblieben, als die W.s "nach Hause zu schicken", erklärt der Bauleiter.

Die Mutter von Sonia Jung hat das anders in Erinnerung, sie war manchmal unter Tags auf der Baustelle, sie wohnt nur einen Steinwurf entfernt. "Das waren fleißige Arbeiter, gute Leute", sagt sie. Dass die W.s etwas mit schweren Mängeln an dem Haus zu tun haben könnten, kann sie sich nicht vorstellen. Sie habe sich gewundert, als die beiden nicht mehr erschienen. Ein paar Wochen vor dem Richtfest seien sie abgereist, ganz pötzlich.

Alles andere als einen guten Eindruck hinterlassen hat bei ihr der Bauleiter. Er habe ihr nach einiger Zeit verboten, die Baustelle zu betreten und mit Arbeitern zu reden", erzählt sie. Auf Mängel am Haus angesprochen, soll er durchgedreht haben. "Er hat uns angebrüllt."

Inwieweit steckte hinter all dem, was sich in Drochtersen abgespielt hat, tatsächlich Methode? Warum wurde von Anfang an gegen fundamentale Bauregeln verstoßen, wie die Mängelliste der Jungs nahelegt? Warum hat der Generalunternehmer nicht dafür gesorgt, dass das Haus wenigstens fertiggebaut wird?

Unsinnige Fragen sind das, findet die Baufirma Ecowork. Sie zeichnet ein anderes Bild der Realität. "Schon seit längerer Zeit verbreitet die Familie Jung Lügen über mich und meine angeblich schlechte Bauausführung", betont Ecowork-Chef Adam Stamirski gegenüber handwerk.com. Er werde "diese üblen Nachreden nicht mehr hinnehmen", schreibt er. Und droht, "gegen falsche Tatsachenbehauptungen mit allen mir zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln" vorzugehen.

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Auf einmal sind alle weg

Die Jungs haben einen Rechtsanwalt eingeschaltet. Doch der Klageweg ist schwierig. Ecowork hat keine Niederlassung in Deutschland, als Geschäftssitz gibt die Firma eine Adresse in einem Dorf in Pommern an. Ein Verfahren in Polen kann viel Zeit und Geld verschlingen.

Die Bauherren wissen, dass sie Fehler gemacht haben. Sie sagen selber, dass sie vorsichtiger hätten sein sollen bei der Auftragsvergabe, dass sie die Schlussrechnung zu früh bezahlt haben, dass es falsch war, sich von der Firma "unter Druck setzen zu lassen". Sonia Jung ist Polin, sie hatte ihren Landsleuten vertraut, sie hatte gehofft, dass das Haus trotz aller Probleme fertig wird.

Dann war auf einmal Schluss. Und alle waren weg. Die Chefs, der Bauleiter, die Arbeiter. "Von einem auf den anderen Tag ", sagt Jung, "war die Baustelle verlassen." Sachen, die nicht niet- und nagelfest waren, seien gestohlen worden: "Badewanne, Toilette, Dusche, Fensterbänke, Schaumstoffe für die Dachisolierung", zählt sie auf.

Bald danach verschwunden gewesen sei die "schöne Website" von Ecowork. Auf Polnisch und Deutsch habe die Firma im Internet damit geworben, dass sie Erfahrungen im Hoch- und Tiefbau habe.

Erfahrungen. In der Arbeitswelt von Bauunternehmen mit vermeintlich selbstständigen Billiglöhnern kann dies eine ganz eigene Bedeutung haben. Wer hätte geahnt, dass Erfahrungen so zum Himmel stinken können?

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(mfi)

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