Foto: tauav - stock.adobe.com

Inhaltsverzeichnis

Politik und Gesellschaft

Fehlen künftig Tausende Arbeitskräfte für Bauprojekte?

Die Westbalkan-Regelung, die dem Bau per Visum ausländische Arbeitskräfte zusichert, droht auszulaufen. Das Baugewerbe warnt vor schweren Folgen.

Auf einen Blick:

  • Die Westbalkan-Regelung droht auszulaufen. Das könnte dem Baugewerbe 7.000 Kräfte aus dem Ausland kosten, die die Unternehmen per Arbeitsvisa jährlich sozialversicherungspflichtig beschäftigen.
  • Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes fürchtet eine unnötige Konjunkturbremse, weil Personalkapazitäten für die vielen Bauprojekte mit einem Ende der Regelung wegfallen.
  • Vom neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im März 2020 in Kraft tritt, verspricht sich der Verband keinen ausreichenden Nutzen. Grund: Es zielt nicht auf die Kräfte ab, die man im Baugewerbe braucht.

Das Baugewerbe schlägt Alarm: Die Unterstützung von 7.000 erfahrenen Hilfskräften steht auf dem Spiel. Die hiesige Branche braucht die Arbeiter aus dem Nicht-EU-Ausland für Bauprojekte überall dort, wo Helfertätigkeiten nötig sind. Sie arbeiten zum Beispiel im Betonbau, wo sie die Armierungen der Stahlbetonkonstruktionen biegen, erklärt Heribert Jöris, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Sozial- und Tarifpolitik beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Sie werden von den deutschen Bauunternehmen sozialversicherungspflichtig beschäftigt und erhalten für die Dauer der Projekte Arbeitsvisa.

Wie geht es weiter – ohne genügend Fachkräfte?

Trotz aller Anstrengungen: Im Kampf um die Fachkräfte werden viele Betriebe künftig leer ausgehen, sagt handwerk.com-Autor Klaus Steinseifer. Er rät zum Umdenken – und zu einer anderen Strategie.
Artikel lesen

Vom Ende der Westbalkan-Regelung

Doch damit könnte nun Schluss sein. Denn die sogenannte Westbalkan-Regelung, mit der Arbeiter aus den Westbalkanstaaten für einen begrenzten Zeitraum in Deutschland wohnen und arbeiten dürfen, droht auszulaufen. Erst Ende 2020 zwar, aber die Folgen zeichnen sich laut Heribert Jöris bereits ab. Grund sind die langen Wartezeiten bis zum ausgestellten Visum.

Damit ein ausländischer Arbeiter ein Arbeitsvisum beantragen kann, braucht er zunächst einen Arbeitsvertrag für ein Projekt in Deutschland. Hat er den in der Tasche, kann er ein Arbeitsvisum in der Deutschen Botschaft seines Landes beantragen. Und das dauert: „Wir kennen Fälle, da dauerte es 18 Monate, bis ein Arbeitnehmer einen Termin für den Antrag seines Visums erhalten hat“, sagt Rechtsanwalt Heribert Jöris. Wer heute also ein Visum beantragen will, bekommt möglicherweise erst einen Termin für 2021 – einen Zeitpunkt also, zu dem die Westbalkan-Regelung bereits ausgelaufen sein könnte. Der Antrag kann dann nur noch abgelehnt werden.

Auswirkungen auf die Planung der Unternehmen

Für die Bauunternehmen bedeutet dieser Umstand große Unsicherheit. Er beeinträchtigt die Planung, die Kalkulation der Kosten sowie das Einschätzen der verfügbaren Kapazitäten, erklärt Heribert Jöris. Der ZDB fürchtet eine unnötige Konjunkturbremse, weil dadurch Personalkapazitäten für die vielen Bauprojekte fehlen. Direkt betroffen sind vor allem der Hoch- und der Tiefbau. „Wenn dort weniger Neubauten entstehen können, wirkt sich das unmittelbar auch auf die nachfolgenden Bau- und Ausbaugewerke aus“, gibt Jöris zu bedenken.

Der ZDB fordert daher mindestens eine Verlängerung der Westbalkan-Regelung um zwei bis drei Jahre. Maßgeblichen Einfluss darauf, ob die Regelung ausläuft oder von der Bundesregierung verlängert wird, hat laut Heribert Jöris die Einschätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit evaluiert die Westbalkan-Regelung aktuell. Jöris rechnet im Verlauf des Jahres 2020 mit einer Entscheidung.

Keine Linderung durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz

Vom neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im März 2020 in Kraft treten soll, verspricht sich der ZDB hingegen keinen ausreichenden Nutzen. Grund: Während über die Westbalkanregelung Arbeiter ohne besondere Qualifikationsanforderungen, dafür aber mit der benötigten praktischen Berufserfahrung, nach Deutschland kommen durften, zielt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf ganz andere Arbeitskräfte ab. „Sie müssen entweder eine Ausbildung mitbringen, die dem Niveau einer deutschen Qualifikation – Maßstab: Gesellenbrief – entspricht oder hier ausgebildet werden“, sagt Jöris.

Und während einer Ausbildung dürften sie wöchentlich nur 10 Stunden zusätzlich arbeiten. Hinzu kommen weitere Anforderungen, etwa genügend Kapital für die Ausbildungszeit und Deutschkenntnisse der Sprachniveaustufe B1 nach dem europäischen Referenzrahmen. All diese Faktoren lassen für Heribert Jöris nur einen Schluss zu: „Wenn wir keine Einbrüche im Baugeschäft hinnehmen wollen, können wir auf die Westbalkan-Regelung nicht verzichten.“

Tipp: Sie interessieren sich für politische Entscheidungen, die das Handwerk betreffen? Mit dem Newsletter von handwerk.com halten wir Sie auf dem Laufenden. Hier geht’s zum kostenlosen Abo.

Auch interessant:

Lange Wartezeiten: Kunden beschimpfen Handwerker

Wartezeiten von drei Monaten sind in ihrem Betrieb normal. Doch manche Kunden haben dafür kein Verständnis, berichtet Ilka Hankewicz. Die wütenden Anrufe machen die Unternehmerin betroffen.
Artikel lesen

5 Tipps: So finden und binden Sie Mitarbeiter

Suchen Sie gute Fachkräfte? Wollen Sie Ihre Top-Mitarbeiter an sich binden? Hier 5 praktische Tipps für Ihren Alltag!
Artikel lesen

Frustriert von der Mitarbeitersuche?

handwerk.com und die Schlütersche helfen Ihnen Ihre offenen Stellen einfach, zeit- und kostensparend mit den richtigen Kandidaten zu besetzen! Mehr als 500 Betriebe vertrauen uns bei der Mitarbeitersuche!

Jetzt Bewerber finden!

Wir haben noch mehr für Sie!

Praktische Tipps zur Betriebsführung und Erfahrungsberichte von Kollegen gibt es dienstags und donnerstags auch direkt ins Postfach: nützlich, übersichtlich und auf den Punkt.
Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an - schnell und kostenlos!
Wir geben Ihre Daten nicht an Dritte weiter. Die Übermittlung erfolgt verschlüsselt. Zu statistischen Zwecken führen wir ein anonymisiertes Link-Tracking durch.
Kontingent verdoppelt: Mit der Westbalkan-Regelung können künftig bis zu 50.000 Arbeitskräfte pro Jahr nach Deutschland kommen.

Politik und Gesellschaft

Das ändert sich bei der Westbalkan-Regelung

Das Baugewerbe atmet auf: Die Einsatzmöglichkeit für Arbeitskräfte aus dem Westbalkan wird unbefristet verlängert. Damit geht noch eine andere Erleichterung einher.

    • Politik und Gesellschaft, Recht, Arbeitsrecht
Auf Handwerksbetriebe kommen 2024 etliche Änderungen zu.

Zum neuen Jahr

Mindestlohn, Gerüstbau und Wegegeld: Das ändert sich 2024

Zum Jahreswechsel treten etliche Neuregelungen in Kraft, die Auswirkungen auf das Handwerk haben. Ein Überblick.

    • Personal, Politik und Gesellschaft, Recht
Tischler Peter Brümmer spart durch Modernisierung. 

Energiekosten

LED-Umstieg: „Das spart uns tausende Euro im Jahr“

Hallenlicht verbessert, Geld gespart! Dieser Unternehmer rechnet vor, wie stark der Umstieg auf LEDs seinen Geldbeutel entlastet. Rechnen Sie mit: Wie viel sparen Sie?

    • Energiekosten
Achtung bei befristeten Fahrerlaubnisklassen: Fahrer aus dem EU-Ausland müssen gegebenenfalls in Deutschland verlängern.

Fuhrparkrecht

Führerscheine aus dem EU-Ausland: Vorsicht bei Befristung

Wer ausländische Fahrer einstellt, muss bei befristeten Fahrererlaubnisklassen ganz genau hinschauen. Auch bei EU-Führerscheinen.

    • Fuhrpark