Auf einen Blick:
- Die Westbalkan-Regelung droht auszulaufen. Das könnte dem Baugewerbe 7.000 Kräfte aus dem Ausland kosten, die die Unternehmen per Arbeitsvisa jährlich sozialversicherungspflichtig beschäftigen.
- Der Zentralverband des Deutschen Baugewerbes fürchtet eine unnötige Konjunkturbremse, weil Personalkapazitäten für die vielen Bauprojekte mit einem Ende der Regelung wegfallen.
- Vom neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im März 2020 in Kraft tritt, verspricht sich der Verband keinen ausreichenden Nutzen. Grund: Es zielt nicht auf die Kräfte ab, die man im Baugewerbe braucht.
Das Baugewerbe schlägt Alarm: Die Unterstützung von 7.000 erfahrenen Hilfskräften steht auf dem Spiel. Die hiesige Branche braucht die Arbeiter aus dem Nicht-EU-Ausland für Bauprojekte überall dort, wo Helfertätigkeiten nötig sind. Sie arbeiten zum Beispiel im Betonbau, wo sie die Armierungen der Stahlbetonkonstruktionen biegen, erklärt Heribert Jöris, Geschäftsführer des Geschäftsbereichs Sozial- und Tarifpolitik beim Zentralverband des Deutschen Baugewerbes (ZDB). Sie werden von den deutschen Bauunternehmen sozialversicherungspflichtig beschäftigt und erhalten für die Dauer der Projekte Arbeitsvisa.
Vom Ende der Westbalkan-Regelung
Doch damit könnte nun Schluss sein. Denn die sogenannte Westbalkan-Regelung, mit der Arbeiter aus den Westbalkanstaaten für einen begrenzten Zeitraum in Deutschland wohnen und arbeiten dürfen, droht auszulaufen. Erst Ende 2020 zwar, aber die Folgen zeichnen sich laut Heribert Jöris bereits ab. Grund sind die langen Wartezeiten bis zum ausgestellten Visum.
Damit ein ausländischer Arbeiter ein Arbeitsvisum beantragen kann, braucht er zunächst einen Arbeitsvertrag für ein Projekt in Deutschland. Hat er den in der Tasche, kann er ein Arbeitsvisum in der Deutschen Botschaft seines Landes beantragen. Und das dauert: „Wir kennen Fälle, da dauerte es 18 Monate, bis ein Arbeitnehmer einen Termin für den Antrag seines Visums erhalten hat“, sagt Rechtsanwalt Heribert Jöris. Wer heute also ein Visum beantragen will, bekommt möglicherweise erst einen Termin für 2021 – einen Zeitpunkt also, zu dem die Westbalkan-Regelung bereits ausgelaufen sein könnte. Der Antrag kann dann nur noch abgelehnt werden.
Auswirkungen auf die Planung der Unternehmen
Für die Bauunternehmen bedeutet dieser Umstand große Unsicherheit. Er beeinträchtigt die Planung, die Kalkulation der Kosten sowie das Einschätzen der verfügbaren Kapazitäten, erklärt Heribert Jöris. Der ZDB fürchtet eine unnötige Konjunkturbremse, weil dadurch Personalkapazitäten für die vielen Bauprojekte fehlen. Direkt betroffen sind vor allem der Hoch- und der Tiefbau. „Wenn dort weniger Neubauten entstehen können, wirkt sich das unmittelbar auch auf die nachfolgenden Bau- und Ausbaugewerke aus“, gibt Jöris zu bedenken.
Der ZDB fordert daher mindestens eine Verlängerung der Westbalkan-Regelung um zwei bis drei Jahre. Maßgeblichen Einfluss darauf, ob die Regelung ausläuft oder von der Bundesregierung verlängert wird, hat laut Heribert Jöris die Einschätzung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Die Forschungseinrichtung der Bundesagentur für Arbeit evaluiert die Westbalkan-Regelung aktuell. Jöris rechnet im Verlauf des Jahres 2020 mit einer Entscheidung.
Keine Linderung durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz
Vom neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetz, das im März 2020 in Kraft treten soll, verspricht sich der ZDB hingegen keinen ausreichenden Nutzen. Grund: Während über die Westbalkanregelung Arbeiter ohne besondere Qualifikationsanforderungen, dafür aber mit der benötigten praktischen Berufserfahrung, nach Deutschland kommen durften, zielt das Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf ganz andere Arbeitskräfte ab. „Sie müssen entweder eine Ausbildung mitbringen, die dem Niveau einer deutschen Qualifikation – Maßstab: Gesellenbrief – entspricht oder hier ausgebildet werden“, sagt Jöris.
Und während einer Ausbildung dürften sie wöchentlich nur 10 Stunden zusätzlich arbeiten. Hinzu kommen weitere Anforderungen, etwa genügend Kapital für die Ausbildungszeit und Deutschkenntnisse der Sprachniveaustufe B1 nach dem europäischen Referenzrahmen. All diese Faktoren lassen für Heribert Jöris nur einen Schluss zu: „Wenn wir keine Einbrüche im Baugeschäft hinnehmen wollen, können wir auf die Westbalkan-Regelung nicht verzichten.“
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