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Ganzer Lohn für halbe Gesellen

In seinen Albträumen sagt Malermeister Michael Thies seinen Kunden diesen Satz: "Hier ist mein Geselle, der kostet 40 Euro die Stunde – aber der kann nichts." Ein Interview.

Sein Betrieb liegt gleich hinterm Deich: Michael Thies ist seit neun Jahren im niedersächsischen Cuxhaven selbstständig. Er beschäftigt fünf Mitarbeiter, die Geschäfte gehen gut – nur in einem Punkt sieht der Malermeister unruhig in die Zukunft.

Herr Thies, auf Ihrer Homepage steht, dass Sie die Basketballer „Cuxhaven BasCats“ unterstützen. Wie hat Ihre Mannschaft denn am Wochenende gespielt?
Thies: Schlimme Frage, ich habe gearbeitet und das Spiel dabei vergessen. Aber wenn ich es nicht gerade vergesse, ist das toll, auf der Tribüne zu sitzen, man kriegt den Kopf frei.

Könnten Ihre Mitarbeiter Sie nicht so weit entlasten, dass Sie erst gar nicht am Wochenende arbeiten müssen?
Thies: Klingt gut. Aber bevor ich beispielsweise einen Lehrling so weit habe, dass der alleine zum Kunden gehen kann, dass er freundlich und zuvorkommend auftritt und selbstständig die Wände grundiert, muss ich wirklich immer mehr Zeit investieren. Früher waren die Bewerber 16, heute sind sie 20 oder älter und waren schon in etlichen Fördermaßnahmen. Und davon halte ich gar nichts – denn das Problem bleibt am Ende das gleiche.

Nächste Seite: Ausbildungsziele runter, Ansprüche rauf – der Haken im System.

Malergeselle kennt keine Mustertapete

Welches Problem?
Thies: Ich kann die Ausbildungsziele immer weiter runterschrauben. Aber am Ende muss doch ein fertiger Geselle stehen, schließlich bezahlen wir den Mitarbeiter ja auch so. Das Berufsfeld ist ja im Laufe der Jahre immer komplizierter geworden – nicht nur bei den Maler- und Lackierern.

Was genau ist denn komplizierter geworden?
Thies: Im Schnitt bringen die Farbenhersteller alle 4 Wochen neue Produkte auf den Markt. Ständig ändern sich Normen und Regelwerke. Kürzlich erst die EnEV und die technischen Richtlinien für Wärme-Verbund-Systeme. Wir schulen die Mitarbeiter spätestens alle drei Monate. Früher bin ich alleine zu den Messen gefahren, heute muss ich die Gesellen mitnehmen, damit die überhaupt noch durchblicken. Gleichzeitig gibt es jetzt neben der normalen Ausbildung zum „Maler und Lackierer Fachrichtung Gestaltung und Instandhaltung“ die verkürzte Ausbildung zum Bau- und Metallmaler. Das ist das Schlimmste, was uns passieren konnte. Da kommen jetzt Leute auf den Markt, die sich Maler nennen, aber noch nie eine Mustertapete in der Hand hatten …

… und Sie wieder nicht entlasten?
Thies: Wie denn auch, die Leute haben genug mit sich selbst zu tun und nicht gelernt, wie man sich organisiert oder mal ein Problem eigenständig löst. Wenn wir die Ausbildungsziele immer weiter herabsetzen, geht die letzte Selbstständigkeit der Leute verloren.

Angstschweiß bei einfachen Aufgaben – lesen Sie die nächste Seite.

Ganze Fachkraft – aber nur in der Lohntüte

Was hat das jetzt mit dem selbstständigen Arbeiten zu tun?
Thies: Vergangenes Jahr habe ich einen neuen Mitarbeiter gefragt, warum er trotz schriftlichem Arbeitsauftrag einfach einen Arbeitsgang weggelassen hat. Dann hat er mir erzählt, wie er als Geselle bislang gearbeitet hatte. Sein Chef hatte ihm immer den richtigen Eimer hingestellt und gesagt, damit musst du dies und das tun, und der ist dafür geeignet. Um Gottes Willen. Tapete abreißen, Untergrund erkennen, Materialien vom Grundieren bis zum Streichen bestimmen. Das ist der minimale Standard, aber dazu ist kaum noch jemand in der Lage. Spätestens wenn ich mal verlange, dass ein einfacher Gelbton selbst angemischt wird, bekommt doch jeder Zweite Schweißausbrüche. Oder ich hab vom besagten Ton so viel Farbe, dass ich damit 5 Häuser streichen könnte.

Liegt es vielleicht daran, dass Sie eher im unteren Lohnsektor einstellen?
Thies: Dann hätte ich wenigstens eine Erklärung. Wir zahlen selbstverständlich Tariflohn. Übernehmen die komplette Berufsbekleidung inklusive der wöchentlichen Reinigung. Kein Mitarbeiter muss mit seinem privaten PKW zur Baustelle fahren. Jeder hat ein Firmen-Handy und wir übernehmen bis zu einer gewissen Grenze auch alle Privatgespräche. Selbstverständlich kaufen wir auch regelmäßig neues Werkzeug, wenn mal wieder aus heiterem Himmel ein Pinsel davongeflogen ist. Wir tragen alle Kosten bei Messebesuchen, Weiterbildungen und auch sonstige Gratifikationen – was also noch? Wie meine Kollegen auch, bezahlen wir einen ganzen Fachmann, bekommen aber oft aber nur einen halben Gesellen.

Nächste Seite: Der Chef steigt mit Krücken auf die Leiter – auch keine Lösung.

Wir müssen die Ansprüche hochhalten

Vielleicht müssen Sie sich einfach mehr um die Leute kümmern.
Thies: Gegenfrage: Wer kümmert sich eigentlich um uns Inhaber? Ich bin jetzt neun Jahre selbstständig. Einmal hatte ich einen schweren Arbeitsunfall, der mich einen Zeh und drei Wochen Krankenhaus kostete. Vom wirtschaftlichen Schaden mal gar nicht gesprochen: Dem Kunden war das völlig egal, wie ich es hinkriege, dass sein Wohnzimmer tapeziert wird.

Und wie haben Sie’s hingekriegt?
Thies: Ich habe dann mit Krücken auf der Leiter gesessen, ein Mitarbeiter hat mir die Bahnen eingekleistert und in die Hand gedrückt, weil er die Tapeten nicht selbst kleben konnte. Glauben Sie mir, dass mit der Entlastung durch qualifizierte Mitarbeiter ist eine komplizierte Geschichte. Meine jetzigen Leute sind toll. Aber damit ich diesen Satz auch künftig sagen kann, müssen wir die Ansprüche in den Handwerksberufen hochhalten und wieder mehr fordern und nicht immer weiter nach unten regeln. Sonst komme ich mittelfristig jedenfalls nicht mehr zum Basketball.

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(sfk)

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