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Genossenschaftsbanken: Unschuldig in der Ratingfalle

Gefährliches Spiel mit dem Kontokorrent

Ihr Bankrating hat sich verschlechtert, obwohl Ihre finanzielle Lage unverändert ist? Die Erklärung: Dann haben vielleicht andere Bankkunden überzogen, aber so richtig. Und Sie hängen mit drin.

Kontokorrent überzogen?
Kontokorrent02

von Jörg Wiebking

Wer seinen Kontokorrentkredit überzieht, muss in der Regel mit einer deutlichen Reaktion rechnen. Im günstigsten Fall bittet die Bank sofort zum Gespräch. Im schlimmsten Fall lässt sie die nächste Lastschrift platzen.

Zweifelhafter Vorteil für gute Kunden
Doch es gibt offenbar noch eine dritte Variante: Manchmal ignoriert ein Kreditinstitut einfach die Überziehung, dann aber sogar richtig: 60, 70 oder auch 89 Tage überzogener Kontokorrent? Offenbar kein Problem bei einigen Genossenschaftsbanken. So berichten es jedenfalls Dirk Altenbäumker und Walter Orth vom Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) in einem aktuellen Beitrag für die Verbandszeitschrift BankInformation (Ausgabe 02/2015). In den zweifelhaften Genuss dieser Praktik scheinen allerdings nur richtig gute Kunden zu kommen, solche mit einer ausgezeichneten Bonität.

Langzeitfolgen für alle anderen
Das können Sie als Chef eines mittelmäßig gerateten Handwerksbetriebs jetzt zur Kenntnis nehmen und zur Tagesordnung übergehen. Vielleicht etwas verärgert, weil Sie selbst nicht zu diesen „Glücklichen“ gehören. Oder leicht schadenfroh, weil Sie wissen, wie teuer Überziehungen wirklich sind, denn zum Kontokorrentzins kommen Überziehungszinsen hinzu. So schnell lässt sich Geld nicht verdienen, wie es hier wieder abfließt. Aber die guten Kunden haben es ja.

Warum also sollten Sie sich darum scheren? Weil genau diese Praxis zum Problem wird – zumindest für sämtliche Kunden aller Genossenschaftsbanken. Denn wenn viele Volks- und Raiffeisenbanken zu viele Dauerüberzieher dulden, dann wirkt sich das negativ auf das Rating aller anderen aus. Selbst wenn sich an ihrer finanziellen Lage absolut nichts geändert hat. Genau diese Situation schildert der Artikel von Altenbäumker und Orth.

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Wieso ändert sich dadurch Ihr Rating?

Das funktioniert so: Die Genossenschaftsbanken reagieren auch bei guten Kunden auf Überziehungen, und zwar nach genau 90 Tagen. Dann wird der Überzieher von heute auf morgen vollautomatisch etliche Ratingklassen zurückgestuft und landet in einer „Ausfallklasse“. So schreiben es die internationalen Bankregeln (Basel II) allen Banken vor. Das muss der Langzeit-Überzieher nicht einmal merken, falls er in dieser Zeit nicht gerade über neue Kredite verhandelt. Denn wer sein Konto wieder auffüllt, gelangt auch wieder in eine bessere Ratingklasse zurück.

Das Problem mit den statistischen Wahrscheinlichkeiten
Doch die Genossenschaftsbanken und alle anderen Kunden spüren diese Überziehung sehr deutlich, wenn auch erst Monate später. Denn Banken ordnen ihre Kunden auf Basis der statistisch errechneten Ausfallwahrscheinlichkeit in Gruppen ein. Je geringer die Ausfallwahrscheinlichkeit einer Gruppe, desto besser die Ratingklasse.

Allerdings prüfen alle Banken jährlich, ob ihre Ausfallwahrscheinlichkeiten noch der Realität entsprechen; das schreibt die Bankaufsicht so vor. Und an genau diesem Punkt wird es problematisch: Wenn viel mehr „gute“ Kunden als erwartet aufgrund einer 90-Tage-Überziehung in die schlechten Ratingklassen gerutscht sind, müssen die Banken die Ausfallwahrscheinlichkeit neu berechnen. Und weil das ein statistisches Verfahren ist, erwischt es nicht nur die Langzeitüberzieher, sondern alle Kunden: Die gesamte Gruppe der guten Kunden rutscht vielleicht von Ratingklasse 1e in 2b. Gleichzeitig rutscht die Gruppe der nicht ganz so guten Kunden, die ja schlechter als die „Guten“ sind und bisher in 2b waren, einfach in 2d. Und so landet am Ende jeder einzelne in einer schlechteren Gruppe.

Für Kunden schwer nachvollziehbar
Die Folge: Auch wenn sich die Lage eines einzelnen Bankkunden nicht geändert hat, könnte der nächste Kredit teurer werden. Oder mit den Worten der BVR-Experten Orth und Altenbäumker: „Eine überhöhte Anzahl von Ausfällen führt zudem zu einer betriebswirtschaftlich schwer nachvollziehbaren Verschlechterung der Ratingverteilung. Dies zieht wiederum diverse unerwünschte Konsequenzen − wie etwa Wettbewerbsnachteile in der Bonitätseinstufung der Kunden − nach sich.“

Und das sind keine theoretischen Überlegungen, wie der BVR bestätigt: „Die in unserem Artikel dargestellten Verschiebungen sind hierbei allerdings kein reales Beispiel, sondern rein schematisch und eher hoch gegriffen, um die entsprechende Wirkungsweise zu verdeutlichen.“

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Wieso lassen die Genossenschaftsbanken das zu?

Da stellen sich ein paar Fragen: Wie ist so etwas überhaupt möglich? Ist das auch bei anderen Banken so? Und was kann man als Unternehmer durchschnittlicher Bonität dagegen unternehmen?

"Eigentlich sollte es so etwas schon seit Jahren nicht mehr geben“, sagt Finanzierungsexperte Carl-Dietrich Sander vom KMU-Beraterverband. In der Praxis bekomme heute jeder Kundenbetreuer einer Bank täglich eine Liste mit Kunden auf den Tisch, um die er sich dringend kümmern muss - zum Beispiel alle Kunden mit Überziehungen. Sander kann sich als ehemaliger Banker allerdings schon vorstellen, wie das in der Praxis abläuft: „Da sind gute Kunden auf der Liste, um die man sich eigentlich keine Sorgen macht. Und warum zeitaufwendig ein Bankgespräch und eine Umfinanzierung organisieren, wenn man als Bank mit der geduldeten Überziehung relativ risikofrei gutes Geld verdient?“ Denn so ein Überzieher landet im Rating zwar in der „Ausfallklasse“, doch meistens ist das Geld ja nicht weg. Ein guter Kunde eben, bei dem sich einfach niemand um die Erhöhung des Limits gekümmert hat.

Ausweg Bankwechsel?
Ändern können die weniger guten Bankkunden daran allerdings wenig. Ein Bankwechsel wäre der einzige Ausweg, um nicht „mitzuhaften“. Doch der Effekt betrifft nicht nur eine Bank und deren Kunden. Weil alle Banken einer Gruppe ein gemeinsames Ratingverfahren nutzen, wirkt sich der Effekt auch auf alle Banken dieser Gruppe und deren Kunden aus, betont Sander. Das sei sogar möglich, wenn nur einige Mitgliedsbanken zu viele Langzeit-Überziehungen dulden. „Es genügt also nicht, von Genossenschaftsbank A zur Genossenschaftsbank B zu wechseln.“

Also ein Wechsel zu einer anderen Bankengruppe? Ob die Überziehungskontrolle dort flächendeckend besser funktioniert, weiß Sander nicht. „Das hängt davon ab, wie einheitlich Überziehungen innerhalb einer Bankengruppe gehandhabt werden.“ Wir haben beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband nachgefragt, leider ohne Antwort.

Immerhin sind die Genossenschaftsbanken dem Artikel in der Zeitschrift BankInformation zufolge mittlerweile selbst an dem Thema dran. Eine „aktuelle Maßnahmenliste“ sieht eine bessere Überwachung, frühzeitige Kommunikation mit solchen Kunden, striktere Regeln zur Genehmigung von Überziehungen und maschinelle Mahnverfahren vor.

Wie wird sich das in der Praxis auswirken? Der BVR betont, „dass nicht die Limitpolitik der einzelnen Genossenschaftsbank vor Ort infrage gestellt werden soll“. Vielmehr solle der Artikel „für das Thema sensibilisieren mit dem Ziel, dass unsere Mitgliedsbanken in engem Dialog mit ihren Kunden angemessene Limits vereinbaren und regelmäßig prüfen“.


Auch gute Kunden müssen handeln!
Was auch immer sich ändert: Sander rät auch gut gerateten Handwerkern dazu, sich beim Thema Kontokorrent nicht zu sehr auf die eigene Bank zu verlassen. „Sprechen Sie selbst Ihre Bankbetreuer auf zusätzlichen Finanzierungsbedarf an. Bevor Sie die Kreditlinie überschreiten.“ Dann könne im Einzelfall sogar eine abgesprochene Überziehung sinnvoll sein. „Aber dann sollte man vereinbaren, dass diese Überziehung nicht unter die 90-Tage-Regel fällt. Sonst rutschen Sie trotz Genehmigung in den Rating-Keller.“




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