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Berufsgenossenschaft

Gewerk: identisch. BG-Beitrag: variabel

Warum zahlt ein Kälteanlagenbauer in München wesentlich niedrigere Beiträge an seine Berufsgenossenschaft als ein Kollege in Hannover? Das würde der Handwerksunternehmer Reiner Bertuleit wirklich gerne wissen – er führt nämlich in beiden Städten Betriebe.

Wie komplex die Antwort ist, zeigt das folgende Gespräch mit der Hauptabteilungsleiterin Beitrag der Berufsgenossenschaft Holz und Metall, Brigitte Fordey.

Frau Fordey, können Sie Betriebsinhabern erklären, warum Betriebe gleicher Gewerke unterschiedliche Beiträge an ihre jeweilige Berufsgenossenschaft zahlen müssen?
Fordey: Jede Berufsgenossenschaft stellt für sich einen eigenen Gefahrtarif fest. Speziell für ihre Mitgliedsunternehmen. Und die Struktur der Betriebe kann bei unterschiedlichen Berufsgenossenschaften völlig verschieden sein. Diese unterschiedlichen Solidargemeinschaften haben unterschiedliche Lohnsummen, unterschiedliche Entschädigungsleistungen. Jede BG fasst die unterschiedlichen Betriebsstrukturen in einem Gefahrtarif zusammen.

Aber wie kann es sein, dass die Unterschiede derart groß sind? Die Antwort lesen sie auf Seite 2.

"Daran kann er nichts ändern"

Worauf basiert denn der jeweilige Beitrag der BG?
Fordey: Der Beitrag zur Berufsgenossenschaft besteht aus verschiedenen Komponenten. Die Gleichung, die für jedes Unternehmen gilt: Arbeitsentgelt x Gefahrklasse x Beitragsfuß durch 1000. Das Arbeitsentgelt meldet das Unternehmen. Die Gefahrklasse kennt der Unternehmer aus dem Veranlagungsbescheid für das Unternehmen. Der Beitragsfuß errechnet sich aus den Aufwendungen der Berufsgenossenschaft, die auf die Unternehmen umgelegt werden.

Aber wie kann es sein, dass die Unterschiede derart groß sind?
Fordey: Noch einmal: Der Beitragsfuß errechnet sich aus allen Entgelten, die in der jeweiligen BG erwirtschaftet werden. Die BG ETEM (Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse), bei der der Herr Bertuleit Mitglied ist, hieß früher BG Feinmechanik. Zu den Mitgliedern gehören unter anderem große Industrieunternehmen. Deshalb kann der Beitrag eines Kälteanlagenbauers in unterschiedlichen Berufsgenossenschaften auch dann unterschiedlich sein, wenn seine Gefahrklasse identisch ist.

Moment, wieso sinken die Beiträge, wenn große Unternehmen Mitglied sind?
Fordey: Weil dort großen Lohnsummen niedrigen Belastungen gegenüberstehen. Das Versicherungsrisiko ist besser. Das kennt man auch aus anderen Versicherungszweigen.

Jetzt könnte ein Kälteanlagenbauer aus Hannover einwenden, dass seine Standortwahl in dieser Hinsicht ziemlich mies war. Und dass es die Münchner gut haben. Was kann ein Unternehmer im Norden veranstalten, um weniger zu zahlen?
Fordey: Er kann daran nichts ändern.

Dass eine Rechtsverordnung von 1959 immer noch auf Ihre Umsetzung wartet, erfahren Sie auf Seite 3.

"36 Berufsgenossenschaften sind zu neun fusioniert"

Aber warum lässt sich das nicht bundesweit angleichen?
Fordey: Das ließe sich schon machen. Man müsste nur erst einmal die Gesetze ändern. Dass zum Beispiel Kälteanlagenbauer nicht alle bei der gleichen BG sind, ist historisch gewachsen. Jetzt hatte der Gesetzgeber vorgeschrieben, dass die 36 BG-en, die es ursprünglich gab, bis Ende 2010 zu neun BG-en zusammengelegt werden mussten. Die Organisationsreform ist durch. Aber: Seit 1959 steht im Gesetz, dass der Gesetzgeber eine Rechtsverordnung erlässt, die benennen soll, welches Gewerk in welcher Berufsgenossenschaft erfasst wird. Diese Verordnung gibt es bis heute nicht.

Das ist fast schon wieder lustig. Aber den einzelnen Betrieb interessieren die verbandspolitischen oder historischen Gegebenheiten nicht. Dem einzelnen Betrieb geht es ums Geld.
Fordey: Unsere erste und wichtigste Aufgabe ist die Prävention und der Gesundheitsschutz, die Berufsgenossenschaften unterstützen die Betriebe dabei. Die zweite Aufgabe ist, dass wir Verletzte rehabilitieren – und zwar beruflich, sozial und medizinisch. Da unterscheiden wir uns von den Krankenkassen. Die BG-en betreiben das mit allen geeigneten Mitteln, die Krankenkassen mit allen notwendigen Mitteln. Wir begleiten das Heilverfahren und holen immer das Optimum für Verletzte heraus. Und das kostet nun einmal Geld. Die Berufsgenossenschaft ist eine Haftpflichtversicherung des Unternehmers.

Doch warum hat die Fusion in Bertuleits Fall nicht für niedrigere Beiträge gesorgt? Die Antwort lesen Sie auf Seite 4.


"Eine reine Handwerker-BG wäre teurer"

Nun war ja zu hören, dass nach den Fusionen die Beiträge der Nord-BG-en insgesamt eher günstiger geworden sind. Aber offenbar stimmt das nicht.
Fordey: Speziell in diesem Fall stimmt das nicht. Kälteanlagenbauer werden bei der BGHM in der gleichen Tarifstelle wie das restliche SHK-Handwerk erfasst. Die Betriebe dieses Gewerkes beobachten wir seit Jahren, seit 1996 steigt die Gefahrklasse, weil sie viele Unfälle verursachen. Die Mitarbeiter haben sehr viel auf Baustellen zu tun, die Wege zu den Baustellen sind Dienstwege. Die klassischen „Sprinter-Unfälle“ sind also Arbeitsunfälle. Transporter, voll beladen, nach einem langen Arbeitstag fahren die Mitarbeiter noch weite Wege von x nach y – und da passiert sehr häufig etwas. Und deshalb ist gerade der Heizungsbau, trotz der Fusionen, trotz der Zusammenlegung großer Solidargemeinschaften nicht billiger geworden. Insgesamt sind die Beiträge für die Betriebe gesunken. Für alle anderen Betriebe der früheren NMBG (Norddeutsche Metall-Berufsgenossenschaft) hat die Fusion dazu geführt, dass sie weniger bezahlen.

Zusammengefasst ist es für das Handwerk also ein Nachteil, dass keine Roboter, sondern Menschen beschäftigt werden. Bei Opel am Fließband passiert weniger.
Fordey: Ja, das Handwerk war stark auf dem Weg in die Gefahrklasse Sieben Komma x. Die Maschinenbauer verursachen wesentlich weniger Unfälle und haben entsprechend eine wesentlich niedrigere Gefahrklasse. Die Dienstwegeunfälle sind eine Sache, aber im klassischen Handwerk passiert einfach mehr. Und natürlich passiert in einer Roboterstraße weniger. Aber die Roboterstraßen sorgen in der Solidargemeinschaft letztlich dafür, dass die Kosten für Handwerksbetriebe nicht weiter explodieren. Eine BG, die speziell das SHK-Handwerk versorgt, wäre eine extrem teure Angelegenheit für die Betriebe – so viel steht fest. Der Chef eines Handwerksunternehmens kann viel für Prävention tun, aber wo Menschen mit den Händen arbeiten, gibt es da natürliche Grenzen.

(sfk)

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