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Gierige Geschäftspartner

Extrem ausgedehntes Zahlungsziel: Durch dieses spezielle Schmiermittel erkaufen sich Zahntechniker Aufträge von Zahnärzten.

Zwischen Gesundheitshandwerkern und Medizinern bestehen besondere Beziehungen. Zuletzt sind die HNO-Ärzte ins Gerede gekommen, weil sie ganz offen Extra-Zahlungen von Hörgeräte-Akustikern einfordern (wir berichteten). Das Modell: Kunde gegen Kohle. In der Zahntechnik erleben wir die Korruption in einem viel schlimmeren Umfang. Aber das wird seit Jahrzehnten totgeschwiegen, sagt Jürgen Botterblom (Name von der Redaktion geändert). Großzügiges Zahlungsziel heiße das legale Schmiermittel, das Zahnärzte geschmeidig werden lasse.

Ein Beispiel: Ein Zahntechniker schickt seinem Auftraggeber dem Zahnarzt am Monatsende eine kumulierte Aufstellung aller geleisteten Arbeiten. Jetzt könnte der Zahnarzt das Geld sofort überweisen. Doch die Wirklichkeit kennt keine Zahlungsmoral. Dass die Ärzte erst nach drei, vier oder sechs Monaten zahlen, sei in der Branche keine Seltenheit, sagt Botterblom: Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Dutzend Kunden. Und die machen im Schnitt einen Umsatz von 20 000 Euro, zahlen aber erst nach einem halben Jahr. Das ist ein ganz schöner Batzen an Kapital, den sie da vor sich herschieben.

Anders ausgedrückt: Der Behandler zahlt seine Rechnungen nicht, Mahnungen muss er nicht befürchten. Er lässt das Geld auf seiner Bank liegen und nimmt sich so einen selbst festgelegten Rabatt. Mittlerweile sei dieser Ablauf sogar ein verbreitetes Marketing-Mittel, wenn sich Zahntechniker in einer neuen Praxis vorstellen. Wie bitte, mein Kollege gibt ihnen nur vier Monate? Sechs Monate sind kein Problem.

Überzieht Botterblom seine Vorwürfe? Nein, wir haben in der Branche unglaubliche Verwerfungen, der eine Kollege dreht an den Zahlungszielen, der andere lässt bestimmte Positionen unter den Tisch fallen, um an Aufträge zu kommen, antwortet Lutz Wolf. Der Obermeister der Niedersächsischen Zahntechniker-Innung spricht von einem Hauen und Stechen.

Tatsache ist: Mit jeder Gesundheitsreform kämpfen zahntechnische Labors härter ums Überleben. Transparenz und medizinischer Fortschritt das seien zwei der hehren Ziele der Politik gewesen. Durch die Einführung der Festzuschüsse sei das Gegenteil eingetreten, sagt Wolf. Eine Krankenkasse weiß heute nur in Ausnahmefällen, wer die Kronen, Brücken und Prothesen für ihre Versicherten wo in der Welt und auf welche Weise hergestellt hat. Und die Neuversorgung ist eingebrochen, wir haben 68 Prozent Reparaturen in den Laboratorien. Die Vokabel Ausgabenneutralität das dritte Ziel entlockt Wolf allenfalls ein höhnisches Lachen: Die Krankenkassen haben Milliardenüberschüsse erwirtschaftet, die eigentlich für zahnkranke Patienten ausgegeben werden sollten. Aber mit dem Geld werden andere Löcher gefüllt.

Das spezielle Problem der Zahntechniker in dieser Situation: ihre Abhängigkeit. Die Handwerker lernen den Patienten, für den ihre Produkte bestimmt sind, so gut wie nie direkt kennen. Wir nehmen am Markt nicht teil, sagt Wolf. Im Zentrum des Geschehens stehe der Zahnarzt. Und der könne schalten und walten, wie es ihm gefällt.

Was muss aus Sicht der Zahnärzteschaft geschehen, damit sich die um es vorsichtig auszudrücken angespannte Geschäftsbeziehung zwischen Zahnärzten und Zahntechnikern normalisiert? Von einem generell belasteten Verhältnis könne ganz sicher nicht gesprochen werden, antwortet der Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Michael Frank. Möglicherweise zwinge der zunehmende Wettbewerb auch unter den Zahnärzten sowie die wirtschaftliche Situation der Patienten auch die Mediziner dazu, den Endkunden längere Zahlungsziele einzuräumen. Und vielleicht würden die ausgedehnten Fristen dann an die Dentallabore weitergegeben. (Franks vollständiges Statement finden Sie hier).

Zahntechnikermeister Botterblom quittiert Franks Anmerkungen mit einem Kopfschütteln: Das geht an der Realität vorbei. Viele Zahnärzte nutzen unsere Situation aus und setzen uns unter Druck. Warum verbirgt er sich mit seinen Aussagen hinter einem Alias? Ganz einfach, wenn Sie meinen richtigen Namen nennen, können Sie auch gleich mein Labor haben.

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