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Grauzone, 9 Uhr, fester Halt

Handwerker als Handelsware

Auf dem Arbeiterstrich, per Fax, Brief oder Internet: Arbeitskräfte werden bundesweit zu Dumpingpreisen angeboten. Die Profiteure sind Menschen, die nur selten auf Baustellen zu sehen sind.

Michael Kellner schaut sie sich nicht mehr genau an. Zu viele hat er schon aus dem Fax gezogen, zu oft hat er sich schon geärgert. "Das ist eine Flut", sagt er über die seltsamen Personalangebote, die seinen Baubetrieb in Hannover erreichen. Angebote, die auf den ersten Blick keinen Verdacht wecken.

Mauern, Betonarbeiten, Hilfstätigkeiten aller Art – ein niedersächsischer Anbieter hat den „passenden Mitarbeiter“. Das Schreiben wirkt seriös. Was stutzig macht, sind die "unschlagbaren Konditionen", mit denen der Dienstleister wirbt.

11,50 Euro Stundenlohn, keine zusätzlichen Kosten! Lesen Sie Seite 2.

Immer professioneller

11,50 Euro Stundenlohn plus Mehrwertsteuer verrechnet die Firma laut Angebot für die Arbeitskräfte. Und verspricht Kellner: "Die Dauer der Beschäfigung liegt in Ihrer Hand und es entstehen Ihnen keinerlei zusätzliche Kosten".

"Wenn einer extremen Druck hat und Mitarbeiter braucht, überlegt er vielleicht nicht lange", erklärt sich Kellner, dass es für solche Dienstleister einen Markt gibt. „Aber 11,50 Euro? Mir sträuben sich da die Nackenhaare", sagt der Bauunternehmer. Kellner weiß: „Der Mindestlohn für einen Maurer beträgt 13 Euro, dazu kommen die Lohnnebenkosten." Wie also funktioniert das System?

In Antworten darauf fällt ein Wort immer wieder: Scheinselbstständigkeit. Das Hauptzollamt in Osnabrück spricht von einer zunehmenden Professionalisierung des Milieus.

Das Geschäft mit der Ware Mensch ist lukrativ. Und es profitieren Leute, die man selten auf Baustellen sieht. Es sind Leute, die für gewöhnlich ihrem Geschäft hinter Kanzlei-Schreibtischen nachgehen.

Nächste Seite: Ein lukratives Geschäft lockt Rechtsanwälte und Steuerberater.

Immer skurriler

In einem internen Bericht der Task-Force zur Bekämpfung des Missbrauchs der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit von Bund und Ländern heißt es: "Auch erschließen sich Rechtsanwälte und Steuerberater ein neues Geschäftsfeld, in dem sie bei der Firmengründung und -abwicklung beraten und die Geschäftstätigkeiten aktiv begleiten."

Der Dienstleister, der handwerkliche Arbeit für 11,50 Euro die Stunde anbietet, ist bei der FKS kein unbeschriebenes Blatt. "Die Firma fällt bundesweit auf", berichtet ein Ermittler. Dass die Behörden noch nicht eingegriffen haben, erklärt der Experte damit, dass die Beweisführung "sehr schwierig" sei. Arbeitskräfte billig anzubieten, sei noch nicht strafbar. Man müsse die Arbeiter auf der Baustelle erwischen.

Und dort kommt es zu skurrilen Situationen. Der Ermittlungsexperte berichtet von Maurern, die eine zehn Meter lange Wand hochziehen und von denen jeder behaupte, er habe einen "Werkvertrag für zwei Meter". Oder von Arbeitern, die einen Schubkarren mit eigener Firmenwerbung als Beweis für die Selbstständigkeit geltend machten.

Nächste Seite: Subunternehmer karren Arbeiter in Kleinbussen auf die Baustelle.

Immer schmutziger

So skurril der Kampf mitunter ist, genauso zäh ist er. Die FKS geht zwar verstärkt gegen Scheinselbstständigkeit vor. Doch der Nährboden, auf dem die Schattenwirtschaft gedeiht, ist wieder größer geworden. Seit einigen Jahren sind es vor allem Arbeitskräfte aus Bulgarien und Rumänien, die nach Deutschland kommen und einen Gewerbeschein erhalten. Ihre Zahl hat sich in den vergangenen Jahren mehr als verdoppelt.

270.000 Einzelunternehmen sind laut Bonner Institut für Mittelstandsforschung (ifM) im Jahr 2012 gegründet worden. Knapp die Hälfte der Existenzgründer hat keinen deutschen Pass. Tendenz steigend. Die sogenannte Arbeitnehmer-Freizügigkeit gilt für Bulgaren und Rumänen erst ab 2014. Mit einem Gewerbeschein können sie schon jetzt ihre Dienste anbieten.

Viele von ihnen verdingen sich als Tagelöhner. Auf Arbeiterstrichen warten sie darauf, dass der Kleinbus irgendeines Subunternehmers sie zur nächsten Baustelle karrt. Anders als etwa in München, Köln oder Dortmund gibt es in Michael Kellners Heimatstadt keinen solchen Strich mehr.

Einen Arbeiterstrich habe es vor Jahren gegeben, bevor die Freizügigkeit für Polen wirksam geworden ist, erinnert man sich im Hauptzollamt in Hannover. Dass immer mehr Bulgaren und Rumänen mit Gewerbeschein in der Stadt auftauchen, registriert die Behörde mit Besorgnis. Wie kommen sie an ihre Jobs? "Wenn wir das nur wüssten", sagt ein Mitarbeiter der Behörde.

Was den Fahndern ihre Arbeit erschwert: Die Personalangebote, wie sie etwa Michael Kellner aus dem Fax fischt. Denn die kommen von überall her aus Deutschland.

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(mfi)

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