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Alltag Ausbeutung 4

Interview: Das Geschäft der "Kümmerer"

Die vermeintliche Arbeitserlaubnis dient als Köder, der GbR-Eintrag hält als Lizenz zum Ausbeuten her. Und welche Tricks gibt es noch? Die Hamburger Rechtsanwältin Victoria Müller über "Kümmerer" und deren Geschäfte auf dem Rücken bulgarischer Arbeiter.

Wie kommen bulgarische Arbeiter, die kein Deutsch können, an Arbeitspapiere?
Victoria Müller: Die Bulgaren werden angeworben: Man sagt ihnen, du bekommst so und so viel Lohn, wir kümmern uns um die Arbeitspapiere. Am Ende ist es keine Arbeitserlaubnis, sondern es handelt sich um einen Gewerbeschein. Teilweise habe ich schon gefälschte Gewerbescheine gesehen, für die die Arbeiter 250 Euro bezahlt haben. Auch die Steuernummer wird ihnen besorgt - gegen Gebühr.

Wo werden die Arbeiter untergebracht?
Müller: Die Anmeldung ist oft das größte Problem für die Arbeiter. Hier in Hamburg herrscht Wohnungsnot. Viele melden sich mit irgendeiner Adresse an, wohnen aber nicht dort, sondern auf der Baustellle. Sie zahlen teilweise bis zu 200 Euro pro Monat nur für die Wohnadresse. Wenn sie einen Monat nicht bezahlen können, werden sie abgemeldet, woraufhin automatisch das Gewerbe abgemeldet wird – und die ganze Lawine auf sie zukommt.

Noch bevor die Arbeiter mit Hungerlöhnen abgespeist werden, werden sie also abgezockt?
Müller: Fast alle Mandanten, die ich vertrete, haben sehr viel Geld an Berater - so genannte Kümmerer - gezahlt. Und das für so gut wie nichts am Ende.

Wer sind diese Kümmerer?
Müller: Es sind entweder die Bauunternehmen selbst. Oder es sind Bulgaren, die hier Erfahrungen gesammelt haben und eine Firma gründen.

Was sind das für Firmen?
Müller: Das ist ganz unterschiedlich, neuerdings werden viele GbR gegründet. Dann kann Folgendes passieren: Eine GmbH, deren Gesellschafter Bulgare ist, vermittelt einen Auftrag an die GbR. Zu der GbR gehören, sagen wir mal zum Beispiel 25 Männer, alle mit GbR-Vertrag. Jedes Mal, wenn ein Mann geht oder einer anderer kommt, wird der Vertrag erneuert. Wenn die Dokumente in Ordnung sind, wird es sehr schwierig, Scheinselbstständigkeit nachzuweisen. In einem Fall war es so, dass der Geschäftsführer der GmbH zugleich 25 Prozent der Anteile an der GBR hatte. Die Bulgaren, die dort arbeiteten, hielten je 5 oder 4,8 Prozent der Anteile, je nachdem, wie viele Männer es gerade waren. Der Vertrag wurde jede Woche geändert, jede Woche gab es neue Prozentzahlen. Die Männer sind letztlich alle leer ausgegangen. In solchen Fällen das Geld einzuklagen, ist aussichtslos.

Aussichtslos ...
Müller:  ... zumal die GmbH behaupten kann: Die Arbeit ist nicht abgenommen worden, weil gepfuscht wurde. Ich habe es erlebt, dass Monate später Schadensersatzansprüche geltend gemacht worden sind. Meine Mandanten hatten natürlich keine Fotos gemacht, kein Beweissicherungsverfahren angestrengt. Was auch oft vorkommt: Die Baufirma sagt: Wir haben keine prüfungsfähige Rechnung, also gibt es kein Geld. Das Baurecht ist bekanntlich kompliziert. Man muss die VOB kennen, alles genau aufschreiben. Woher sollen die Bulgaren wissen, wie man eine korrekte Rechnung schreibt? Wenn sie dann erfahren, wie die Rechnung aussehen muss, ist es in der Regel zu spät. Denn sie haben ja gedacht, sie werden pro Stunde bezahlt. Sie haben sich nicht notiert, wie viele Quadratmeter Wand sie gespachtelt oder wie viele Meter sie gemauert haben. Das alles ist faktisch nicht mehr nachvollziehbar.

Wenn es darum geht, Bulgaren auszunutzen, sind Chefs offenbar kreativ?
Müller: Ja, das ist aber auch gegenüber Deutschen so. Das Baurecht ist ein hartes Geschäft. Schlimm ist, dass Bulgaren so wenig misstrauisch sind. Es ist in Bulgarien gang und gäbe, dass man sich zum Beispiel nur den Vornamen merkt. Frage ich Mandanten, wie der Chef hieß, höre ich als Antwort nur einen Vor- oder Spitznamen. Frage ich nach einem schriftlichen Vertrag, heißt es, es gebe einen mündlichen - ohne Zeugen. Auch schriftliche Lohnvereinbarungen sind die Ausnahme.

Würden strengere Gesetze den Arbeitern helfen?
Müller: Es gibt ja den Paragrafen 14 des Entsendegesetzes, der hilft ein wenig. Ich wüsste nicht, wie man ausbeuterische Auftragsketten unterbrechen könnte.

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(mfi)

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