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Recht

Krankschreibung per Whatsapp: Rechte für Arbeitgeber

Online-Krankschreibungen ohne Arztbesuch: Müssen Arbeitgeber so etwas akzeptieren, wenn sie Missbrauch wittern? Eine Arbeitsrechtlerin klärt auf.

Auf einen Blick:

  • Ein neuer Online-Dienst, über den sich Krankschreibungen bestellen lassen, erhitzt die Gemüter von Arbeitgebern.
  • Welchen Handlungsspielraum Arbeitgeber haben, wenn der Verdacht naheliegt, dass ein Mitarbeiter die Online-Krankschreibung missbräuchlich verwendet, erklärt Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht.
  • Sie hält es für möglich, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die ohne persönliche Untersuchung ausgestellt wurde, vor Gericht nicht als Beweis für eine Arbeitsunfähigkeit akzeptiert wird.

Krankschreibung bis zu drei Tage, rechtssicher, ärztlich attestiert, einfach für 9 Euro bestellt, ganz bequem per Whatsapp. Das verspricht der Dienstleister au-schein.de erkälteten Arbeitnehmern. Das Angebot erhitzt die Gemüter der Arbeitgeber im Handwerk. Steht doch die Sorge im Raum, dass mancher Arbeitnehmer solch einen unkomplizierten Krankschreibeservice missbrauchen könnte.

Au-schein.de macht es seinem Nutzer nämlich recht einfach, einen Krankenschein zu bekommen. Dazu muss er kaum mehr tun, als in der Software ein paar Erkältungssymptome anzuklicken und ein Foto seiner Versichertenkarte zu übermitteln – ob der Nutzer tatsächlich über Husten, Schnupfen, Halsschmerzen klagt, wird nicht ärztlich untersucht. Das kann Misstrauen bei Arbeitgebern wecken, gerade in Zeiten, wo mancher Unternehmer ohnehin lange Krankheitsausfälle aufgrund von Lappalien beklagt.

Wie krank ist man überhaupt mit einer Erkältung?

Auf vergleichsweise leichte Erkrankungen zielt auch das Krankenschein-Angebot von au-schein.de ab: Es gilt ausschließlich für Erkältungen. Darin sieht Nathalie Oberthür, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Vorsitzende des Arbeitsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins, bereits die erste Merkwürdigkeit: „Der Service differenziert gar nicht nach Tätigkeit, sondern unterstellt pauschal, dass man mit einer Erkältung per se arbeitsunfähig ist.“ Dabei gibt es feste Regeln zur Beurteilung, ob eine Arbeitsunfähigkeit (AU) durch Krankheit vorliegt. Eine der folgenden Aussagen müsse dazu auf die kranke Person zutreffen:

  • Sie ist aufgrund der Krankheit nicht in der Lage ihrer Arbeit nachzugehen.
  • Die Erbringung der Arbeitsleistung würde die Genesung beeinträchtigen.

„Natürlich kann die Arbeitsleistung bei einer schwere Erkältung die Genesung beeinträchtigen“, sagt Oberthür. „Hat jemand aber nur einen leichten Schnupfen und muss sich die Nase putzen, hätte ich Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit.“

Rechtliche Einschätzung: Müssen Arbeitgeber eine solche Krankschreibung akzeptieren?

Die Frage, ob Arbeitgeber eine Fernkrankschreibung nach dem Muster von au-schein.de akzeptieren müssen, fällt in den Bereich des Arbeitsrechts. „Wir werden abwarten müssen, wie die Arbeitsgerichte damit umgehen“, sagt Nathalie Oberthür. Grundsätzlich habe eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen hohen Beweiswert. Heißt: Man müsse sie als richtig akzeptieren, sofern es keine gravierenden Umstände gibt, die den Beweiswert erschüttern. Hier wäre es denkbar, dass die Rechtsprechung zu Gunsten der Arbeitgeber ausfällt. „Hat es keinerlei persönlichen Kontakt des Mediziners zum Patienten und keinerlei persönliche Beurteilung seines Zustandes gegeben, ist es möglich, dass der Beweiswert der AU-Bescheinigung nicht akzeptiert wird“, sagt Oberthür. Dann müsse der Arbeitnehmer den Beweis anderweitig führen. Normalerweise trete in solchen Fällen der behandelnde Arzt als Zeuge auf. „Diese Möglichkeit scheidet in diesem Fall aufgrund des fehlenden persönlichen Kontakts zwischen Arzt und Patient jedoch aus“, sagt die Arbeitsrechtlerin.

Praxistipp für Arbeitgeber

Wie sollten Arbeitgeber reagieren, wenn sie mit einer Fernkrankschreibung nach dem Vorbild von au-schein.de konfrontiert werden? „Ich würde die Reaktion von der Gesamtsituation abhängig machen“, sagt Nathalie Oberthür. Herrscht zwischen Chef und Team ein vertrauensvolles Verhältnis, könne man den Schein einfach akzeptieren. Kleine Unternehmen könnten ihn bei der zuständigen Krankenkasse einreichen und sich so einen Teil der Kosten erstatten lassen, die durch die Pflicht zur Entgeltfortzahlung entstanden sind.

Und wenn der Arbeitgeber das Gefühl hat, dass der Arbeitnehmer die Krankschreibung missbräuchlich verwendet hat? „Dann würde ich den Krankenschein nicht akzeptieren und die Entgeltfortzahlung verweigern“, sagt Oberthür. Im Zweifel würde der Streit dann vor Gericht fortgesetzt. „Zur Vermeidung von Missbrauch kann das durchaus Sinn machen“, meint die Fachanwältin.

Hintergrund: Das hat Fernkrankschreibungen möglich gemacht

Grundlage der Fernkrankschreibung per Whatsapp ist die 2018 vom Deutschen Ärztetag beschlossene Lockerung des Fernbehandlungsverbots. In der Musterberufsordnung für Ärzte heißt es seither: „Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist im Einzelfall erlaubt, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt […] gewahrt wird“. Zwar habe sich der Ärztetag gegen die Ausstellung von Krankenscheinen ohne persönlichen Kontakt ausgesprochen, dies aber könne nicht der Ärztetag regeln, sondern nur der Gesetzgeber, schreibt aerzteblatt.de. In der Berufsordnung von Schleswig-Holstein wird der Beschluss des Deutschen Ärztekongresses besonders liberal ausgelegt. Das nutzt Anbieter au-schein.de laut Hamburg Startups für seinen Dienst: Die AU-Scheine werden demnach in Schleswig-Holstein unterzeichnet.

So beurteilt die Ärztekammer Hamburg den Whatsapp-Dienst

Berufsrechtlich ist die Praxis von au-schein.de offenbar umstritten. Die Ärztekammer Hamburg – in dem Stadtstaat gilt derzeit noch das ausschließliche Fernbehandlungsverbot – hat sich kritisch mit dem Dienst von au-schein.de auseinandergesetzt. Sie stellt klar, dass Ärzte AU-Scheine nach bestem Wissen und Gewissen ausstellen müssen. Für die Ärztekammer ist fraglich, wie ein Arzt über besagten Whatsapp-Dienst sicherstellt:

  • ob der Patient tatsächlich krank ist und
  • ob er überhaupt der Patient ist, der auf der per Foto übermittelten Versichertenkarte zu sehen ist.

Vorgehen kann die Kammer gegen das Angebot von au-schein.de wohl nicht. Aus mehreren Gründen. Sie habe zwar die Berufsaufsicht für Ärzte ihres Kammerbereichs, nicht aber für Unternehmen wie au-schein.de. Zudem betreffe das Problem nicht ausschließlich die Berufsordnung. „Mit Sicherheit werden uns künftig häufiger Angebote gewerblicher Anbieter beschäftigen, die sich auf Möglichkeiten der Fernbehandlung fokussieren“, sagt Nicola Timpe, Sprecherin der Ärztekammer Hamburg. Die Ärztekammern könnten die Fragen, die diese Angebote aufwerfen, jedoch nicht alleine klären. „Es muss einen politischen Diskurs geben zu der Frage, wo künftig Grenzen der technischen Möglichkeiten liegen sollen.“

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