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Subunternehmer

Mensch Meyer, wenn das nicht passiert wäre?

Nach dem tragischen Tod zweier rumänischer Werkvertragsarbeiter der Meyer-Werft sind viele Fragen offen. Seltsam viele.

Wie viel wusste die Geschäftsführung der Meyer Werft? Wollte sie es nicht so genau wissen? Hat sie der Subunternehmer im Unklaren gelassen? Wie sieht die Realität der osteuropäischen Arbeiter aus? Und vor allem: Stimmen überhaupt die Vorwürfe, die erhoben werden? Bauen Lohnsklaven in Papenburg Luxusschiffe?

Zwei rumänische Werft-Arbeiter sind bei einem Feuer in ihrer Unterkunft ums Leben gekommen. Einer Sammelunterkunft. Seither fegt ein Sturm der Entrüstung über die kleine Stadt im Emsland. Seither zischeln Kritiker des Unternehmens das Wort Ausbeutung. Seither kämpft die Werft um ihren Ruf. Wieder einmal. Erinnerungen werden wach an die Estonia, jene Fähre aus der Meyer-Werft, die vor Jahren im finnischen Meer versank.

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Die gesetzlichen Möglichkeiten werden ausgeschöpft

Ein Handwerksmeister aus Papenburg findet nichts Schlimmes daran, dass die Werft osteuropäische Arbeiter einsetzt. Er hält sich mit Kritik nicht deshalb zurück, weil die Werft ein "sehr wichtiger Auftraggeber für Betriebe in der Region ist". Sondern weil es selbstverständlich sei, dass ein Unternehmen die gesetzlichen Rahmenbedingungen ausschöpfe, um die Lohnkosten so gering wie möglich zu halten. Und er betont: "Auf der Werft werden viele Sprachen gesprochen, das ist wie am Bau. Das ist politisch so gewollt."

Werden ausländische Werkvertragsarbeiter mit Billiglöhnen abgespeist? Er wisse auch nur, was in der Zeitung stehe. Dass die Meyer-Werft nur sechs oder sieben Euro die Stunde zahle, könne er sich schlecht vorstellen, sagt der Handwerksunternehmer. Aber für Rumänen und Bulgaren "wäre das in ihrer Heimat immer noch viel Geld".

Sechs, sieben Euro Stundenlohn – das ist eine Version. Einer anderen zufolge sind es nicht mehr als drei Euro netto, die bei Osteuropäern ankommen. Sie stammt von einem Papenburger Arzt, der zum Unglücksort geholt worden war. Medien gegenüber betont der Arzt, dass er immer wieder rumänische und bulgarische Werftarbeiter in seiner Praxis behandle. Sie sollen ihm auch erzählt haben, sie seien nicht krankenversichert, ihre Ausweise habe der Chef einkassiert. Die Wohnverhältnisse in dem Haus, in dem Feuer ausbrach, waren nach Aussage des Arztes erbärmlich.

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Meyer-Werft macht klar Schiff

Die Meyer-Werft sagt etwas anderes. Sie sagt, dass sie Stundensätze von 20 bis 35 Euro brutto bei der Kalkulation von Werkverträgen ansetzt. Die Rumänen, die bei dem Feuer starben, sollen 1800 Euro netto im Monat verdient haben. Das geht laut Werft aus Lohnauszügen des Subunternehmers hervor.

Wie glaubhaft ist der Subunternehmer? "Wir arbeiten seit mehr als 15 Jahren mit ihm zusammen", sagt der Sprecher der Meyer-Werft, Peter Hackmann. Man habe nur gute Erfahrungen gemacht. Nach den Medienberichten sei man dabei, die Personalunterlagen des Subunternehmers zu prüfen. Lohnabrechnungen, Krankenversicherung, Sozialversicherung, soweit erkennbar, sei alles in Ordnung.

Auch die Unterkünfte der osteuropäischen Werftarbeiter habe man sich angesehen. Sie wohnen in fünf Häusern, die der Subunternehmer betreut. Nirgendwo seien die Verhältnisse problematisch. In dem Wohnhaus, das brannte, befanden sich 38 Schlafplätze verteilt auf elf Schlafräume. Laut Polizeibericht waren 30 Menschen darin untergebracht.

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Die Macht und das Schweigen

Erkundigt man sich bei Papenburgern nach den Unterkünften der fremden Arbeiter, gewinnt man den Eindruck, durch die Stadt verliefe eine unsichtbare Grenze: Die Handwerker der deutschen Unternehmen seien in schönen Häusern untergebracht, sagt die Mitarbeitern einer Pfarrei. Und die anderen? In der Nachbarschaft werde schon geredet, aber so genau wisse sie das nicht, sagt sie. Damit sagt sie mehr als andere. Sie und der Handwerksmeister, der unbedingt anonym bleiben möchte, zählen zu denen, die überhaupt etwas sagen. Viele legen, sobald die Rede auf die Meyer-Werft und die beiden toten Arbeiter kommt, den Telefonhörer auf oder sprechen nur unter der Bedingung, dass davon kein Wort in der Zeitung erscheint.

15.000 Arbeitsplätze sollen an der Meyer-Werft hängen. "Wenn die Werft das Handwerk hier in der Gegend bei der Auftragsvergabe schneiden würde, daran mag ich nicht denken", sagt der Handwerksmeister. Handwerk, Industrie, Handel – von der Werft zehrt die ganze Region, die Werft ist omnipräsent.

Was die Werft-Verantwortlichen allem Anschein nach nicht zu Gesicht bekommen haben, sind die Arbeitsverträge der Rumänen. Trifft zu, was der Bruder eines der Opfer in der Neuen Osnabrücker Zeitung sagt, dann schöpft ein weiterer Subunternehmer reichlich Geld ab. Laut Arbeitsvertrag betrug der Bruttolohn des verunglückten Schweißers 174 Euro. Das ist genau der Mindestlohn, den der rumänische Staat vorschreibt. Zusätzlich zu den 174 Euro war eine Tagespauschale in Höhe von 35 Euro vereinbart. Wie das Blatt erfahren haben will, sind Tagespauschalen in Rumänien ein beliebter Trick, um Sozialversicherungsbeiträge zu sparen.

Wie viel also verdienen die Schweißer aus dem Osten? 1800 Euro? 174 plus 35 Euro? Sechs bis sieben Euro die Stunde? Drei Euro pro Stunde? Es gibt weitere Antworten. Klar ist nur, keine davon könnte man sich aus dem Munde eines deutschen Schweißers vorstellen.

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Strenger Kodex für alle Subunternehmer

Keine Frage, die Werft profitiert von der Möglichkeit, osteuropäische Arbeiter über Werkverträge zu beschäftigten. Und glaubt man dem Unternehmen, geht es dabei gar nicht so sehr ums Geld. "Wir leiden genauso wie andere Unternehmen unter einem Fachkräfte-Mangel", sagt Firmensprecher Hackmann.

Gelernte Schweißer etwa seien in Deutschland fast nicht zu bekommen. Wie viele Rumänen und Bulgaren derzeit auf der Werft arbeiten, weiß er nicht. Der Subunternehmer, der in die aktuellen Ermittlungen verwickelt ist, stelle im Augenblick 80 bis 100 Arbeiter. Insgesamt beschäftige die Werft 1500 Werkvertragsarbeiter. Die weitaus meisten davon seien Mitarbeiter deutscher Betriebe, darunter viele Handwerksbetriebe, betont Hackmann. 75 Prozent aller Leistungen kaufe man ein, 25 Prozent erbringe die Werft in Eigenregie.

2000 Lieferanten hat die Meyer-Werft nach eigener Aussage. Vom Großkonzern bis zum kleinen Fließenleger. Für sie alle wird sich etwas ändern. Im Kampf um ihr Image will die Werft bei Werkverträgen künftig genauer hinschauen. Sie stellt dazu eine "Sozialcharta" und einen "Verhaltenskodex" auf, die für alle Subunternehmer verpflichtend sein werden. Zudem will sie mit der IG Metall einen Tarifvertrag zu Verträgen vereinbaren. Darin soll festgeschrieben werden, dass Arbeiter mindestens 8,50 Euro pro Stunde bekommen. Gewerkschafter bekommen Kontroll- und Mitspracherechte.

Eine Tarifregelung für Werkverträge ist ein Novum. Experten rechnen damit, dass das Beispiel Schule machen könnte. In anderen Kreisen der Wirtschaft regt sich heftiger Widerstand. Davon unbenommen nimmt jetzt auch die Politik das Werkvertragsrecht unter die Lupe. Fleischindustrie, Bauwirtschaft, Gebäudereinigerhandwerk - branchenübergreifend will etwa eine Arbeitsgruppe der niedersächsischen Landesregierung herausfinden, inwieweit das Werkvertragsrecht missbraucht wird, um Arbeitskräfte auszubeuten.

Letztendlich den Anstoß für die politischen Aktivitäten gegeben hat der Fall der Meyer Werft. Ein Fall mit vielen offenen Fragen. Ein Fall, der möglicherweise gar nicht typisch für Lohndumping in Deutschland ist. Wer würde wohl darüber diskutieren, wenn das in Papenburg nicht passiert wäre?

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(mfi)

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