Handwerk Archiv
Foto: handwerk.com

Berichte aus der Praxis

Mindestlohn: Betriebe in der Klemme

Verwirrung, Verzweiflung und Ärger: Vor allem das hat das neue Mindestlohngesetz in den Betrieben ausgelöst. Was sind die brennendsten Probleme? Ein Branchen-Überblick.

Baugewerbe: Grenze zu hoch!
„Die unnötige Bürokratie, die das neue Mindestlohngesetz mit sich bringt, sorgt in unseren Betrieben für Verdruss“, sagt Matthias Wächter, Hauptgeschäftsführer des Baugewerbe-Verbandes Niedersachsen. Die Gefahr bestehe, dass die Mitgliedsbetriebe die immer wieder neuen Vorschriften nicht mehr ernst nehmen. Wächter warnt davor, dass der bestehende Verdruss in Ignoranz gegenüber der Politik umschlägt.

Die Verbände versuchten deswegen, auch in Berlin ihre Interessen zu vertreten und das Mindestlohngesetz zu „entschärfen“. Knackpunkt sei der Betrag von 2958 Euro - für Angestellte, die weniger als das verdienen, müssen die Arbeitszeiten nach dem neuen Gesetz dokumentiert werden. „Diese Zahl ist einfach nicht nachzuvollziehen“, sagt Wächter. Eine Grenze von maximal 2100 Euro hält er für realistischer für die Branche.






Augenoptiker: Haftungsrisiko
Der zusätzliche Aufwand mit den Dokumentationspflichten hält sich bei den Augenoptikern in Grenzen. Trotzdem verurteilt die Landesinnung die zusätzlichen Aufgaben, die den Betrieben die Zeit für ihre originäre produktive Tätigkeit verkürzen. Es müssen neuerdings die Arbeitszeiten für Mitarbeiter mit Minijobs zusätzlich konkret dokumentiert werden. Bei regelmäßig arbeitenden Angestellten gelten weiterhin die bisherigen Vorgaben.

Die Landesinnung rät jedoch dazu, generell für alle Mitarbeiter Arbeitszeitkonten zu führen. Was der Branche mehr Sorgen bereitet ist die Haftung, wenn Subunternehmer den Mindestlohn nicht zahlen. „Wenn beispielsweise Werkstätten mit dem Einschleifen der Brillengläser in die Fassungen oder besonderen Reparaturarbeiten beauftragt werden, muss der Auftraggeber auf Nummer sicher gehen, dass auch dort der Mindestlohn gezahlt wird“, sagt Yvonne Buttstädt von der Landesinnung der Augenoptiker und Optometristen in Niedersachsen und Bremen.

Welchen tatsächlichen Umfang die Auswirkungen dieser neuen Regelungen haben, könne der Verband noch nicht abschätzen. Klar sei aber, dass sich alle Betriebe schriftlich rückversichern sollten, dass Subunternehmer die Zahlung des erforderlichen Mindestlohns einhalten.

Ein Glasermeister beklagt, dass die Kontrolle der Dokumentationen an den Chefs hängen bleibt -
lesen Sie Seite 2.

Glaser: Noch mehr Arbeit für den Chef!

„Unsere Betriebe ärgert, dass die Dokumentation der Arbeitszeiten noch zu den eigentlichen Aufgaben hinzu kommt“, sagt Christian Förster, Bezirksobermeister der Glaserinnung Niedersachsen. Gerade in den kleinen Betrieben, in denen der Chef „Mann für alles“ ist, bleibe die Kontrolle der Aufzeichnungen an den Inhabern hängen. Die hätten momentan so volle Auftragsbücher, dass die Arbeit kaum zu schaffen sei.

Mehr Personal einstellen können sie wiederum auch nicht, weil an allen Enden die Fachkräfte fehlen. Für die Betriebe des Glaserhandwerks seien die Aufzeichnungspflichten und die Kontrolle der Dokumentation ein Haufen administrativer Arbeit obendrauf.



Dachdecker: Dokumente auf der Baustelle?
„Unsere Betriebe verunsichert vor allem, wie sie auf auswärtigen Baustellen die Unterlagen vorhalten sollen, die der Zoll im Ernstfall überprüfen will“, sagt Arnold Schmalstieg, Betriebsberater im Landesinnungsverband des Dachdeckerhandwerks Niedersachsen-Bremen. Wie könne ein Vor­arbeiter beispielsweise Unterlagen, die eigentlich in die Lohnbuchhaltung gehören, mit auf eine auswärtige Baustelle nehmen? Nicht nur, dass diese Dokumente der Vertraulichkeit und dem Datenschutz unterliegen. Diese Forderung ist für die Betriebe einfach unpraktikabel.

Wie sie in der Praxis umgesetzt werden soll, müsse der Verband erst noch klären. Er hoffe dabei auf Unterstützung vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) und dessen Einfluss in Berlin.

Nächste Seite: Fleischer engt das neue Mindestlohngesetz ein. Sie haben Probleme,
Auftragsspitzen abzufedern.

Fleischer: Problemfall Auftragsspitzen

In den Betrieben des Fleischerhandwerks stoßen die neuen Dokumentationspflichten auf Ablehnung. „Noch mehr Aufzeichnungspflichten können kleine Betriebe nicht mehr bewältigen. Sie haben ja keine Zeit mehr für ihre eigentliche Arbeit“, sagt Heiner Kleinschmidt, stellvertretender Landesinnungsmeister in Niedersachsen.

Der Staat überwache das Handwerk, wo es nur geht, und könne die Kontrolle gar nicht gewährleisten. Mit den neuen Regeln sei Saisonarbeit in den Betrieben nicht mehr möglich und zu aufwendig wegen der damit zusammenhängenden Bürokratie. In Fleischereien sei es außerdem üblich, mit wechselnden Arbeitszeiten Auftragsspitzen abzufedern und die Stunden dann wieder auszugleichen.

Auch diese Freiheit sei den Betrieben mit den strengen Vorgaben für die Dokumentation der Arbeitszeiten genommen, betont der Fleischermeister. Allein in seinem Betrieb fällt pro Woche eine Stunde Mehrarbeit an, um den Forderungen des neuen Mindestlohngesetzes nachzukommen.

Ihre Meinung: Teilen Sie die Auffassung der Handwerks-Kollegen zum Thema Mindestlohn? Wie sind Ihre Erfahrungen und was nervt Sie an dem neuen Gesetz? Schreiben Sie uns!


Diese Texte zum Thema Mindestohn könnten Sie auch interessieren:

(ja)

Frustriert von der Mitarbeitersuche?

handwerk.com und die Schlütersche helfen Ihnen Ihre offenen Stellen einfach, zeit- und kostensparend mit den richtigen Kandidaten zu besetzen! Mehr als 500 Betriebe vertrauen uns bei der Mitarbeitersuche!

Jetzt Bewerber finden!

Wir haben noch mehr für Sie!

Praktische Tipps zur Betriebsführung und Erfahrungsberichte von Kollegen gibt es dienstags und donnerstags auch direkt ins Postfach: nützlich, übersichtlich und auf den Punkt.
Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an - schnell und kostenlos!
Wir geben Ihre Daten nicht an Dritte weiter. Die Übermittlung erfolgt verschlüsselt. Zu statistischen Zwecken führen wir ein anonymisiertes Link-Tracking durch.
Eine Person hält eine Hand voll Euro-Münzen

Politik und Gesellschaft

Mindestlohn soll 2024 auf 12,41 Euro steigen

Für 2024 empfiehlt die Mindestlohnkommission die Anhebung der Lohnuntergrenze um 41 Cent. Unter welchen Voraussetzungen tritt der neue Mindestlohn in Kraft?

    • Politik und Gesellschaft
Kein Mindestlohn gezahlt: Das ist laut Bundesarbeitsgericht eine Ordnungswidrigkeit.

Personal

Haften GmbH-Geschäftsführer persönlich für den Mindestlohn?

Eine GmbH zahlt keinen Lohn mehr und meldet Insolvenz an. Ein Mitarbeiter verklagt die Geschäftsführer auf Zahlung des Mindestlohns als Schadenersatz.

    • Personal, Recht, Arbeitsrecht
Neuer Tarifvertrag: Für die Beschäftigten im Dachdeckerhandwerk gilt ab 2024 eine neue Lohnuntergrenze.

Politik und Gesellschaft

Dachdeckerhandwerk: Neue Mindestlöhne ab 2024

Die Mindestlöhne im Dachdeckerhandwerk sollen zum neuen Jahr steigen, darauf haben sich die Tarifpartner geeinigt. Hier sind die Details.

    • Politik und Gesellschaft
Ab dem 1. Januar 2024 wird der gesetzliche Mindestlohn bundesweit um 41 Cent angehoben.

Gesetzlicher Mindestlohn steigt 2024 auf 12,41 Euro

Die Bundesregierung gibt grünes Licht für die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns: Er steigt 2024 um 41 Cent – das hat auch Folgen für Minijobs.