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Foto: handwerk.com

Digitale Tachografen

Mit dem Lieferwagen im Vorschriften-Dschungel

Die EU hat entschieden. Die gute Nachricht: Handwerker dürfen künftig 50 Kilometer weiter fahren, ohne die Lenk- und Ruhezeiten protokollieren zu müssen. Doch es gibt auch schlechte Nachrichten. Und zwar richtig schlechte …

von Ulrike Lotze

Tischlermeister Nobert Kampmann aus Essen ist sauer: Zwar hat das Europäische Parlament mit der Annahme der überarbeiteten Regelungen für digitale Tachografen für Klarheit gesorgt. Doch die Neuregelung tritt erst am 2. März kommenden Jahres in Kraft. „Und das wissen viele meiner Kollegen nicht“, weiß der Obermeister der Tischler-Innung Essen aus Erfahrung. Was den Unternehmer ebenfalls umtreibt, sind die Kosten, die die Betriebe schultern müssen und der „unbeschreibliche verwaltungstechnische Aufwand“.

Hier zunächst die gute Nachricht: Das EU-Parlament hat eine weiterreichende Ausnahmeregelung für Handwerksunternehmen beschlossen. Die sieht vor, dass Handwerker auf dem Weg zum Kunden in einem Aktionsradius von 100 Kilometern rund um den Betrieb ihre Lenk- und Ruhezeiten nicht von einem digitalen Tachografen protokollieren lassen müssen. Bedingung I: Das Fahren ist nicht die Haupttätigkeit des Fahrzeugführers. Bedingung II: Die Gesamtmasse des Fahrzeugs beträgt inklusive des für die Ausübung des Berufs nötigen Materials, Ausrüstung und Maschinen nicht mehr als 7,5 Tonnen. Gültig ist diese Ausweitung aber tatsächlich erst ab dem kommenden Jahr.

Bis dahin gilt ein Radius von nur 50 Kilometern, in dem Handwerker auch ohne digitalen Tachografen unterwegs zum Kunden sein dürfen. Die Ausweitung auf 100 Kilometer ist zwar ein Erfolg für das Handwerk – allerdings nur ein Teilerfolg.

Und damit beginnen die schlechten Nachrichten: Denn die Handwerksverbände hatten sich, wie berichtet, in Brüssel für einen Aktionsradius von 150 Kilometern um den Hauptsitz des Unternehmens eingesetzt. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) war für diesen Vorschlag sogar 2008 von der sogenannten Stoiber-Kommission mit dem Entbürokratisierungspreis ausgezeichnet worden.

Außerdem hatte das Handwerk auch eine Ausnahmeregelung für einzelne Fahrten gefordert: Denn im schlimmsten Fall müssen sich Handwerker jetzt, wenn sie nur eine weitere Fahrt im Jahr mit einem Lkw zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen machen, einen digitalen Fahrtenschreiber samt Zubehör und Fahrerkarte anschaffen.

Was die Praxis zusätzliche erschwert? Lesen Sie weiter auf Seite 2

Kein vorgeschriebenes Formular

Was die Umsetzung der Vorschriften in der Praxis zusätzlich erschwert: Die Kontrolleure verlangen bei Fahrten über den 50 Kilometer-Radius hinaus (ab März 2015 100 Kilometer) eine Bescheinigung der vergangenen 28 Tage, soweit sie nicht auf der Fahrerkarte gespeichert sind. Der Unternehmer muss darauf die Tage dokumentieren, an denen der Fahrer anderen Tätigkeiten, etwa der Lenkung eines nicht nachweispflichtigen Fahrzeuges oder der Arbeit in der Werkstatt, nachgegangen ist.

Möglich ist das entweder durch die vorhandenen gespeicherten Daten auf der Fahrerkarte oder (wenn nicht durchgängig ein nachweispflichtiges Fahrzeug gelenkt wurde) durch die Bescheinigung für berücksichtigungsfreie Tage.

Der Nachweis dieser Tage muss maschinenschriftlich erbracht und vom Fahrer und Unternehmer vor der Fahrt unterschrieben werden. Innerhalb Deutschlands gibt es dazu kein offiziell vorgeschriebenes Formular. Die berücksichtigungsfreien Tage kann man in Deutschland alternativ vor der Fahrt in den Tachografen eingeben.

„Das ist für Handwerker umständlicher als für die Berufsfahrer, für die diese Regelung gedacht ist“, kritisiert Dr. Carsten Benke, Referatsleiter für Verkehr und Infrastruktur beim ZDH.

Die neu geschaffene Möglichkeit, die nicht auf der Fahrerkarte nachgewiesenen Tage „per Hand“ in den Tachografen einzugeben, bringt bei den aktuellen Geräten kaum Erleichterung. Zwar ist die Einhaltung der konkreten Lenk- und Ruhezeiten – um die es eigentlich geht – im Handwerk in aller Regel kein Problem, da Fahrten zum Beispiel zur Baustelle oder zum Kunden nur einen relativ kleinen Teil der Arbeitszeit ausmachen.

Nützt aber nichts: Die betroffenen Handwerker sind trotzdem dazu gezwungen, die Dauer der Fahrten und Ruhephasen aufzuzeichnen, was mit erheblichem Aufwand bzw. mit Kosten für Aufzeichnungsgeräte verbunden sein kann.

Außerdem lassen sich nicht alle Fahrten im Betriebsalltag vorher planen. Doch genau das verlangt der Gesetzgeber. Denn der Handwerker muss die entsprechenden Formulare beim Beginn einer aufzeichnungspflichtige Fahrt dabeihaben: „Die Bescheinigungen kann man auch nicht nachreichen, das ist ein verwaltungstechnischer Aufwand, der ist unbeschreiblich“, ärgert sich Unternehmer Kampmann.

Der Tischlermeister hat sich intensiv mit der Thematik auseinandergesetzt und warnt vor einer weiteren Sonder-Regelung: „Viele meiner Kollegen wissen auch nicht, dass sie sich sogar in einen Pkw einen digitalen Fahrtenschreiber einbauen lassen müssen, wenn sie einen Anhänger am Auto haben und damit über 3,5 Tonnen kommen.“

Dann sind da noch die Kosten. Wie die ausfallen, das lesen Sie auf der nächsten Seite.

Das geht ins Geld

Kampmann hat für die drei Mitarbeiter seiner Tischlerei die Führerscheine umschreiben lassen und für jeden eine Fahrerkarte angeschafft (80 Euro pro Person). Die müssen alle fünf Jahre erneuert werden (Kosten derzeit in Essen: 41 Euro). Die Unternehmerkarte steht ebenfalls alle fünf Jahre zur Verlängerung an (ca. 30 Euro). Nicht zu vergessen die Anschaffung des digitalen Fahrtenschreibers, des Kartenlesegeräts, der Software – dafür müsse der Unternehmer noch einmal zwischen 2.000 und 3.000 Euro auf den Tisch legen, berichtet der Diplom-Ingenieur.

Doch richtig teuer wird es erst, wenn man absichtlich oder aus Unwissenheit gegen die Regelung verstößt – was gar nicht so selten ist, wie man im ZDH weiß: Bei Kontrollen stelle sich regelmäßig heraus, dass Handwerksbetriebe „unwissentlich die strengen Regelungen über die Nachweise der Lenk- und Ruhezeiten verletzen“. „Dann drohen auch Handwerkern Bußgelder von 600 bis 1.000 Euro, im schlimmsten Fall sogar noch mehr“, warnt Benke. „Bußgelder, die eigentlich auf übermüdete Fahrer im europäischen Ferngüter- und Personenverkehr gemünzt waren!“

Eine Übersicht, wo die Tachografenpflicht greift, finden Sie auf der letzten Seite.

Mit welchem Fahrzeug bin ich betroffen?

Für Handwerker mit Fahrzeugen, die „zur Beförderung von Material, Ausrüstungen oder Maschinen, die der Fahrer zur Ausübung seines Berufes benötigt, verwendet werden, soweit das Lenken des Fahrzeugs nicht die Haupttätigkeit des Fahrers darstellt“, gelten je nach Gewichtsklasse unterschiedliche Ausnahmen.

  • Über 7,5 Tonnen: Fahrzeuge dieser Gewichtsklasse müssen in jedem Fall die Lenk- und Ruhezeiten aufzeichnen. Ältere Fahrzeuge, die vor Mai 2006 zugelassen wurden, dürfen noch mit einem analogen Fahrtenschreiber nachgerüstet werden. Bei neueren Fahrzeugen muss es ein digitaler Tachograf sein.
  • 3,5 – 7,5 Tonnen: Die Pflicht zur Einhaltung und zum Nachweis der Lenk- und Ruhezeiten entfällt bei diesen Fahrzeugen bei Fahrten im Umkreis von 50 Kilometern (ab 2. März 2015: 100 km) um den Standort des Betriebs. Für den Fahrer darf das Lenken des Fahrzeugs nicht die Hauptbeschäftigung sein, und er darf nur Material, Ausrüstung oder Maschinen transportieren, die er für die Ausübung seines Berufs benötigt. Diese Ausnahme gilt auch bei entsprechend ausgestatteten Verkaufswagen. Überschreitet der Fahrer den Radius von 50 km, muss er von Beginn der Fahrt an einen digitalen Fahrtenschreiber nutzen – auch bei einmaligen Fahrten.
  • 2,8 bis 3,5 Tonnen: In dieser Gewichtsklasse sind Fahrzeuge von der Nachweispflicht freigestellt, die nur Güter transportieren, die der Fahrer zur Ausübung seines Berufs verwendet, die im Betrieb handwerklich oder in Kleinserie hergestellt oder repariert wurden, soweit das Fahrzeuglenken nicht die Hauptbeschäftigung des Fahrers darstellt. Die Begrenzung der Ausnahme auf einen Radius von 50 Kilometern wurde – in dieser nationalen Regelung – für Fahrzeuge bis 3,5 t schon 2008 aufgehoben: Unter 3,5 t gilt keine Kilometerbegrenzung bei Fahrten mehr.
(Quelle dieser Übersicht: ZDH)

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