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Betriebliches Gesundheitsmanagement

„Mitarbeiter sind das höchste Gut“

Gefühlt hatte ihr Betrieb den höchsten Krankenstand. Grund genug für Matthias, Marcus und Clemens Spelly, das Thema Gesundheit zur Chefsache zu erklären. Mit Erfolg – aber mit einem anderen als erwartet.

Ziehen an einem Strang:
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Matthias Spelly sitzt an seinem Schreibtisch. Er wirkt ruhig. Entspannt geradezu. Dabei ist erst am Morgen eines der beiden Ladenlokale, die zu seinem Elektrobetrieb gehören, in Flammen aufgegangen. Ein Thermenbrand, wie sich später herausstellt. Der Schaden beläuft sich wohl auf einen sechsstelligen Betrag.

„Eigentlich bin ich sehr aufbrausend“, gesteht Spelly im Gespräch. Dass er trotz der Aufregung im Betrieb, den der 55-Jährige mit seinen beiden Brüdern führt, entspannt bleibt – „das war ein langer Weg“, sagt er. Denn seine zuweilen sehr deutliche Art war vielen Mitarbeitern ein Dorn im Auge.

Dass die mitverantwortlich für einen tatsächlich leicht über dem Durchschnitt liegenden Krankenstand war, haben die Spellys mit Hilfe der Innungskrankenkasse herausgefunden. „Wir waren immer ein sportliches und recht junges Team. Als wir anfingen zu denken, dass wir wohl der Betrieb mit dem höchsten Krankenstand sind, wollte ich es genau wissen“, sagt Spelly. Daher hat er bei seiner Krankenkasse angerufen. Gemeinsam mit der IKK initiierte er ein betriebliches Gesundheitsmanagement – kurz: BGM.

Betriebliches Gesundheitsmanagement? Klingt kompliziert! Was das in der Praxis heißt, lesen Sie auf der nächsten Seite.

Alles "typisch Handwerk"

Das war vor rund zehn Jahren. Gestartet ist das BGM mit einer Analysephase. „Unsere Mitarbeiter konnten alle einen Fragebogen anonym ausfüllen“, schildert Spelly. Zur Auswertung landete der Bogen nicht auf seinem Schreibtisch, sondern direkt bei der Versicherung. Und was förderte die Befragung ans Licht? Die Krankheitsbilder waren alle „klassisch Handwerk“: Skelett, Rücken, Knie-Probleme. Hinzu kamen Erkältungskrankheiten, auf die keiner wirklich Einfluss nehmen kann. Was die Befragung aber auch zeigte: „Wir hatten große Probleme in der Betriebs­organisation“, räumt der Unternehmer ein. „Werkzeuge wurden nicht gefunden. Hebezeuge fehlten“. Und dann war da noch die Sache mit dem ­Führungsstil. „Zwei von uns dreien sind ein bisschen wie das HB-Männchen früher aus der Werbung“, sagt Spelly.

Nachhaltige Neuausrichtung
„Heute ist das besser geworden“, berichtet der Unternehmer. Geht zum Beispiel einem Mitarbeiter etwas schief und ein Kunde beschwert sich, notiert sich der Unternehmer das und thematisiert das erst am nächsten Tag. „Wenn sich Fehler häufen, sprechen wir das − ohne Namen zu nennen − in den Mitarbeiterrunden an, die wir ebenfalls nach der ersten Analyse eingeführt haben.“ Gelernt haben die Brüder diese und andere Mittel in verschiedenen Seminaren.

Von Anfang an ging es den Spellys um eine nachhaltige Neuausrichtung des Betriebs. „Daher haben wir parallel zum BGM auch angefangen, uns zertifizieren zu lassen. Wir wollten halt nicht, dass nach einem halben Jahr alles wieder im alten Schema läuft.“ So wurde die Einführung des Gesundheits­managements auch zum Auslöser eines umfassenden Diskussionsprozesses. Vier Jahre lang haben die Brüder gemeinsam mit den Mitarbeitern den gesamten Betrieb auf den Kopf gestellt. Heute gibt es eine Firmenphilosophie. Hier ist zum Beispiel festgelegt, was der Betrieb und damit die gesamte Mannschaft unter Pünktlichkeit und Sauberkeit versteht. Einmal im Monat gibt es eine Teambesprechung. Außerdem wurden feste Regeln zum Verbleib von Schlüsseln und Werkzeugen festgeschrieben. Einmal im Monat wird gemeinsam im Betrieb gefrühstückt und damit Raum für Kommunikation geschaffen. In Zielgesprächen legen Mitarbeiter und Chefs fest, was die Pläne für die nächsten zwölf Monate sind. Außerdem erhalten die Mitarbeiter Erfolgsbeteiligungen, gestaffelt nach einem festen Regularium. Und wer im Hause Spelly ein Jahr lang nicht krank war, bekommt ein Extra in Form eines Weihnachtsgeschenks. Es gibt einen Praktikanten-Knigge und Elternsprechtage für die Auszubildenden. Sogar Lebensarbeitszeitkonten hat der Handwerksbetrieb eingeführt.

Und warum das alles? „Ganz einfach: Unsere Mitarbeiter sind unser höchstes Gut“, stellt ­Matthias Spelly klar. Entsprechend froh ist er, dass sich all diese Maßnahmen auszahlen. Zwar aktuell nicht immer beim Krankenstand – der liegt durch mehrere Krankheitsfälle, die sich auch durch das konsequenteste BGM nicht beeinflussen lassen, wieder über dem Durchschnitt – dafür seit Jahren aber in einem gut aufgestellten Betrieb mit hochmotivierten Mitarbeitern. „Heute zeigt sich zum Beispiel ein ganz anderes Bild, wenn wir mit den Mitarbeitern über Sonderschichten am Sonnabend reden. Da melden sich Kollegen freiwillig und nehmen Rücksicht, wenn einer zum Beispiel gerade baut“, freut sich Spelly. Was ihn ebenfalls freut: Erst vor Kurzem hat der Betrieb wieder mit der IKK die Mitarbeiter befragt, wo der Schuh denn drückt. „Dabei hat sich klar gezeigt, dass die Punkte von vor zehn Jahren kein Thema mehr sind.“

Wie Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) in der Praxis funktioniert? Das lesen Sie auf der letzten Seite.

Betriebliches Gesundheitsmanagement? Ganz praktisch!

Das hat einen großen Namen, ist aber ein Angebot, dass schon bei Kleinstbetrieben mit weniger als fünf Mitarbeitern funktioniert, erläutert Manuela Nagel von der IKK classic in Helmstedt. Sie betreut die Gebrüder Spelly und deren 40 Mitarbeiter.

„Die Analyse kann eigentlich fast jeder Unternehmer selbst starten“, sagt die Gesundheitsmanagerin. Allerdings sagt sie auch, dass ein Blick von außen auf den Betrieb durch einen unabhängigen Fachmann oft effektiver ist.

Was die Expertin festgestellt hat: Die Nachfrage nach der für die Unternehmen kostenlosen Beratung wächst. Zum einen wegen des immer greifbareren Fachkräftemangels. Zum anderen aber auch, weil vor allem viele jüngere Chefs das Thema stärker im Fokus haben.

Immer wieder zeige sich in den Gesprächen und Workshops in den Betrieben, dass schon kleine Maßnahmen einen nachhaltigen Impuls auf die Mitarbeitergesundheit haben. „Neulich war ich zum Beispiel in einem SHK-Betrieb, in dem die schweren Waschbecken ganz oben im Regal gelagert waren. Wurden die gebraucht, mussten die Mitarbeiter auf die Leiter, um die Becken überhaupt erreichen zu können“, schildert Nagel. Gemeinsam mit den Mitarbeitern hat die Gesundheitsmanagerin eine neue Lagerstruktur entwickelt und umgesetzt.

In einem anderen Betrieb war der Stresspegel der Mitarbeiter im Büro ungewöhnlich hoch. „In der Analyse hat sich gezeigt, dass die Mitarbeiter dem Kunden den Rücken zuwenden mussten, wenn sie den Kundenauftrag in die Software auf dem Rechner eingetragen haben. Viele hatten ein Problem damit, den Kunden im Rücken zu haben und unter dessen Augen, die Arbeit verrichten zu müssen. Auch hier hat das einfache Umräumen des Büros effektiv geholfen“, berichtet Nagel.

Der Ablauf der Projekte sei immer der gleiche: Nach einem Erstgespräch zwischen dem Inhaber und den Gesundheitsexperten, beginne die Analysephase. „Unsere Fragebogen umfassen nur fünf Fragen“, sagt Nagel. Sind die ausgefüllt und direkt zurück bei der IKK classic, starte die Phase der Auswertung. Dann wird der Unternehmer über die Ergebnisse informiert und gemeinsam ein Maßnahmenplan für den Betrieb entwickelt. Daran schließen sich dann Workshops, Seminare und Trainings an.

Keine Rolle spiele es, ob der überwiegende Teil der Mitarbeiter bei der IKK versichert ist, stellt Nagel klar. Fest steht allerdings auch, dass die mit dem Projekt verbundenden Bonus-Zahlungen an Betrieb und Mitarbeiter nur für Versicherte der Innungskrankenkasse gewährt werden. „Wir wollen aber ganz bewusst niemanden ausschließen, weil wir den Betrieb als Ganzes sehen.“

Und was sind die typischsten aller Fälle?
Probleme in der Lagerhaltung, die bei den Mitarbeitern zu hohen Belastungen im Rücken führen, wenn schwere Dinge zum Beispiel zu weit unten und nicht in Beckenhöhe gelagert werden.

Häufige Stressfaktoren finden sich oft im Bereich der Telefonie und dem direkten Umgang mit dem Kunden.

Ebenfalls ein typischer Faktor, der bei Mitarbeiter zu Stress führt, sei der mangelnde Kommunikationsfluss zwischen Chef und Mitarbeitern. Hier reiche oft schon ein kurzes Teammeeting von fünf Minuten am Morgen, um eine nachhaltige Änderung herbeizuführen, weiß die Expertin.

(ha)

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