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Recht

Neue Risiken für Arbeitgeber

Jede Diskriminierung kann jetzt zu Sanktionen führen. So können Sie sich rüsten.

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31.08.2006

Recht

Neue Risiken für Arbeitgeber

Jede Diskriminierung kann jetzt zu Sanktionen führen. So können Sie sich rüsten.

Jede Diskriminierung kann jetzt zu Sanktionen führen. So können Sie sich rüsten.

von Jörg Wiebking

Seit dem 18. August gilt das neue Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Es verbietet, Arbeitnehmer auf Grund von Rasse, Religion, Weltanschauung, ethnischer Herkunft, Alter, Behinderung, Geschlecht oder sexueller Orientierung zu benachteiligen. Das Unternehmen trägt zudem die Verantwortung dafür, dass Mitarbeiter von Kunden, Lieferanten, Kollegen oder Vorgesetzen nicht diskriminiert werden.

Und was bedeutet das in der Praxis? Das wird uns mehr Arbeit machen, befürchtet Claudia Pensl. Sie ist Personalleiterin der Unternehmensgruppe RDG Gebäudeservice in Delmenhorst mit bundesweit 4800 Mitarbeitern. Unternehmen wolle sie vorerst jedoch nichts, sagt Pensl. Wenn wir ausschreiben, dann geschieht das sowieso schon neutral. Wichtiger sei für sie, was sie in Zukunft unterlässt: Wir werden Bewerbern dann nicht mehr erklären, warum wir uns für einen anderen Kandidaten entschieden haben und einfach nur noch sagen, dass die Stelle schon besetzt sei.

Ob es allerdings in allen Unternehmen so leicht falle, die Pflichten des AGG zu erfüllen, bezweifelt Dirk Palige, Leiter der Rechtsabteilung beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH): Durch das AGG entstehen mehrere Pflichten, die Arbeitgeber erfüllen müssen, um sich vor Haftung zu schützen. Dazu gehören:

Neutrale Stellenausschreibungen: Palige rät zu geschlechtsneutraler Ausschreibung. Fotos und Angaben zu Alter, Geschlecht oder Geburtsort sollten nicht ausdrücklich angefordert werden. Hinweise auf bevorzugte Altersgruppen sollten unterbleiben. Nur wenn sachliche Gründe dafür vorlägen, seien Ausnahmen erlaubt zum Beispiel könne ein Rollstuhlfahrer schlecht als Gerüstbauer eingesetzt werden. Um sich abzusichern, sollten Arbeitgeber die Bewerberauswahl inklusive Stellenprofil dokumentieren und bis zu zwei Monate nach der letzten Absage aufbewahren. Absagen sollten ebenfalls neutral abgefasst werden, eine ausführliche Begründung ist nicht notwendig.

Beschwerden: Der Betrieb sollte sofort eine Beschwerdestelle einrichten. Die Aufgabe können auch Inhaber oder Betriebsrat übernehmen. Die Prüfung der Beschwerde und Maßnahmen zur Abhilfe sollten dokumentiert werden.

Schutz von Mitarbeitern: Arbeitgeber müssen ihre Mitarbeiter schützen. Sie selbst oder die Beschwerdestelle müssen Beschwerden nachgehen und Abhilfe schaffen. Das kann im konkreten Fall auch bedeuten, einem Kunden die Tür zu weisen oder einen Mitarbeiter, der andere diskriminiert, zu entlassen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen nicht geholfen haben, sagt Palige

Um sich abzusichern, sollten Arbeitgeber einige Sofortmaßnahmen ergreifen, rät Palige:

Information: Das AGG und Informationen über die Beschwerdestelle und die Klagefristen nach Arbeitsgerichtsgesetz müssen den Mitarbeitern zugänglich gemacht werden, zum Beispiel per Aushang. Zudem sollten Mitarbeiter über das AGG und die Unzulässigkeit von Diskriminierung in Gesprächen, Schulungen oder einer Betriebsversammlung informiert werden.

Neueinstellungen und bestehende Verträge: Verfahren zur Stellenbesetzung sollten ebenso überprüft werden wie bestehende Arbeitsverträge und Betriebsvereinbarungen. Dabei sollten Arbeitgeber auch bestehende Benachteiligungen überprüfen, zum Beispiel altersbedingte Gehaltsunterschiede.

Weitere Infos liefert ein Flyer des ZDH, der bei den Handwerkskammern angefordert werden oder unter www.zdh.de heruntergeladen werden kann.

Das kann teuer werden

Stellenausschreibungen müssen ab sofort sensibel formuliert werden. Sonst können abgelehnte Kandidaten Schadenersatz fordern.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ist kein stumpfes Schwert: Paragraf 15 des neuen Gesetzes, das die Diskriminierung von Arbeitgebern verbietet, regelt den Schadenersatz. Unter drei Monatsgehältern gehe da nichts, erläutert Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Stuttgart: Kann jemand Indizien nachweisen, dass er diskriminiert wird, dann kehrt sich die Beweislast zu Lasten des Unternehmens um. Das gilt für jeden Arbeitgeber, auch schon für kleine Unternehmen mit einem Mitarbeiter. Und das kann teuer werden.

Dabei gebe es zwei Formen des Schadenersatzes: So sehe Paragraf 15, Abs. 1 AGG einen materiellen Schadenersatz vor: Wenn sich ein 50-Jähriger mit besten Zeugnissen bewirbt und der Unternehmer lehnt mit der Begründung ab, er sei zwar bestens qualifiziert, aber leider zu alt, dann geht der Schadenersatz auf den entgangenen Gewinn. Allerdings nenne das Gesetz keine Grenzen für deren Höhe. Nach meiner Auffassung kann der Schadenersatz nicht mehr als sechs Monatsgehälter ausmachen, weil der Mitarbeiter in diesem Zeitraum ja auch hätte problemlos gekündigt werden können. Aber das wird letztlich die Rechtsprechung entscheiden, sagt Bauer.

Darüber hinaus sehe Paragraf 15, Abs. 2 AGG einen Entschädigungsanspruch für immaterielle Schäden vor. Der Anspruch entstehe alleine schon dadurch, dass jemand in seiner Würde verletzt wurde. Wer zum Beispiel abgelehnt wird, weil die Zeugnisse zu schlecht sind und weil er zu alt ist, der hätte die Stelle schon auf Grund der Zeugnisse nicht bekommen. Doch durch das zu alt werde eine Diskriminierung daraus. Da sieht das Gesetz eine Entschädigungsgrenze von drei Monatsgehältern vor.

Bauer hegt allerdings Zweifel an der Wirksamkeit des AGG. Eigentlich wollte der Gesetzgeber etwas gegen Diskriminierung unternehmen. Doch im Ergebnis wird es darauf hinauslaufen, dass Arbeitgeber Bewerber künftig einfach ohne Angabe von Gründen ablehnen, um kein Risiko einzugehen.

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