Neues bei der Sozialauswahl, einheitliche Klagefrist und Erleichterungen für Kleinbetriebe: Seit 1. Januar gibt es neue Regeln zum Kündigungsschutz. Manchmal machen sie den Betrieben das Leben sogar etwas leichter.
Geltungsbereich (Anwendungsschwelle)
Seit dem 1. Januar 2004 gibt es mehr Betriebe, für die der Kündigungsschutz nicht gilt: Der
Schwellenwert zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes wurde von mehr als fünf auf mehr als zehn Arbeitnehmer erhöht (§ 23 KSchG). Es ist jedoch zwischen Altarbeitnehmern und neu eingestellten Arbeitnehmern zu unterscheiden.
Arbeitnehmer, die am 31. Dezember 2003 aufgrund der Betriebsgröße (mehr als fünf Arbeitnehmer) Kündigungsschutz innehatten, behalten diesen weiterhin.
Arbeitnehmer, die am 31. Dezember 2003 aufgrund der Betriebsgröße (fünf oder weniger Arbeitnehmer) keinen Kündigungsschutz innehatten, erhalten diesen dann, wenn die Betriebsgröße zehn Arbeitnehmer übersteigt.
Arbeitnehmer, die ihr Arbeitsverhältnis ab dem 1. Januar 2004 beginnen, erhalten Kündigungsschutz erst dann, wenn die Betriebsgröße zehn Arbeitnehmer übersteigt.
Teilzeitbeschäftigte sind wie bisher bei der Berechnung des Schwellenwertes nur anteilig zu berücksichtigen (vgl. im einzelnen § 23 Abs. 1 S.4 KSchG).
Beispiel: Ein Arbeitgeber beschäftigte im Jahr 2003 regelmäßig 6 Arbeitnehmer. Dies hatte die Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes nach altem Recht zur Folge. Im März 2004 werden zwei neue Arbeitnehmer eingestellt. Die sechs alten Arbeitnehmer verfügen über Kündigungsschutz, die zwei Neueinstellungen hingegen nicht. Würden nun z. B. im Juni 2004 drei weitere Arbeitnehmer eingestellt werden, würde dies für alle elf beschäftigten Arbeitnehmer zur Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes führen, da nunmehr die neue Anwendungsschwelle (mehr als zehn) überschritten wäre.
Sozialauswahl
Seit dem 01.01.2004 richtet sich die Sozialauswahl bei betriebsbedingten Kündigungen nach den folgenden vier sozialen Grunddaten des Arbeitnehmers:
die Dauer der Betriebszugehörigkeit,
das Lebensalter,
die Unterhaltspflichten,
die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers.
Ferner besteht nunmehr eine leichtere Möglichkeit, bestimmte Personen aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Nach der Neuregelung des § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG ist dies möglich, wenn die Weiterbeschäftigung dieser Arbeitnehmer wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen oder zur Erhaltung einer ausgewogenen Personalstruktur im berechtigten betrieblichen Interesse liegt. Diese Regelung schwächt die bisherigen Herausnahmeanforderungen aus der Sozialauswahl ab. Doch es bleibt abzuwarten, wie hoch die Anforderungen der Arbeitsgerichte an die Arbeitgeber bei der Darlegung der betrieblichen Interessen sein werden.
Tipp:
Stellen Sie vor einer betriebsbedingten Kündigung eine Reihenfolge der zu entlassenden Mitarbeiter nach den vier Kriterien der Sozialauswahl im Rahmen einer sog. Punkteliste auf. Prüfen Sie in jedem Fall vor der Herausnahme von Leistungsträgern aus der Sozialauswahl, ob Sie betriebliche Interessen gerichtsfest darlegen können. Führen Sie eine individuelle Abschlussprüfung durch.
Interessenausgleich und Namensliste
Bei einer Betriebsänderung können Arbeitgeber und Betriebsrat im Interessenausgleich eine Namensliste jener Mitarbeitern erstellen, denen betriebsbedingt gekündigt werden soll (§ 1 Abs. 5 KSchG). Diese neue Regelung ist zu befürworten, da sie dem Arbeitgeber größere Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für die darauf beruhenden Kündigungen bietet.
In diesen Fällen wird vermutet, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist. Eine gerichtliche Überprüfung der Sozialauswahl beschränkt sich nur noch auf grobe Fehler.
Tipp:
Es ist jedem Arbeitgeber anzuraten, mit dem Betriebsrat eine Namensliste im Sinne von § 1 Abs. 5 KSchG als Teil des Interessenausgleiches zu vereinbaren. So lassen sich die Prozessrisiken von Kündigungsschutzklageverfahren erheblich verringern und die Akzeptanz der Belegschaft für die Sozialauswahl erhöhen.
Allgemeine Klagefrist
Die Klagefrist des § 4 KSchG wurde vereinheitlicht. Gegen eine schriftlich ausgesprochene Kündigung, gleich ob Beendigungs- oder Änderungskündigung müssen Arbeitnehmer seit 1. Januar 2004 innerhalb von drei Wochen nach Zugang klagen, um deren soziale Rechtfertigung oder was neu ist- deren Unwirksamkeit aus anderen Gründen überprüfen zu können. Wird also die Klage nicht fristgerecht erhoben, so gilt die Kündigung im Hinblick auf eine eventuelle Sozialwidrigkeit und nunmehr auch im Hinblick auf sonstige Unwirksamkeitsgründe als von Anfang an wirksam. Besonderheiten sind in diesem Zusammenhang bei der Kündigung von Arbeitsverhältnissen, welche der vorherigen Zustimmung einer Behörde bedürfen (Stichwort besonderer Kündigungsschutz: behinderte Menschen, Elternzeit, Mutterschutz), zu beachten (vgl. § 4 S. 4 KSchG).
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Für Abfindungen bietet der Gesetzgeber seit 1. Januar 2004 ein standardisiertes Vorgehen an: einen gesetzlich normierten Abfindungsanspruch für Arbeitnehmer (§ 1 a KSchG). Dieser soll auf individualrechtlicher Ebene eine gesetzlich festgesetzte Abfindung gewährleisten. Es soll Arbeitgeber und Arbeitnehmer ermöglicht werden, auf gesetzlicher Basis ohne Kündigungsschutzprozess, ohne Beteiligung eines Betriebsrates und ohne langwierige Vergleichsverhandlungen eine Abfindung zu vereinbaren. Arbeitnehmern, die sich darauf einlassen, steht als Abfindung ein halbes Monatsgehalt pro Jahr Betriebszugehörigkeit zu.
Wichtig:
Arbeitgeber sind nicht gesetzlich dazu verpflichtet, Abfindungen zu zahlen.
Der Abfindungsanspruch hängt vom Angebot des Arbeitgebers ab. Er hängt nicht davon ab, ob eine betriebsbedingte Kündigung ausgesprochen wird. Mit anderen Worten kann der Arbeitgeber bei einer betriebsbedingten Kündigung dem Arbeitnehmer im Kündigungsschreiben den Hinweis geben, dass die Kündigung auf dringende betriebliche Gründe gestützt wird und der Arbeitnehmer bei Verstreichen lassen der Klagefrist die gesetzliche Abfindung nach § 1 a Abs. 2 KSchG beanspruchen kann.
Tipp:
Nach unserer Einschätzung sollten Arbeitgeber nur in Ausnahmefällen von dieser Regelung Gebrauch machen. Wer sich dennoch dazu entschließt, muss damit rechnen, dass der Arbeitnehmer eine als Ausgleich für den Verzicht auf eine Kündigungsschutzklage angebotene Abfindung ablehnt. In einem möglichen Kündigungsschutzprozess hätte das für den Arbeitgeber unangenehme Folgen: Arbeitnehmervertreter und auch das Gericht würden voraussichtlich darauf hinweisen, dass die Abfindung in Höhe eines halben Monatsgehaltes ja bereits bei Ausspruch der Kündigung angeboten wurde und deshalb die Kündigungsschutzklage wohl nur dann Sinn machen könne, wenn auf diese Abfindung noch ein Betrag draufgelegt wird.
Sollte ein Arbeitnehmer in dem Gespräch, in dem die Kündigungsgründe dargelegt werden und in dem die Kündigung übergeben wird, jedoch signalisieren, dass er mit der gesetzlichen Abfindungshöhe einverstanden wäre, könnte in Einzelfällen von der gesetzlichen Möglichkeit des Angebotes des Arbeitgebers im Kündigungsschreiben auf Zahlung einer Abfindung Gebrauch gemacht werden.
Autoren: Rechtsanwalt und Notar Dr. Thomas Puffe-Rausch, Rechtsanwalt Carsten Brachmann
Die Autoren sind Rechtsanwälte der Kanzlei Beiten Burkhardt Rechtsanwaltsgesellschaft in Berlin.