Mario Marquardt ist einer der letzten Sattler. Doch die Nachfrage nach exklusiver Lederkunst stirbt nicht aus. Zu den Kunden seiner Firma Vanino amp; Henkel zählen sogar Königshäuser.
Von Peter Haas
Der Besuch bei Mario Marquardt hätte noch Stunden dauern dürfen. In jeder Ecke des 120 Quadratmeter großen Betriebsgebäudes findet sich eine andere Geschich-te. Die vom thailändischen König zum Beispiel. Der hatte bei Airbus für sein neues
Flugzeug Schreibtischleder mit dem geprägten Emblem der königlichen Luftwaffe bestellt. Der Weltkonzern Airbus rief in der kleinen Werkstatt in Hamburg-Hamm an. Denn Vanino amp; Henkel, gegründet 1931, ist in Fach-kreisen berühmt für seine edlen Anfertigungen. Lederschnitt und Punztechnik gehören hier noch zur täglichen Arbeit.
Mein Betrieb ist das reinste Muse-um, sagt Mario Marquardt stolz. Viele seiner Maschinen sind Jahr-zehnte alt, einige Werkzeuge stam-men aus der Zeit um 1840: Mit ihnen punzt und prägt und presst er, was auch immer die Kunden auf dem Leder sehen möchten. Antikes, Repliken und Neuanfertigungen. Vom Goldrand bis zum Staatswappen. So steht auf dem Regal ganz hinten eine lederne Rückenlehne, wie sie auch die Senatorenstühle im Hamburger Rathaus ziert. Natürlich mit goldenem Wappen der Stadt.
Matrizen für über 140 verschiedene Wappen hat Marquardt auf Lager. Alle werden aufwändig in mehreren Schritten hergestellt: erst aus Leder geformt, dann in Metall gegossen. Gepresst werden die Motive auf der guten alten Krause, einer von Hand zu bedienenden, zwei Meter hohen Prägemaschine. Mit Hebelwirkung bringt Marquardt hier gute zehn Tonnen auf die Prägeform.
Das Punzen erfordert mehr Feingefühl. Hierbei prägt Marquardt kleinste Formen mit einer Art Metallstempel ins Leder. Dazu schlägt er mit einem Holzhammer auf fingerlange Stifte, jeder mit einer anderen Motivform: Sterne, Blüten, Kügelchen oder auch nur ein Stückchen Schraffur drückt sich so dauerhaft ins Leder. In mühevoller Kleinstarbeit entstehen ganze Bilder.
Auf dem Tisch gleich gegenüber liegt ein Waffenkoffer. Aufgearbeitet mit bestem, naturgegerbtem Vollrindleder. Alles per Hand genäht. Der nächste Konkurrent sitzt in Österreich, sagt Marquardt. Der 59-Jährige ist vermutlich der einzige Sattler in Deutschland, der für solche Aufträge eine eigene Waffeneinstellerlaubnis hat und einen Tresor. Denn wer das Innenleben eines Waffenkoffers erneuern soll, muss beim Gewehr Maß nehmen.
Ein Seebär wird Sattler
Vor 18 Jahren kam Marquardt als Lehrling in die Firma. Damals war er 39. Ein Vierteljahrhundert lang war er vorher zur See gefahren, brachte es bis zum Ersten Steward bei der Reederei Hapag. Dann schulte er um. Die Arbeit mit Leder war schon lange sein Hobby. Gürtel waren seine Spezialität. Von Vanino amp; Henkel hatte er aus der Zeitung erfahren. Den damaligen Chef Kurt Henkel fragte er, ob er zur Probe arbeiten dürfe. Daraus wurde eine Lehre. Fast zwei Jahrzehnte hat er als Geselle neben dem Senior gearbeitet und der Firma viele exklusive Aufträge verschafft. Ich wollte weg von der Massenware, Vertretermappen und solchen Dingen, hin zur Einzelanfertigung, erinnert er sich. Autokoffer für Oldtimer und Cabriolets zum Beispiel oder den Eierbecher aus Leder für alle, die schon alles haben, schmunzelt Marquardt, der noch immer einen Vollbart wie ein Seemann trägt.
Das dicke Album mit besonders schönen Arbeiten verrät, was diese Werkstatt alles kann: detailverliebte Motorradsättel für Harley-Davidson-Fans, Western- und Armeesättel, Einlagen für englische Schreibtische mit Blattgold-Umrandung. So
wertvoll wie das Material sind auch die Kontakte zu den Lederhändlern. Denn wenn ein Kunde große Flächen mit Leder bespannen möchte, dann muss schnell mal eine Zwei-Meter-Kuh im Lager gefunden werden, sagt Marquardt und lacht.
Mittlerweile ist er sein eigener Chef. Anfang 2005 hat der Handwerker die Firma übernommen. Mit der Fort-führung des Traditionshandwerks will er auch Kurt Henkels Lebens-werk ehren. Dieses Wissen darf nicht verlorengehen. Das ist ein so wunderbares Handwerk, schwärmt er. Seit Jahren gibt er sein Wissen an der Gewerbeschule in Kellinghusen an junge Sattler weiter. Und auch Vanino amp; Henkel soll eine Zukunft haben. In einigen Jahren will er einen Nachfolger einarbeiten. Über leere Auftragsbücher wird der sich nicht beklagen.
www.vanino-und-henkel.de
Fotos: Peter Haas