Sein Fall hat neugierig gemacht: Der Tischlermeister Richard U. streitet sich mit einem „finanzstarken Arztehepaar“ vor Gericht, es geht um 60.000 Euro (wir berichteten). Damit ihm die Prozesskosten nicht über den Kopf wachsen, bedient sich U. der Dienste eines Prozesskostenfinanziers. Damit ist der Mann eine Art Pionier. Aber warum ist das eigentlich so?
Die Antwort kennt der Vorsitzende des Berufsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Markus Hartung.
Herr Hartung, dass Kunden von Handwerkern nicht zahlen, ist ständig zu hören. Warum hört man fast nie von Betrieben, die sich Prozesse finanzieren lassen?
Hartung: Weil es auch nie richtig im Bewusstsein der Inhaber kleinerer Betriebe angekommen ist, dass Prozessfinanzierer gleichwertig neben Rechtsschutzversicherungen stehen könnten. Aber erstaunlich ist das wirklich, die Prozessfinanzierung gibt's ja nicht erst seit gestern, einige Anbieter sind seit mehr als 20 Jahren aktiv.
Vielleicht sind die Anbieter auch nur erstaunlich teuer?
Hartung: Na ja, ich gehe zu jemandem, der mir das Kostenrisiko abnimmt und das Ganze sehr eingehend prüft. Und ich bezahle ihn dafür, dass er das Risiko übernimmt mit einem Anteil dessen, was ich erstreite. Rechtsschutzversicherungen sind ja auch nicht ganz billig. Außerdem: Für Rechtsschutzversicherungen zahlt man regelmäßig, ob man sie braucht oder nicht, für Prozessfinanzierer aber nur, wenn man sie braucht.
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Nur ja nicht einknicken
Greifen Rechtsschutzversicherungen überhaupt in solchen Fällen?
Hartung: Es gibt Rechtsschutzversicherungen für Gewerbetreibende, die bestimmte Ausschlüsse haben, richtig. Aber die machen eigentlich das Gleiche wie ein Prozessfinanzierer: Sie nehmen das Risiko ab und lassen sich das bezahlen – eben nur mit einem bestimmten Geldbetrag monatlich, eben wie eine Versicherung.
Keine Alternative für einen Unternehmer, dessen Liquidität im Keller ist, weil seine Kunden zahlungsfaul sind.
Hartung: Und der nicht weiß, wie oft er die Versicherung in Anspruch nehmen kann, müsste man hinzufügen.
Also ist die Prozesskostenfinanzierung auch für kleine Betriebe eine realistische Möglichkeit?
Hartung: Ja. Bleiben wir bei Ihrem 60.000 Euro-Beispiel. Und lassen Sie uns einmal annehmen, die Mängelrügen des säumigen Auftraggebers sind komplett unbegründet. Dann geht der Handwerksunternehmer zu seinem Anwalt. Der guckt sich das an und sagt, da müssen wir klagen, da haben wir ein Beweisrisiko, das Kostenrisiko beläuft sich auf die Summe X…
… und der Prozess endet sehr wahrscheinlich mit einem Vergleich.
Hartung: Genau, das ist durchaus wahrscheinlich. Und obwohl er deshalb von den 60.000 nur, sagen wir, 40.000 bekommen wird, muss der Handwerker ja auch einen Teil der Prozesskosten tragen. Die gehen noch einmal von den 40.000 runter. Aus den 60.000 werden ganz schnell 30.000 und weniger.
Für den Fall der Fälle: So finden Sie den richtigen Finanzierer.
Nur ja das Risiko richtig einschätzen
Wie ist der Ablauf, wie kommt der Betrieb zum Finanzierer?
Hartung: Das übernimmt der Anwalt, der sich ja auch darüber freut, wenn jemand das Risiko eines Falles bewertet. Denn der Prozessfinanzierer guckt sich den Fall wie ein Gutachter an. Und schätzt die Erfolgsaussichten eines Verfahrens ein. Alle diese Prozessfinanzierer sind GmbHs, sie müssen bei der Übernahme eines Risikos eine vernünftige Risikoabschätzung vorlegen. Dann gibt es zwei Möglichkeiten. Erste Einschätzung: Ok, an dem Fall ist was dran. Oder die zweite Einschätzung: Die Beweisrisiken sind derart hoch, dass der Fall auch komplett verloren gehen kann.
Wenn Prozessfinanzierer nur dann zusagen, wenn ein Fall vollkommen sicher ist, könnte der Handwerker das ja auch gleich selbst finanzieren.
Hartung: Gut, mit glasklaren, risikofreien Geschichten gehen Sie nicht zum Prozesskostenfinanzier. Aber wissen Sie, es gibt fast keine Prozesse, deren Ausgang sicher ist, bei Handwerkern schon gar nicht. Und Sie haben das Insolvenzrisiko ihres Gegners. Die Bewertung der Aussichten ist für den juristischen Laien schwierig. Wenn ihr Anwalt sagt, die Chancen stehen gut, kommt die Gegenfrage: „Ja, wie gut denn?“ Dann sagt der Anwalt vielleicht „50:50“ oder „70:30“, aber welchen Wert hat so eine Aussage?
Die Aussage eines Prozessfinanzierers ist mehr wert?
Hartung: Das ist quasi der erste Service, den ein Prozessfinanzierer bietet, er sieht sich den Fall genau an und erstellt dann ein Angebot. Er sagt beispielsweise: „Ich halte das Risiko für beherrschbar, die Aussichten deuten auf einen Prozessgewinn hin, aber es gibt ein Risiko. Ich übernehme das Kostenrisiko, komplett und zunächst für die erste Instanz. Und dafür nehme ich einen Prozentsatz dessen, was Du da erstreitest.“
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Nur ja kein totes Pferd reiten
Aber es geht nur um die Finanzierung, nicht um die anwaltliche Vertretung.
Hartung: Ja, der Anwalt des Unternehmers vertritt ihn weiter, hat aber eine gewisse Sicherheit seiner eigenen Beurteilung, also eine Gegenprüfung seiner rechtlichen Risikoeinschätzung. Die bei den Prozessfinanzierern beschäftigten Anwälte sind ziemlich gut und sehr im Fall drin, für den beauftragten Anwalt also eine gute Ergänzung.
Klingt wie bei einer zweiten Meinung vor einer schwierigen Operation.
Hartung: Wissen Sie, viele Mandanten bewerten die Einschätzung der eigenen Anwälte zurückhaltend. Anders als ein Anwalt ist die Besonderheit beim Prozessfinanzierer, dass der ja nichts verdient, wenn ich verliere. Wenn der also an meiner Seite steht, ist das schon ein Zeichen dafür, dass meine Karten besser sind. Ein totes Pferd wird ein Prozessfinanzierer garantiert nicht reiten.
Nun lassen sich die Anbieter das Kostenrisiko auch gut bezahlen. In der Tabelle, die Ihr Verband erstellt hat, stehen teilweise Werte von 50 Prozent.
Hartung: Was ziemlich happig ist. Aber das muss und kann man häufig auch verhandeln. In der Tabelle stehen Regelsätze, natürlich müssen die GmbHs eine Kalkulation für ihre jährlichen Budgets vorlegen. Je höher der Streitwert, desto geringer wird die prozentuale Beteiligung. Es gibt Anbieter, die unter 100.000 Euro keinen Fall anfassen. Andere übernehmen auch kleinere Streitwerte.
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Nur ja nicht auf den Prozesskosten sitzen bleiben
Da muss ein Betriebsinhaber aber richtig gut verhandeln können, damit sich das auszahlt.
Hartung: Bleiben wir abermals bei Ihrem Beispiel. Angenommen, da ist ein Finanzierer, der 30 Prozent haben will und der Streitwert liegt bei 60.000 Euro. Das heißt, dem Unternehmer bleiben nur 42.000 – aber die kriegt er. Und er muss davon keine weiteren Kosten abziehen.
Wenn Sie ohne Finanzierer agieren, und ebenfalls 42.000 Euro bekommen, also gut 2/3, dann müssen Sie davon noch Kosten abziehen: Wenn Sie einen Prozess nur zu 2/3 gewinnen, haben Sie auch nur einen Kostenerstattungsanspruch von 2/3, das andere Drittel müssen Sie selber zahlen – das wären bei einem Streitwert von 60.000 Euro gut 2.700 Euro.
Und der Kostenhorror wird erst so richtig extrem, wenn der Prozessgegner dann pleite geht.
Hartung: Allerdings, wenn der Prozessgegner in Insolvenz fällt, bekommen Sie gar nichts von dem, was Sie wollten – und Sie sitzen auf den Kosten. Denn der Kostenvorschuss und die Anwaltskosten sind futsch, die kann keiner erstatten. Der Finanzierer übernimmt erst einmal das Prozesskostenrisiko, aber die Bonität der Prozessgegner wird von den Prozessfinanzierern vorab genau bewertet.
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Nur ja nicht die eigene Existenz riskieren
Also kann ein Handwerker tatsächlich den Weg der Prozesskostenfinanzierung gehen.
Hartung: Man muss natürlich sehen, wie hoch die Forderungen sind. 60.000 Euro sind schon ein ziemlicher Brocken, aber die meisten Fälle bewegen sich wahrscheinlich im 10.000 Euro-Bereich. Das ist für den einzelnen Betrieb eine Menge Geld, vor allem, wenn sich die Ausfälle summieren. Ich glaube nicht, dass man dafür eine Finanzierer finden würde.
Und ich habe das nie durchkalkuliert, deshalb ist die folgende Zahl eine reine Schätzung: Ab 50.000 Euro geht's los. Denn der Aufwand der Bewertung eines Falls ist bei 10.000 Euro ja nicht wesentlich geringer als bei 100.000 Euro.
Ich stelle mir gerade vor, wie befremdlich ein Prozess mit Finanzierer für einen säumigen Zahler sein muss. Der wird sich ja wahrscheinlich wundern, warum dieser kleine Handwerker und sein Anwalt sich so gar nicht unterbuttern lassen und …
Hartung: … sich auf keinen Vergleich einlassen. Wäre doch nicht das Schlechteste, oder? Es gibt nach meiner persönlichen Einschätzung viel zu viele Handwerker, die trotz berechtigter Forderungen illiquide werden. Niemand sollte seine wirtschaftliche Existenz nur deshalb riskieren müssen, weil er die Risiken eines Prozesses fürchtet.
(Das Interview führte Heiner Siefken).
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