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Bürokratieposse

Soka-Bau: Die Gerichtsvollzieher, die wir riefen

Eine Zwangsvollstreckung widerrufen, die bereits (und ohne Not) angeleiert wurde? Das ist schwierig, verdammt schwierig. Die Sozialkasse Bau hat die Hauptrolle in einem Bürokratie-Schauerstück übernommen.

Die Vorgeschichte ist schnell erzählt: Kleiner Betrieb, zur Jahrtausendwende gegründet, Sven Diebner heißt der junge Chef, er ist auf die Montage von Fenstern spezialisiert. Die Zahl der Mitarbeiter steigt und fällt mit der Auftragslage, mal sind's 2, in Spitzenzeiten 7. Diebners Frau Rita schmeißt das Büro.

In seinem Umfeld in Hahausen (Niedersachsen) gilt Diebner als „solider Typ“, er beißt sich durch, er überlebt in der Nische. 2011 öffnet Rita Diebner erstmals einen Brief mit dem Absender „Sozialkasse Bau“. Sie wirft ihn in den Papierkorb, weil das bestimmt nur „Reklame oder eine neue Versicherung“ sein kann.

Das zweite Schreiben ist „agressiver“, erinnert sich Rita Diebner, sie informiert sich – und fällt aus allen Wolken. Es ist ein Klassiker: „Wirklich, wir haben nicht einmal geahnt, dass es die Sozialkasse Bau gibt.“

Und sie habe sich schon gar nicht ausmalen können, welchen Spuk sie und ihr Mann noch erleben sollten.

Nächste Seite: Man kann sich doch einigen! Oder doch nicht?

Betrieb identisch, Pflicht verschieden

Heinz Josef Kemmerling ist im Thema. Der Rechtsanwalt hat im zurückliegenden Jahr mehr als 150 Tischler über alles beraten, was mit der Sozialkasse Bau zusammenhängt. Allein 56 Betriebe sind daraufhin in ihre regionalen Innungen eingetreten. Der Grund: Es gibt für Tischler eine Einschränkungsregelung innerhalb der Allgemeinen Verbindlichkeitserklärung zum Flächentarifvertrag, die Innungszugehörigkeit kann von der Sozialkassenpflicht befreien.

Auch Diebner flüchtet mit seinem Montagebetrieb hinter die Mauern der Innung. Konkret bedeutet das für ihn: Nichts in seinem Betrieb hat sich verändert, die Ausrichtung ist identisch, aber seit 2012 ist er nicht mehr sozialkassenpflichtig. Die Jahre 2007 bis 2011 werden allerdings vor dem zuständigen Arbeitsgericht in Wiesbaden verhandelt.

Dass sie die Versäumnisurteile für die strittigen 5 Jahre akzeptieren, hatten Kemmerling und Diebner der Sozialkasse Bau am 5. November 2013 mitgeteilt, das Sozialkassenkonto könne geschlossen werden. Und ganz wichtig: Keiner müsse mit den Ketten rasseln, eine Zwangsvollstreckung sei schlicht nicht notwendig, die Soka-Bau solle die Beiträge mit den Erstattungsbeiträgen saldieren, ihre Forderung also auf den Euro genau festlegen. Das Schreiben liegt der Redaktion vor.

Wenn man das Juristendeutsch etwas flapsig zusammenfasst, heißt es in der Übersetzung: „Liebe Leute, wir werden uns schon einig.“

Nächste Seite: Huuah, Post vom Vollstreckungsgericht.

Akte monatelang nicht bearbeitet?

November, Dezember, die Monate vergehen, das neue Jahr kommt, Januar, Februar, März, die Sozialkasse Bau rührt sich nicht. Doch dann, huibuh, Ende April 2014 meldet sich der Gerichtsvollzieher, am 5. Mai solle vollstreckt werden.

Ein Versehen? Rita Diebner fragt bei der Sozialkasse Bau nach. Was sie dann erfährt, kann sie kaum glauben. Ihre Akte sei in der Zwischenzeit im Prinzip nicht bearbeitet worden, das Sozialkassenkonto wurde nicht geschlossen, die Beiträge wurden nicht saldiert. Rechtsanwalt Kemmerling schickt ein Schreiben nach dem nächsten, er bittet um „baldige Rückmeldung, wie hier verfahren werden kann, ohne die Existenz unseres Mitgliedsbetriebes zu zerstören“. Noch zwei Tage vor dem Vollstreckungstermin sendet er ein Fax mit der Betreffzeile „Eilt sehr!!“.

Der Fall Diebner bleibt gruselig, am 8. Mai hebt der Chef die Finger. Und der Schriftkram, der die Akten füllt, jagt einem kalte Schauer über den Rücken.

9. Mai, das Amtsgericht Goslar schreibt Sven Diebner: „Sie wurden […] durch das zuständige zentrale Vollstreckungsgericht […] in das Vollstreckungsportal der Länder eingetragen. Grund der Eintragung: Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen.“ Und damit geht der Albtraum erst los.

Nächste Seite: Wenn's schiefgeht, geht's richtig schief.

„Ich unterstelle böswilliges Handeln“

15. Mai, Rechtsanwalt Kemmerling ist entsetzt, in der Vorgehensweise der Sozialkasse Bau „kann ich jetzt leider nur noch ‚böswilliges‘ Handeln unterstellen".

Kemmerling bemüht seine Kontakte im Baugewerbe, der Hauptgeschäftsführer eines Landesverbandes interveniert in der Vorstandsetage der Sozialkasse Bau. Und siehe da: Die Soka-Bau reagiert und teilt dem zuständigen Amtsgericht am 4. Juni mit, dass der „Eintragungsgrund weggefallen ist. Einer Löschung im Schuldnerverzeichnis wird daher zugestimmt“.

Aber so einfach ist das Leben nicht, schon gar nicht das Arbeitsleben. „Wenn die Dinge erst einmal schiefgehen, gehen sie auch richtig schief“, weiß Kemmerling. Der Wahnsinn in der Zusammenfassung: Mittlerweile sind die Beiträge und Erstattungsbeiträge saldiert worden, aber Diebner hat keine 56.000 Euro in der Portokasse liegen. Und selbst, wenn er sich mit der Sozialkasse Bau auf eine Ratenzahlung einigen könnte, bliebe er faktisch Schuldner der Sozialkasse Bau. Solange die „Vollständige Gläubigerbefriedigung“ nicht erfolgt ist, sieht das Amtsgericht keinen Handlungsbedarf.

Zusätzlich müssen die Diebners die Daumenschrauben ertragen, die ihnen mit der Vollstreckung angelegt worden sind. Nur ein Beispiel: Ein Fensterlieferant ist über den Eintrag im Schuldnerverzeichnis nicht sonderlich amüsiert, Ware gibt's ab sofort nur noch gegen Vorkasse.

Interessiert es Sie, was die Sozialkasse zu dem Fall sagt? Können die Verantwortlichen nachvollziehen, dass die Diebners von einem „Skandal“ sprechen? Das wüssten wir auch gerne, doch Soka-Bau-Pressesprecher Michael Delmhorst hat unsere Presseanfrage so beantwortet: „Wir werden – wie auch in der Vergangenheit – zu Einzelfällen keine Stellung nehmen.“ Über eine echte Stellungnahme würden wir uns übrigens immer noch freuen.

(sfk)

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