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Aufrechnungsverbot

Sozialkasse Bau: "In Härtefällen gibt es Ausnahmen"

Handwerksmeister, die nicht wissen, dass sie sozialkassenpflichtig sind. Betriebe, die nach Forderungen der Sozialkasse Bau vor der Pleite stehen. Mit diesen brisanten Themen haben wir Soka-Bau Abteilungsdirektor Thomas Arnold konfrontiert. Ein Interview.

Thomas Arnold ist Abteilungsdirektor der Sozialkasse Bau in Wiesbaden.

15.000 Gerichtsverfahren jährlich allein in den alten Ländern, zusätzlich Mahnverfahren – die Sozialkasse Bau sorgt für reichlich Arbeit bei den Arbeitsgerichten. Müsste es nicht im Interesse der Sozialkasse Bau liegen, die Zahlen zu minimieren? Dahinter steckt doch ein extremer Aufwand für alle Beteiligten.
Arnold: Vergleichen Sie uns mit einem Versicherungsunternehmen. Wie würde ein Versicherer mit einem Kunden verfahren, der seine Beiträge nicht zahlt? Erstens würde er keine Leistungen auszahlen. Zweitens würde der Kunde gekündigt werden. SOKA-BAU kann das nicht. Denn: Wir setzen umlagefinanzierte Systeme für eine komplette Branche um. Ausbildungsförderung, Urlaubsverfahren, Altersversorgung – das sind drei wichtige Systeme, an der die gesamte Bauwirtschaft beteiligt ist und davon profitiert, da wäre es ungerecht und ein ungleicher Wettbewerb, wenn einzelne Betriebe nicht teilnehmen bräuchten. Die Zahl der Verfahren entsteht dadurch, dass offene Beiträge monatsbezogen per Mahnbescheid geltend gemacht werden. Wird einem Mahnbescheid widersprochen, führt das zwangsläufig zu einem Klageverfahren, so dass eben auch mehrere Verfahren je Betrieb gezählt werden. Die Quote der Betriebe, die im Laufe eines Jahres überhaupt von einem Klageverfahren betroffen sind, liegt sicherlich unter zehn Prozent.

Doch was ist mit den Betrieben, die von ihrer Sozialkassenpflicht überrascht werden? Arnolds Antwort lesen Sie auf Seite 2.

"Gegen null können wir die Fälle nicht bringen"

Gut, wir reden aber auch über Betriebe, die schlicht nicht wussten, dass sie sozialkassenpflichtig sind. Und diese Betriebe werden plötzlich mit hohen Forderungen konfrontiert. Es kann ja nicht im Sinn der Sozialkasse Bau sein, dass solche Firmen Leute entlassen oder im schlimmsten Fall schließen müssen.
Arnold: Das ist natürlich eine Situation, die uns beschäftigt. Richtig, wir wollen die Situation vermeiden, dass ein Unternehmen für vier Jahre rückwirkend Beiträge zahlen muss, übrigens dann aber auch Erstattungsleistungen für den gleichen Zeitraum erhält. Aber: Das ist ja keine Frist, die wir uns ausdenken. Das ist ganz klar im Tarifvertrag geregelt. Wir sind da aktiv, wir weisen die Existenzgründerzentren der Industrie- und Handelskammern und der Handwerkskammern regelmäßig auf die Problematik hin. Damit die Schwierigkeiten erst gar nicht entstehen. Außerdem stehen wir in Kontakt mit allen Handwerkskammern, damit sie uns über deren Neuanmeldungen informieren. Das sind Dinge, die schon laufen. Dennoch bleibt es bei einer – Gott sei Dank – nicht sehr großen Zahl der Betriebe, die in diese Vier-Jahres-Situation hineinkommt. Mit den beschriebenen Maßnahmen reduzieren wir die Zahl soweit es möglich ist, gegen null wird man diese Fälle nicht bringen können.

Fakt ist aber auch, dass sich in unserer Redaktion immer wieder Betriebsinhaber melden, die in dieser Situation stecken, lauter Einzelschicksale. Wie ist diesen Leuten zu helfen?
Arnold: Das kommt auf den Einzelfall an. Mal angenommen, es hakt lediglich daran, dass der Vollbeitrag nicht finanziert werden kann, aber der Differenzbetrag zwischen Beitrag und Erstattungsleistungen schon. Und angenommen, es geht um betriebliche Tätigkeiten, die nicht auf den ersten Blick im Bausektor zu sehen sind, also einen Randbereich betreffen. Dann können wir über eine Verrechnung der Beiträge mit den Erstattungsleistungen reden. Dann kann man den Betrieben nur empfehlen, sich noch einmal an SOKA-BAU zu wenden.

Das ist erstaunlich, es gibt also doch die Möglichkeit der Aufrechnung?
Arnold: Es gibt Ausnahmen, ja, insbesondere bei solchen Härtefällen der rückwirkenden Erfassung über vier Jahre. Außerdem schalten wir uns auch in die Zwischenfinanzierung ein, falls sich die Hausbank weigert – da gab es schon viele erfolgreiche Gespräche.

Einen Kredit aufnehmen, nur weil das Konto bei der Soka-Bau nicht ausgeglichen ist? Lesen Sie den dritten Teil des Interviews.

"Wir dürfen keine Betriebe übervorteilen"

Und was ist mit den Betrieben, die bereits am Sozialkassenverfahren teilnehmen und – aus welchen Gründen auch immer – kein ausgeglichenes Konto bei Ihnen haben? Ein Betriebsinhaber, der bei seiner Hausbank einen Kredit aufnehmen muss, bevor er einen Anspruch auf Zahlungen von Ihnen hat, ist natürlich genervt. Der Aufwand ist ja nicht ganz ohne.
Arnold: Es geht im Prinzip immer darum, dass Kollektivfinanzierungssysteme wie in der Bauwirtschaft gerecht und so organisiert sein müssen, dass einzelne Gruppen keine besonderen Vorteile oder Nachteile gegenüber anderen haben. Zurück zum Beispiel Versicherung. Wenn Sie Ihre Versicherung nicht bezahlt haben, werden Sie im Versicherungsfall keinen Cent der Versicherung sehen.

Aber der Betrieb aus dem Beispiel hat ja Beiträge gezahlt – nur zu wenig.
Arnold: Wenn wir in diesen Fällen regelmäßig Verrechnung betreiben würden, wäre diese Gruppe der Betriebe gegenüber den anderen, die Leistungen durch ihre Beiträge vorfinanziert haben, schlicht bevorteilt.

handwerk.com hat Anfang 2011 das erste Mal über die Sozialkasse Bau berichtet. Damals hatten wir unter anderem gefragt, ob Ihnen Fälle bekannt seien, in denen Betriebe Insolvenz anmelden mussten, weil sie Gelder an die Sozialkasse Bau nicht zahlen konnten. Die Sozialkasse Bau hat das negiert. Sie kennen wirklich keine Fälle, in denen das passiert ist?
Arnold: Ob offene Beitragsforderungen von SOKA-BAU ursächlich für eine Insolvenz sind, darüber haben wir schlicht keine Zahlen. Wir könnten das vielleicht nachvollziehen, wenn wir selbst den Insolvenzantrag stellen müssten – aber das passiert sehr selten. Nach unseren Erfahrungen ist es in der Regel so, dass zuallererst die Berufsgenossenschaften, die Krankenkassen und die Finanzämter Insolvenzantrag stellen, wenn deren Forderungen offen sind.

Stellen Arnolds Antworten Sie zufrieden? Und: Welche Fragen würden Sie der Soka-Bau stellen? Schreiben Sie der Redaktion!

(sfk)

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