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Foto: handwerk.com

Anfahrtskosten: Handwerker am Pranger

Streit um die Anfahrtskosten eskaliert

41,65 Euro Anfahrtskostenpauschale – für 40 Meter Weg: Die Kundin zahlt nicht, der Handwerker klagt. Unverschämtheit? Sicher! Doch wer kämpft hier wirklich mit unfairen Mitteln?

Tatort München, die Steinstraße im Szeneviertel Haidhausen: "Luxussanierte Wohnhäuser für eine entsprechend zahlungskräftige Klientel" – das "zweite Schwabing", heißt es im Stadtleitbild. Hier wohnen Elke F. und Berthold W. Sie ist Journalistin und Pressesprecherin, er Hochschulprofessor für Finanzwissenschaft..

Elke F. beauftragt einen Elektriker mit der Montage neuer Steckdosen und Lichtschalter. Der Handwerker benötigt eine halbe Stunde. Dafür stellt er 29,63 Euro in Rechnung. Plus Anfahrtspauschale von 41,65 Euro. Dabei sind es nur 40 Meter vom Betrieb zur Kundin – einmal quer über die Straße, wie die Münchener tz berichtet.

Handwerker sichert sich ab – Kundin weiß von nichts und zahlt auch nicht
Der Kundin ist das zu viel. Laut tz-online.de beschwert sie sich, doch der der Elektriker sieht sich im Recht: Die Kundin sei bei Auftragserteilung mündlich auf die Pauschale hingewiesen worden. Außerdem hat sie nach Abschluss der Arbeit  einen Auftragszettel  unterschrieben – auf dem die Pauschale für Wege "0 bis 10 km" vermerkt ist.

Sie wisse von nichts, hält die Kundin dagegen: Vorher habe ihr niemand etwas von der Pauschale gesagt und auf dem Auftragszettel sei ihr das nicht aufgefallen.

Also zahlt die Kundin erst einmal gar nichts . Nach drei Mahnungen reicht der Handwerker Klage ein. Jetzt zahlt die Kundin die 29,63 Euro für die Arbeit. "Ich zahle ja gerne die Leistung, die tatsächlich erbracht wurde", zitiert das Blatt die Kundin. "Aber mehr als ein Euro Anfahrtskosten pro Meter ist doch absurd."

Nächste Seite: Die Innung sieht den Elektriker im Recht, die Handwerkskammer die Kundin!

Was sagen Juristen zu den Anfahrtskosten?

41,65 Euro Anfahrtskosten für 40 Meter Weg? Ein schönes Thema für jeden Juristen! Und die sind sich durchaus nicht einig.

Das sagt die Innung: Der Justiziar der Elektroinnung München sieht den Handwerker im Recht. Ohne ausdrückliche schriftliche Vereinbarung gelte die "übliche Vergütung", wird Christopher Dittert von der tz zitiert: "Bei Kleinaufträgen ist die Anfahrtspauschale eine mögliche Form dieser Vergütung. Das gilt auch dann, wenn mit dem Kunden kein Wort darüber gesprochen wurde." Zur Höhe gebe es keine verbindlichen Regeln, in München reiche die Spanne bei kurzen Strecken bis rund 35 Euro.

Das sagt die Handwerkskammer: Der Justiziar der Handwerkskammer München sieht die Sache anders. Grundsätzlich gebe es zwar eine "ortsübliche Vergütung". Aber: "Bei 40 Metern dürften eigentlich keine Kosten anfallen", sagt er in der tz.

Das sagt das Gericht: Die Chancen des Elektriker stehen allerdings gut. Das Gericht habe der Kundin bereits empfohlen, zu zahlen – immerhin habe sie den Auftragszettel unterschrieben.

200 Euro dürfte der Spaß die Kundin am Ende kosten: Handwerkerrechnung, Anfahrtskosten, Mahngebühren und Gerichtskosten.

Nächste Seite: Die Folgen für den Handwerker – miese Presse, aber auch viel Zustimmung!

Viel Verständnis für den Handwerker

Die Geschichte schlägt Wellen: Nicht nur die tz berichtet darüber, sondern auch der Münchener Merkur. Zusammen haben die Zeitungen eine Auflage von rund 230.000 Exemplaren. Auch die Welt greift den Fall auf. Den Elektriker kennt nun wohl ganz München.

Hunderte Kommentare hagelt es im Internet und viele stellen den Handwerker an den Pranger: Wucher, Gier, Abzocke, Unverschämtheit ... heißt es da. So mancher wirft dem Elektriker zudem fehlendes Fingerspitzengefühl vor.

Doch überraschend viele User stellen sich auch auf die Seite des Handwerkers:

  • Die Kundin habe unterschrieben, der Handwerker sei im Recht, heißt es immer wieder.
  • Viele User weisen darauf hin, dass es sich bei einer Pauschale nun einmal um Durchschnittskosten handele, egal ob 50 Meter oder 10 Kilometer Anfahrt.
  • Anfahrtkostenpauschalen hätten durchaus einen Sinn. Ohne würde sonst niemand mehr solche kleinen Reparaturen durchführen.

Mittlerweile haben tz und Merkur ihre Kommentarfunktionen zu diesen Artikeln abgeschaltet. Zu finden sind die Kommentare allerdings noch über Google:

tz

und

merkur

Nächste Seite: Der Handwerker spricht Klartext – so nicht, liebe Kunden!

Und was sagt der Handwerker zu den Anfahrtskosten für die kurze Strecke?

Dem Handwerker ist alles zu viel. Elektromeister Waldemar Schneider veröffentlicht selbst eine Stellungnahme im Internet, um ein paar Dinge richtig zu stellen:

 
Gründe für die Pauschale:
In der Steinstraße befindet sich das Büro des Betriebs, während die Handwerker ständig im gesamten Stadtgebiet unterwegs seien. Es könne also keine Rede vom kurzen Weg über die Straße sein, vielmehr sei der Zeitaufwand und damit die Arbeitszeit für die Wege von einem Kunden zum anderen zu berücksichtigen. Genau darüber würden die Kunden immer vor Auftragserteilung genau informiert. Entsprechend sei auch Elke F. informiert worden.

Reaktion der Kundin:
Drei Wochen nach Rechnungsversand habe der Freund von Elke F., Professor Bernd W., telefonisch mitgeteilt dass er die Pauschale nicht zahlen werde, schreibt Schneider. Das letzte Wort des Akademikers: "Ich zahle genau 20 Euro, die können Sie bei mir abholen."

Drei Monate nach dem Auftrag habe der Betrieb die erste Mahnung verschickt. Bernd W. zahlt nicht, habe aber den Rechtsweg empfohlen.

Bevor er die zweite und dritte Mahnung verschickt, schlägt Elektromeister Schneider vor, die Rechnung zu begleichen, dann verzichte er auf Mahnkosten und Verzugszinsen. Wenn nicht, werde er das gerichtliche Mahnverfahren einleiten. Keine Reaktion.

Im Juli, neun Monate nach dem Auftrag, habe das Gericht der Kundin nahegelegt, zu zahlen.

 
Unfaire Berichte in der Presse – dank guter Kontakte?
Die Medienberichte hält Schneider für einseitig. Zu keiner Zeit habe die Autorin des Artikels mit einem Vertreter des Handwerksbetriebs gesprochen.

Sein Unternehmen sei einer öffentlichen Hetzjagd ausgesetzt worden, bis hin zu diskriminierenden und fremdenfeindlichen Kommentaren im Internet.

Die Medienschelte sei erst nach der Empfehlung des Amtsgerichts losgegangen. Schneider vermutet hinter der einseitigen Berichterstattung weniger kompetenten Journalismus als die guten Pressekontakte von Elke F.



Wie sehen Sie Sache? Hat es der Elektromeister mit der Anfahrtspauschale übertrieben? Oder ist das wieder mal ein typischer Fall von Kunden, die sich um jeden Preis um die Zahlung drücken? Wir freuen uns auf Ihre Kommentare!

 Weitere Infos zum Thema:


(jw)

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