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Irre Kostenexplosion

Stromschock nach Phantomrechnung

Zuerst reißen Sie die Stromrechnung auf – und dann vor Entsetzen die Augen. Ihr Verbrauch soll von einem Jahr auf das andere um 600 Prozent gestiegen sein?! Einem Handwerksunternehmer ist genau das passiert. Jetzt will Stromlieferant Eon Geld sehen. Viel Geld.

Richard Hann steht vor einem Rätsel. Der Stromverbrauch seines kleinen Betriebes soll im Jahr 2011 um ein Vielfaches angestiegen sein. Sagt Eon. Seit etlichen Jahren bezieht der Bäckermeister von dem Konzern den Strom. Und seit Jahren verbraucht er im Laden und in der Backstube – den Starkstrom für den Backofen nicht mitgerechnet – im Schnitt 20.000 Kilowattstunden. 2011 sollen es mehr als 120.000 Kilowattstunden gewesen sein.

Er habe nichts anders gemacht als sonst, sagt Hann. Und es klingt, als habe er lange darüber gegrübelt.

"Ich habe 2011 nicht mehr Wasser und Mehl verbraucht. Und ich habe nicht mehr Umsatz gemacht", sagt der Unternehmer aus dem niedersächsischen Duderstadt. Für den sechsmal so hohen Verbrauchswert fällt ihm nur eine Erklärung ein: "Der Stromzähler muss gesponnen haben."

Eon erhöht monatliche Abschlagszahlungen auf 4.848 Euro! Lesen Sie Seite 2.

Mahnsaldo mehr als 40.000 Euro

Der Stromlieferant vertraut der Technik. 23.149 Euro hat die „Eon Mitte Vertrieb GmbH“ Hann für 2011 in Rechnung gestellt. Zudem hat sie seine monatlichen Abschlagszahlungen auf 4.848 Euro erhöht. Hann kann es nicht fassen.
  
Mehrere Mahnungen hat er erhalten. Auch die Androhung, dass ihm in Kürze der Strom abgeklemmt wird, falls er nicht zahlt. Hann hat eine Rechtsanwältin eingeschaltet – und die hat sein Fall nicht sonderlich überrascht. Überhöhte Stromrechnungen seien keine Seltenheit und kein "Eon-spezifisches" Phänomen, sagt Johanna Feuerhake.

Die "einzig logische Erklärung" für den plötzlich hohen Verbrauch der Bäckerei Hann sei eine schwere "Fehlfunktion" des Stromzählers, meint Feuerhake. Sie hat der Stromfirma Hausverbot für die Bäckerei erteilt. Feuerhakes Begründung: Es sei bekannt, dass die Eon Mitte Vertrieb GmbH "unabhängig von der Berechtigung eines Anspruchs, Zahlungen durch Versorgungssperren zu erzwingen versucht“.
 
Eon reagiert prompt. Die Vertriebstochter schlägt vor, den Zähler auszubauen und vom Eichamt überprüfen zu lassen. Dessen ungeachtet hält sie an der Rechnung für 2011 und der neuen Abschlagsforderung fest. Das Mahnsaldo steigt zwischenzeitlich auf mehr als 40.000 Euro. Hann zahlt nach Rücksprache mit seiner Anwältin die monatlichen Abschläge auf ein Sperrkonto, für das Jahr 2011 überweist er Eon so viel, wie er im Schnitt in Jahren zuvor für den Strom bezahlt hat.

Streit um das Beweisstück – wer darf den (Ver)-Zähler untersuchen?

Hann meint: "Da ist doch was faul."

Den Ausbau des Zählers lehnt er ab. Warum? Sämtliche Zähler, die Eon Mitte ausbaue, würden vom Eichamt "für fehlerfrei" erklärt, berichtet Feuerhake und spricht von "stromhygienischen Bedingungen des Labors". Einmal in den Händen von Eon wäre der Zähler weg und Hanns einziges Beweismittel verschwunden.

Statt einer Prüfung im Eichamt will die Anwältin ein "selbstständiges Beweisverfahren". Sie beantragt beim Amtsgericht Duderstadt, dass ein unabhängiger Elektro-Sachverständiger ein Gutachten erstellt. Hann ist bereit, die Kosten dafür zu übernehmen.

Eon sperrt sich gegen das Verfahren. Eine Begutachtung eines Stromzählers führe zu keinem anderen Ergebnis als die Zählerbefundprüfung des Eichamtes, schreiben die Anwälte des Stromriesen.

Feuerhakes Behauptung, das Ergebnis einer Befundprüfung stehe von vorneherein fest, sei "absurd". Die Befundprüfung, argumentieren sie, sei sogar vorgeschrieben. Feuerhake dagegen sagt, die einschlägige Vorschrift gelte nur für Privathaushalte mit geringem Stromverbrauch.

Dass Eon sich einem Gutachten verweigert, das ein vom Gericht eingesetzter Sachverständiger erstellt, kommentiert Richard Hann so: "Da ist doch was faul." Fraglich ist allerdings, ob nicht auch ein unabhängiger Sachverständiger einem Phantom hinterherjagen würde. Denn: Der fragliche Stromzähler läuft seit Monaten einwandfrei. Hann hat zur Sicherheit einen zweiten Zähler installieren lassen. Beide Geräte zeigen die gleichen Werte. "Das ist wie verhext", sagt der Bäckermeister. Die Verbrauche seien wieder viel niedriger als 2011 – obwohl er inzwischen einen zusätzlichen Froster angeschafft hat.

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Der Bäckermeister trägt die Beweislast

Könnte es einen anderen Grund für den Ausreißer 2011 geben? War es vielleicht ein Ablesefehler? Hann seufzt, als der die Frage hört. Dreimal sei in diesem Jahr jemand von Eon da gewesen, um den Zählerstand abzulesen. Sonst sei das nur einmal der Fall gewesen.
 
Offensichtlich hat man bei der Eon Mitte Vertrieb GmbH den Augen selber nicht getraut. Erst nach dem dritten Ablesetermin flatterte ihm die mysteriöse Forderung ins Haus. Hann weiß, dass dies kein einfacher Kampf wird. Er trägt die Beweislast, die Beweisführung ist schwierig. Dennoch will er nicht klein beigeben. Er hofft auf eine gütliche Lösung, er ist gesprächsbereit. "Ich zahle, was ich verbrauche – pünktlich." Aber eben keine „Phantomrechnung“.
 
Könnten die 120.000 Kilowattstunden nicht doch an die Realität herankommen? "Bei einem solchen Stromverbrauch, wären in dieser kleinen Bäckerei alle Sicherungen herausgeflogen" sagt Andrea Stanzel. Sie ist Hanns Energieberaterin und kennt die Verbrauchsdaten des Betriebs im Detail. Ihre Erfahrung: "Wir haben schon bei einem anderen Betrieb erlebt, dass der Zähler verrücktspielte und eine viel zu hohe Rechnung kam."
 
Dass sich Kunden wegen erhöhter Stromrechungen beschweren, komme selten vor, betont der Sprecher der Eon Mitte Vertrieb GmbH, Rene Schneider. "Das sind nur Einzelfälle." Einzelfälle, die man oft mit Hilfe einer Checkliste aufklären könne. Auch in Hanns Fall habe man das versucht – ohne Befund.

Also doch der Zähler? Unwahrscheinlich, sagt Schneider, verweist aber auf den zuständigen Messstellenbetreiber, die Eon Mitte AG. Die bekundet " große Interesse an der Klärung des Sachverhalts". Und sie besteht jetzt nicht mehr darauf, den Zähler zur Prüfung auszubauen. " Wir werden die zuständige Eichbehörde, das Mess- und Eichwesen Niedersachsen, Hannover, um eine unabhängige technische Prüfung des Zählers vor Ort bitten", teilt die Konzerntochter auf Anfrage von handwerk.com mit. Fortsetzung folgt.

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(mfi)



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