Auf einen Blick
- Stundesatz 97 Euro: Solchen Summen sollen Handwerker laut einem n-tv-Video auf handelsblatt.com von ihren Kunden verlangen.
- Nur: Im Video gibt es einige Ungereimtheiten. Glaubwürdig erscheint der Beitrag dadurch nicht.
- Die handwerk.com-Redaktion hat also nachrecherchiert. Bei Schreiner Stefan Behr, der im Video auftaucht.
- Seine Erklärung: Das Video wurde so geschnitten, dass es den Anschein erwecke er könne Traumsummen in Rechnung stellen. Die Realität aber sehe ganz anders aus.
„Autsch!“ Mit diesem Wort beginnt ein Video, das auf handelsblatt.com zu sehen ist und das n-tv gedreht hat. Gezeigt wird die Nahaufnahme einer Rechnung, in der 97 Euro pro Stunde abgerechnet werden. Wofür? Das bleibt unklar.
Schnitt, nächste Szene.
Eine Kundin hält eine Rechnung in der Hand. Der Zuschauer, der den Film an dieser Stelle anhalten würde, könnte merkwürdige Details wahrnehmen. Denn erst im Standbild wird deutlich: Das ist offensichtlich eine andere Rechnung, zumindest bestaunt die Frau plötzlich Stundensätze von 32 Euro.
Lassen wir das Video weiterlaufen.
Zwei Passanten mäkeln über zu hohe Stundensätze. Schnitt. Innenaufnahmen einer Tischlerei, Firmenchef Stefan Behr ist zu sehen. Ein Sprecher sagt: „Er findet solche Preise gerechtfertigt, wegen der hohen Qualität!“ Zeit für eine Zwischenfrage: Wie bitte?
Behr bleiben 1,50 Euro Gewinn
Die handwerk.com-Redaktion hat Stefan Behr angerufen: „Sie halten überhöhte Preise für gerechtfertigt, Herr Behr? Und Sie können einen Stundensatz von fast 100 Euro nehmen?“ "Nein", antwortet Behr leicht angesäuert. Leider sei das Video so geschnitten worden, dass man den Eindruck gewinnen müsse, er könne Traumsummen in Rechnung stellen: „Ich war damit nicht einverstanden, aber da war's schon zu spät.“
Und welchen Stundensatz zahlen die Kunden von Behrs Schreinerei SBS Systemmöbel? „50 Euro. Das ist der Satz, den wir benötigen, um überleben zu können“, sagt Behr. Das Video übergeht diese Zahl galant.
Aber möglicherweise ist Behrs Stundensatz ja die Basis dafür, dass auf n-tv eine Grafik eingeblendet wird, die aufdröselt, woraus sich eine Handwerkerstunde von 50 Euro zusammensetzt.
• 15 Euro Stundenlohn für den Mitarbeiter
• 9 Euro für Sozialabgaben
• 24,50 Euro Betriebskosten
• Gewinn für das Unternehmen: 1,50 Euro
Richtig stellt der Sprecher im n-tv-Video fest: „Wenn man mal rechnet, verschlingt deutsche Wertarbeit viel Geld.“
100 Euro-Handwerker gesucht
Behr betreibt einen hohen Aufwand, plant per CAD-System, seine 13 Mitarbeiter setzen komplizierte Projekte an teuren CNC-Maschinen um. „Da sind die 50 Euro nicht zuviel, das ist schon die Untergrenze. Ich müsste eigentlich mehr nehmen, aber es gibt im Wettbewerb zu viele Betriebe, die darunter bleiben", sagt der Schreinermeister.
Und weil selbst die 50 Euro schwer durchzusetzen seien („Wir schaffen das nur mit Qualität und Spontanität“), interessiert ihn brennend, welches Gewerk 97 Euro verlangen kann. "Der normale Handwerker – der Schreiner, der Maurer, der Maler – ist doch weit weg davon.“
Helfen Sie Stefan Behr: Gesucht ist der Betrieb, der einen Stundensatz von 100 Euro (oder mehr) realisiert. Wenn Sie oder einer Ihrer Kollegen das schaffen: Schreiben Sie uns! Wir drehen dann ein Video über Sie und [Ironiemodus ein] verkaufen es handelsblatt.com [Ironiemodus aus].
"Und falls Sie einen Kunden treffen, der 97 Euro zahlt, dürfen sie ihm ruhig meine Telefonnummer geben", fügt der Schreinermeister hinzu.
Übrigens: Das Video verortet die Schreinerei von Stefan Behr in München. Der Firmensitz ist allerdings in Hallbergmos bei München. Das ist jetzt kleinlich, stimmt, aber insgesamt hat sich der n-tv-Beitrag seine Beurteilung quasi selbst verliehen: Autsch!
Für die Presseanfrage zu den Merkwürdigkeiten des Videos hat uns handelsblatt.com an n-tv verwiesen. Nur eine von fünf Fragen: "Welches Gewerk/welcher Betrieb hat 97 Euro verlangt?" Die n-tv-Pressestelle hat den Redaktionsschluss leider verstreichen lassen. Fortsetzung folgt.
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