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Im Schneckentempo durch das Netz

Willkommen im digitalen Entwicklungsland

Mancher Handwerker kann jedes Bit einzeln zählen, so langsam ist seine Internetverbindung. Jetzt kämpft die Regierung dagegen. Mit leeren Worten.

Im Schneckentempo durchs Netz
Internet Schnecke

Eigentlich hat sich Oliver Struß den perfekten Standort für seine Tischlerei ausgesucht. Sie liegt in einem Gewerbegebiet am Stadtrand von Braunschweig, mit nahezu direkter Verkehrsanbindung an den Güterbahnhof, die Autobahn 39 und die Bundesstraße 1. Logistisch stehen ihm alle Wege offen.

Doch die Sache hat einen Haken: Moderne Kommunikationsmittel sind in diesem Gewerbegebiet praktisch unbenutzbar. Für eine 16.000er DSL-Leitung hat Struß bezahlt. „Was bei uns ankommt entspricht gerade mal der dreifachen ISDN-Geschwindigkeit“, sagt der Tischlermeister.

Wenn der PKW das Downloadloch überbrückt
Mit so einer Verbindung kann man nicht einmal flüssig ein Youtube-Video anschauen. Für den Bedarf der Tischlerei reicht sie schon gar nicht. Struß verarbeitet von seinen Kunden 3D-Daten, die gerne 500 Megabyte groß sind. Da dauert der Download von morgens bis mittags. So lang kann Struß natürlich nicht warten. In den ersten Monaten blieb ihm daher nur eine Lösung: „Ich bin jedes Mal die fünf Kilometer nach Hause gefahren, habe die Datei dort heruntergeladen und fuhr dann wieder zurück.“

Ein Einzelfall? Leider nein. Laut einer Umfrage des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH) ist bundesweit etwa jeder dritte Betrieb unzufrieden mit seiner Internetgeschwindigkeit. Besonders betroffen seien vor allem größere Handwerksbetriebe aus den Bau- und Ausbaugewerken, dem Kfz-Handwerk sowie gewerbliche Zulieferer.

Welche Konsequenzen hat das? Der ZDH spricht von erheblichen Nachteilen bei den Teilnahmemöglichkeiten an Ausschreibungen und erschwerten Bedingungen bei der Erschließung internationaler Märkte. Zudem behindert das langsame Netz die Kommunikation, sobald komplexe Prozesse den Austausch großer Datenmengen fordern.

Seite 2: Abgehängt von Russland und Rumänien. So langsam surft Deutschland.

Entwicklungsland mit Führungsanspruch

Dass Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit direkt von der digitalen Netzinfrastruktur abhängt, hat die Bundesregierung verstanden. „Wir stehen vor einem Daten-Tsunami“, stellte jetzt etwa Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt fest. Ende August präsentierte er mit anderen Ministerien die Digitale Agenda der Bundesrepublik. Ihr Ziel: Deutschland eine „Führungsrolle bei der Digitalisierung“ geben.

Dazu gehört bis 2018 der flächendeckende Breitbandausbau mit einer Internetgeschwindigkeit von 50 Megabit pro Sekunde (Mbit/s). Das entspricht 6,25 Megabyte pro Sekunde – genug, um sekündlich ein bis zwei MP3-Lieder herunterzuladen. Der Firmenanschluss von Tischlermeister Struß kommt auf etwa 0,3 Mbit/s. Da dauert der gleiche Download fast drei Minuten.

Nicht nur in Braunschweig, bundesweit sind die Bedingungen für die geplante deutsche „Führungsrolle“ bei der Digitalisierung schlecht. Im Ranking der Staaten mit den schnellsten Internetgeschwindigkeiten, liegt Deutschland weltweit auf Platz 27, direkt hinter Russland und Rumänien.

Seite 3: Die Regierung handelt. Doch ihr Schlachtplan klingt eher nach eine Mogelpackung.

Der Breitbandausbau hängt – an zwei Haken

Diesen Rückstand kann man aufholen, klar. Leider hat die neue Digitale Agenda der Bundesregierung ein paar gewaltige Haken, an denen der Ausbau leicht hängenbleiben kann.

Haken 1: Der Breitbandausbau soll vor allem mit mobilen Netzen abgedeckt werden, sagt Alexander Sander, Geschäftsführer des Vereins Digitale Gesellschaft. „Die mobilen Netze sind ein Shared Medium. Das heißt, man teilt sich die Geschwindigkeit mit anderen Nutzern, die gerade in der gleichen Funkzelle sind“, sagt Sander. Und in so einer Funkzelle ist man praktisch nie allein. Die 50 Mbit werden also immer unter vielen Internetnutzern aufgeteilt, fürchtet Sander.

Haken 2: Es gibt überhaupt keinen Finanzierungsplan für den Breitbandausbau. Das war mal anders: In den Koalitionsverhandlungen der jetzigen Regierung diskutierten die Politiker laut Sander noch über eine Fördersumme von jährlich einer Milliarde Euro. Im ersten Entwurf der Digitalen Agenda seien es noch zehn Millionen gewesen. Jetzt findet sich dort überhaupt keine Zahl mehr.

Doch ohne Geld vom Staat wird keine schnelle Leitung in die ländlichen Regionen verlegt werden. Denn die Bundesregierung hofft beim Breitbandausbau auf die Kräfte des Marktes. Und die walten nur dort, wo auch Geld zu holen ist – bei den vielen Kunden in den Ballungszentren. Ohne Zuschüsse rechnet sich die Anbindung strukturschwacher Gebiete für den Netzanbieter nicht. Die Folge sieht so aus, wie bei Tischlermeister Oliver Struß im Braunschweiger Gewerbegebiet.

Womit sich Tischler Struß zu helfen wusste, lesen Sie auf der letzten Seite.

Rettung im Richtfunk

Kann man als Handwerker überhaupt etwas machen, um das Problem zu lösen? Nicht viel. Der ZDH empfiehlt, möglichst im Verbund mit anderen Gewerbetreibenden das Gespräch mit dem Netzanbieter und vor allem der Kommune zu suchen. Eine Erfolgsgarantie gibt es freilich nicht.

Die Erfahrung hat auch Tischler Struß gemacht. Er ging auf die Stadt Braunschweig zu, doch die sah den Netzanbieter in der Verantwortung. Der hingegen sagte, er könne ohne Geld von der Stadt nicht investieren.

Die Folge: Struß wollte seinen Vertrag für die 16.000er Leitung kündigen, immerhin kamen bei ihm weit weniger als zehn Prozent der Geschwindigkeit an. „Da wurde mir gedroht meine Leitung zu kappen“, sagt Struß. Erst als seine Anwälte drohten, Klage einzureichen, lenkte der Netzanbieter ein.

Und heute: „Wir bekommen jetzt Internet per Richtfunkantenne“, sagt Struß. Ein regionaler Anbieter hat dazu einige Antennen auf Hochhäusern in Braunschweig errichtet, um die weißen Flecken der Stadt per Funk mit dem Kabelnetz zu verbinden. Immerhin 7 Mbit/s bekommt die Tischlerei. Auch wenn Struß dafür doppelt so viel bezahlt wie beim kabelgebundenen Internet.

Auf den großen Wurf in der Breitbandversorgung aber wartet der Tischlermeister noch vergebens. Da hilft es ihm wenig, dass er schon genau weiß, wofür er die bessere Vernetzung nutzen würde. Und die Wünsche gehen weit über Videotelefonie und den schnellen Austausch von Grafikdateien hinaus. „Am liebsten würden wir unsere Designvorschläge im 3D-Programm live in Online-Meetings mit den Kunden abstimmen.“

In Rumänien hätte dieser Traum bessere Chancen.

(deg)

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