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Lohnnebenkosten-Wahnsinn

Wo bleibt der Mindestlohn für Unternehmer?

Haben Sie mal Ihren Stundenlohn ausgerechnet? Ehrlich ausgerechnet? Ein Bauhandwerker hat jetzt die „vollen 60 Stunden wöchentlich“ in seine persönliche Statistik einfließen lassen – und das Ergebnis ist fatal. Er verdient weniger als seine Mitarbeiter.

Unabhängig davon, wie man zur Mindestlohn-Debatte steht: Auch so mancher Chef verdient weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat jetzt zu diesem Thema beachtenswerte Zahlen vorgelegt. Danach hat jeder vierte der knapp 4,4 Millionen Selbstständigen in Deutschland 2012 unterhalb der Mindestlohngrenze gearbeitet. Der Anteil der Niedrig-Verdiener bei den „Solo-Selbstständigen“ liegt demnach sogar bei mehr als 30 Prozent.

Nun ist die Annahme nicht ganz abwegig, dass die Statistik vor allem den berühmten „kleinen Krauter“ erfasst hat, der sich selbstständig gemacht hat, weil ihm nichts Besseres eingefallen ist. Weil Arbeitslosigkeit die Alternative wäre. Und weil es zufällig ein Förderprogramm der Arbeitsagentur gab. Aber das ist nur die halbe Wahrheit: Es gibt auch gestandene Handwerksmeister und andere gut ausgebildete Leute, die nur deshalb überleben und am Monatsende ein halbwegs gutes Einkommen vorweisen können, weil sie Stunden schieben. Reichlich Stunden.

Nächste Seite: „Ich verdiene weniger als 8,50 Euro in der Stunde.“

Reichlich Arbeit – kaum Rücklagen

Auch wenn er damit eine bittere Gleichung aufstellt, der Bauunternehmer Fred Fundus (Name geändert) hat sich jetzt hingesetzt und seinen Stundenlohn ausgerechnet. Das Ergebnis: Fundus kratzt so gerade von unten an den 8,50 Euro. Und seine Familie kann nur überleben, weil seine Frau halbtags im Betrieb arbeitet und er mehr als 60 Wochenstunden abreißt.

„Zu allem Überfluss“, sagt Fundus, „droht uns Handwerkern die Altersarmut.“ Gute Frage: Wie soll ein Unternehmer mit weniger als 8,50 Euro Stundenlohn Rücklagen bilden? Fundus bezweifelt, dass es in der gegenwärtigen Situation „noch einen Anreiz für junge Handwerker, Meister und Diplom-Ingenieure zur Selbstständigkeit im Handwerk“ gibt.

Allerdings muss sich Fundus auch die Frage gefallen lassen, ob er nicht etwas falsch gemacht hat. Es gibt doch Beispiele von Unternehmern, die gut oder zumindest halbwegs gut verdienen. Auch im Baubereich.

Nächste Seite: Die direkte Konkurrenz umschifft die Lohnnebenkosten.

Der Hausmeisterservice gewinnt

Tatsächlich stellt sich Fundus „jeden Tag“ die Frage, warum es anderen Unternehmen besser geht: „Sicher bin ich nicht der Kaufmann, der alles bis auf das Letzte ausreizt.“

Andererseits sei es schon auffällig, sagt Fundus: Direkte Konkurrenten in seiner Region in Nordrhein-Westfalen würden sich immer öfter in Firmenkonstrukte wie den „Hausmeisterservice“ oder die „Bauelementemontage“ flüchten – oder gleich in die Schwarzarbeit. Diese Kollegen seien nur deshalb besser auf Kurs, weil sie beispielsweise die Beiträge an die Sozialkassen oder die Berufsgenossenschaften umschiffen: „Oder es werden Subunternehmen eingeschaltet, die teilweise mit illegalen Arbeitskräften arbeiten. Die Palette der Praktiken ist da riesig.“

Gleichzeitig müsse Fundus als „ehrlicher Handwerker“ seinen Kunden einen Stundenverrechnungssatz vom dreifachen des Brutto-Stundenlohns seiner Mitarbeiter berechnen. Und dieser Aufschlag enthalte wiederum „nur noch eine kalkulatorische Berücksichtigung von 3 – 4 Prozent für Gewinn und Wagnis“. Das Missverhältnis, meint Fundus, dürfte deutlich erkennbar sein.

Als sich DIW-Forscher Karl Brenke jetzt mit der Entwicklung innerhalb verschiedener Branchen der Solo-Selbstständigen beschäftigt hat, war er von einer Zahl tatsächlich besonders überrascht: „Es gibt einen merkwürdigen Zuwachs bei den selbstständigen Hausmeistern – offenbar wird viel Arbeit aus Unternehmen ausgelagert.“

Setzt das endlich um! Fundus hat konkrete Vorschläge für die Politik.

Überprüft den Lohnnebenkosten-Wahnsinn

Und auch das sagt die DIW-Statistik: 2012 haben unter den Chefs mit Mitarbeitern 17,6 Prozent weniger als den politisch geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro erwirtschaftet. „Da bin ich wohl nicht der Einzige, der etwas falsch macht“, kommentiert Fundus. Der Handwerksunternehmer hat sich jetzt die Zeit genommen und darüber nachgedacht, was ihm konkret in seinem betrieblichen Alltag helfen könnte.

Seine Vorschläge an die Regierungskoalition:

  • Überprüft den Lohnnebenkosten-Wahnsinn, den die Sozialgenossenschaften und die Berufsgenossenschaften verursachen.
  • Dünnt den europäischen Normen-Wahnsinn aus, kehrt zurück zu bewährten regionalen Regulierungen wie der DIN-Norm.
  • Verschärft die Kontrollen unseriöser Betriebe und von Schwarzarbeitern massiv.
  • Stellt den Meisterzwang für alle Gewerke wieder her, verschärft ihn sogar.

Karl Brenke weist die Politik mit seiner Studie auf einen weiteren Punkt hin: „Feiert nicht permanent die Selbstständigkeit und den Zuwachs an Solo-Selbstständigen, hier tut sich ein gesellschaftliches Problem auf.“ Der Anteil der „Kümmerexistenzen“ sei einfach zu hoch und die „Mängel bei der Ersparnisbildung“ seien ein großes Problem: „Ich sehe die Fördermaßnahmen der Arbeitsagenturen kritisch.“



Und Fundus? Der möchte keinesfalls als gierig erscheinen, aber wenn er als Chef zur Abwechslung mal wieder mehr als seine Mitarbeiter verdienen dürfte, wäre das auch eine schöne Sache.



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 (sfk)

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