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Ungewöhnliches Sattlerhandwerk

Zaumzeug für Windräder

Eine Sattlerin aus Norddeutschland konfektioniert dutzende Spezialprodukte für die Windindustrie. Doch was können Sattler für die Giganten aus Beton und Stahl überhaupt tun?

Gut abgeschirmt am Haken
Senvion_Nabe_Plane

Eine Ruine sei die alte Molkerei gewesen, als Christin Jensen sie 2007 gekauft hat. Seitdem hat sie den alten Backsteinbau in der 2000-Seelen-Gemeinde Großsolt bei Flensburg schrittweise ausgebaut. Kühe sucht man hier heute vergeblich. Stattdessen halten Katze und Schäferhündin in der großen Werkstatt Wache. Christin Jensen ist Sattlerin. Mit ihrer kleinen Planen-Sattlerei „Planen Service Angeln“ arbeitet die 31-Jährige inzwischen nicht mehr nur für Privatkunden und Kleinbetriebe. Sie ist wohl auch die einzige Sattlerin der Windindustrie.

Ihren Erstkontakt zu dieser Branche verdankt Jensen schlechtem Wetter: Der März 2010 begann mit Minusgeraden im zweistelligen Bereich und kräftigem Schneefall. Irgendwo auf einem Feld in Schleswig-Holstein hat der Hamburger Turbinenhersteller Senvion gerade den Betonsockel für den Turm einer neuen Windturbine aufgebaut. Der sollte nun trocknen – bei diesen Wetterkapriolen unmöglich.

Über Nacht zur Windkraftsattlerin

Ein Heißluftgebläse würde helfen, doch darf die Luft dann nicht so leicht entweichen. Die zündende Idee: Eine große Plane sollte wie eine Mütze über den Sockel gestülpt werden. Senvion kontaktierte dann die Planen-Sattlerin mit der ungewöhnlichen Eilanfrage.

„Ich hab mitten in der Nacht die 300 Quadratmeter große Plane gefertigt.“ Mit dieser Nachtschicht begann eine lange Kooperation, die sich Jensen mit Blutergüssen unter den Fingernägeln erarbeitet hat.

Seither hat sie gut 20 verschiedene PVC-Planen für die Windindustrie entwickelt. Sie decken verschiedenste Großkomponenten wie die Turmsegmente ab, um sie sauber und trocken zu halten. Entplanen lassen sich die Turmsegmente dank patentiertem Schlaufenverschluss sekundenschnell ohne Hilfsmittel.

Seite 2: So bringt Jensen tonnenschwere Eisenteile sicher in 100 Meter Höhe.

PVC-Behälter für Schwerstgewichte

Die größte Nachfrage aber verzeichnet Christin Jensen bei ihren Schwerlasttaschen. Das sind zylinderförmige Konstruktionen aus PVC-Planen und Sicherheitsgurten. Sie sind für eine Arbeitslast von – modellabhängig – 250, 350 und 400 Kilogramm zugelassen. Die von der Dekra-Prüfstelle zertifizierte Bruchlast der Taschen ist viermal so hoch. Das heißt, erst bei 1.000 bis 1.600 Kilogramm macht das Material schlapp.

Vollgepackt mit Bolzen, Unterlegscheiben oder anderen Schwerlastteilen, lässt sich die Tasche einfach am Bordkran in die Gondel befördern. Ein paar hundert Stück sind schon im Baustellen-Einsatz. Für einen Offshore-Windenergiedienstleister hat  Jensen zuletzt ein Großmodell ihrer Tasche gefertigt. Bruchlast: 6 Tonnen.

Schon seit der Kindheit Sattlerin
Fünf Großkunden hat Christin Jensen mittlerweile im Windbereich – dazu kommen über 500 kleine private und gewerbliche Auftraggeber. Am liebsten würde die Sattlerin noch mehr für die Windbranche arbeiten.

Fachliche Herausforderungen findet sie im klassischen Planenbau ohnehin kaum noch: Seit sie 12 Jahre alt ist, hat Christin Jensen im elterlichen Betrieb geholfen, Anhängerplanen zu fertigen. „Das PVC wurde mir praktisch in die Wiege gelegt.“ Den Weg in die Selbstständigkeit hat sie mit 24 Jahren mit eigenen finanziellen Mitteln gewagt. „Angefangen habe ich mit einer 50 Jahre alten Nähmaschine, die hat gar nicht mehr richtig genäht.“

Wie PVC auch Rotorblätter im Zaum hält, lesen Sie auf Seite 3.

Schneiden, Nähen, Schweißen

Die Nähmaschine hat sich inzwischen verbessert, die Handarbeit ist gleich geblieben. Meist kommen Planen in Rollen von 100 bis 180 Kilogramm Stückgewicht. Jensen schneidet das Rohmaterial zurecht, vernäht die Planen, verschweißt sie und schlägt die Ösen hinein. „Ich baue alles so, dass es langfristig hält“, betont die Sattlerin. Was kaputt geht wird kostenlos repariert.

Um die Haltbarkeit beispielsweise der Taschen zu erhöhen, verwendet Jensen PVC-getränkte Sicherheitsgurte. Die werden erst mit dem PVC vernäht und dann verschweißt, was die Nähte versiegelt.

Rotorblätter an der Leine
Dass PVC auch härtere Aufgaben meistern kann, beweist Jensens Rotorblatttasche. Die ähnelt einem Dreieckstuch, wie es bei Armbrüchen eingesetzt wird. Die Tasche wird über das Rotorblatt gestülpt. Hebt nun der Kran das Blatt an, kann das Blatt über Seile an der Tasche per Hand oder mit dem Kran geführt werden, damit es sich nicht dreht oder der Wind es bei der Installation gegen den Turm drückt.

Die Auftragslage zeigt, dass handwerkliche Qualität auch im Planenbereich durchaus noch gefragt ist. Jensen hat auch schon aktiv Verstärkung gesucht, um mehr Aufträge abarbeiten zu können. Jedoch ohne Erfolg. In Schleswig-Holstein würden sich pro Jahr nur etwa drei Personen zum Sattler ausbilden lassen. Verstehen kann sie das nicht. „Ich würde mir wünschen, dass noch mehr Leute in den Beruf reinschauen."

(deg)

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