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Menschenkenntnis

Zwei Geschichten, zwei Obdachlose – eine Aussage

Da ist der Bäcker, der einem Obdachlosen das Leben verdankt. Da ist der Tischler, den ein Obdachloser um Arbeit fragt. So beginnen zwei Geschichten – und sie enden ähnlich.

Vertrauen Misstrauen flach

Denn nach der Begegnung mit den Handwerkern hat sich das Leben beider Obdachloser grundlegend geändert.

Beginnen wir in Frankreich. stern.de hat unlängst über Jérôme Aucan berichtet, der Mann lebte 20 Jahre lang auf den Straßen der Stadt Dole. Im stern.de-Video zeigt er „seinen“ Platz auf einem Bürgersteig: „Genau hier habe ich immer um Essen gebettelt. Aber auch um eine Dusche, hier war mein Schlafplatz.“ Als er eines Tages durch die Gegend streift, um „einen Kaffee und ein Croissant“ zu erbetteln, findet er Michel Flamant. Der Bäcker liegt im Seiteneingang zu seiner Backstube, er sieht krank aus. Aucan hilft sofort.

Später wird sich herausstellen, dass der Handwerksunternehmer unter einer Kohlenmonoxydvergiftung litt. Wie es dazu kam, erklärt das Video nicht, nur so viel steht fest: Der Handwerksunternehmer bedankt sich bei dem Obdachlosen auf spezielle Art – er gibt ihm eine Lehrstelle.

Das klingt wie ein Märchen? Wie ausgedacht? Stimmt. Deshalb haben wir die Geschichte überprüft.

Nächste Seite: Es gibt sie wirklich – der Bildbeweis.

Ein ungleiches Paar

Dole ist eine Stadt mit 23.000 Einwohnern im Département Jura, nicht weit von Dijon. Wir haben eine Urlaubreise durch Frankreich für einen Abstecher nach Dole genutzt. Und man muss nicht lange nach der Boulangerie Flamant suchen, sie liegt mitten im alten Stadtkern. Eine typische französische Bäckerei, das Sortiment ist klein und fein. Wenige Brote, wenige Kuchen, Croissants.

Als wir aus dem Auto steigen, ist es mittags, die Bäckersfrau Monique will den Verkaufsraum bald für die Mittagsstunde schließen. Doch wir haben Glück. Jérôme Aucan sitzt im Nebeneingang der Backstube und genießt die Mittagspause. In der rechten Hand hält er einen Becher Kaffee, in der linken eine Zigarette. Fast hätten wir ihn nicht erkannt. Als das Video gedreht wurde, hat er noch Dreadlocks getragen. Jetzt sind seine Haare raspelkurz: „Aus hygienischen Gründen.“

Dann erscheint auch Michel Flamant in der Tür der Backstube. Ein ungleiches Paar. Michel reicht seinem neuen Mitarbeiter kaum bis zur Schulter, aber sie ergänzen sich, auch das wird deutlich. Jérôme und Michel sind tatsächlich so symphatisch wie in dem Video.

Auf die Frage, was denn die Spezialität seines Betriebs sei, antwortet Michel erstaunt: "Pain." Ist doch klar, ein Bäcker backt Brot. Richtig gutes Brot.

Nächste Seite: Der Obdachlose und der Tischler – noch ein Märchen.

Extremes Medienecho

Rückblende. Juni 2015. Oberösterreich. Der Chef der Tischlerei Hartl GmbH teilt auf Facebook ein Erlebnis, das ihm gerade passiert war. Ein Obdachloser hatte Herbert Hartl an einer Tankstelle angesprochen und gefragt, ob der Unternehmer ihn mit in die nächste Stadt nehmen könne, er sei auf der Suche nach Arbeit.

Hartl ist ehrlich in seinem Post, weil er unter Zeitdruck stand, habe er eher „hart“ und genervt geantwortet: „Nein, sicher nicht“. Er wollte den Tschechen abwimmeln.

Dann erzählt ihm Miroslav Sova, dass er bereits seit 6 Monaten Arbeit suche, aber: „Es will mich keiner, ich habe kein Geld, kann mir nichts zum Essen und Trinken kaufen.“ In diesem Moment, schreibt Hartl, sei es ihm „kalt über den Rücken gelaufen“. Der Tischler bietet Sova spontan einen Arbeitsplatz an und quartiert ihn zunächst in einem Hotel ein. Der letzte Satz von Hartls Facebook-Geschichte lautet: „Miroslav ist seit einigen Tagen Teil meiner Firma, er ist ein toller Kollege und guter Mitarbeiter. Schön, dass du ein Teil der Firma bist!“

Das Echo auf sein Erlebnis ist extrem, Zeitungen und Fernsehsender in Österreich und Deutschland berichten über den Fall, Hartls Facebook-Beitrag wird durch die sozialen Netzwerke gereicht, allein auf Facebook ist er bis heute mehr als 27.000 mal geteilt worden. Und ganz offensichtlich hat sich Sova bewährt, Monate später schreibt Hartl wieder über Facebook: „Wir suchen schon seit längerer Zeit eine Wohnung für unseren Miroslav. Wenn jemand eine kleine Wohnung weiß, bitten wir um Rückmeldung.“
 
 Eine Frage ist noch offen: Wie kam es zur Kohlenmonoxydvergiftung von Michel Flamant?

Eigene Schuld

Zurück nach Frankreich. Auch die Geschichte um den Bäcker und den (mittlerweile ehemaligen) Obdachlosen ist noch nicht zuende erzählt. Noch lange nicht. Michel Flamant wird bald in den Ruhestand gehen, und er möchte Jérôme Aucan sein Geschäft für 1 Euro verkaufen. Der Noch-Chef sagt über seinen Nachfolger: „Wenn er arbeitet, legt er keinen Wert auf die Uhrzeit. Er beendet stets seine Arbeit. Er beschwert sich nie und arbeitet wirklich hart.“
 
Insofern haben beide Geschichten eine weitere Gemeinsamkeit: Es geht in ihnen um zwei Handwerksunternehmer, die erkannt haben, welches Potenzial in Menschen stecken kann.

Nur eine Frage ist offen geblieben: Wie kam es denn nun zu dem Unfall, wieso hat Flamant eine Kohlenmonoxydvergiftung erlitten? Diese Geschichte erzählt der Chef nicht sonderlich gern, denn er hat den Unfall selbst verschuldet. Nach technischen Problemen an seinem Backofen hatte er keinen Spezialisten gerufen, sondern selbst an den Gasleitungen und dem Abluftsystem herumgefrickelt.
 
 

(sfk)

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