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Gelber Smile umringt von verärgerten Gesichtern in Rot

Inhaltsverzeichnis

Politik und Gesellschaft

Wie weiter ohne Meister?

Was bedeutet ein Ende der Meisterpflicht für Handwerk und Gesellschaft? Zwei Fliesenleger und ein Wissenschaftler erklären die Welt der Meisterlosen.

Auf einen Blick

  • Seit 2004 gibt es in 53 Gewerken keine Meisterpflicht. Geht es nach der EU, war das nur ein Vorgeschmack auf das Ende vom Meister.
  • Die Folgen der Abschaffung lassen sich beispielhaft am Fliesenlegerhandwerk ablesen: Explosion der Kleinstbetriebe, Schwund der Lehrlinge und Meister.
  • Was sagen die Fliesenleger? Fliesenlegergeselle Thomas Wulf und Meister Thomas Lustig berichten aus ihrer Erfahrung. Ein Kritikpunkt: Die ersatzlose Streichung verpflichtender Qualitätsnachweise zur Ausübung des Handwerks.
  • Was hat die Abschaffung der Meisterpficht gebracht? Laut IFH-Geschäftsführer Klaus Müller wurden die Ziele wie stärkere Innovationskraft und Anstieg sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung klar verfehlt.
  • Was ist nun zu tun? Eine sofortige Wiedereinführung der Meisterpflicht bringe laut Klaus Müller nichts. Zunächst brauche es Ansätze zur Steigerung von Lehrlingszahlen und Meisterprüfungen.

Fliesenleger, Parkettleger, Raumausstatter – in 53 Gewerken darf sich seit 2004 jeder selbständig machen. Die Meisterprüfung ist freiwillig, Qualifikationsnachweise unnötig. Und geht es nach dem Willen der EU, war das erst der Anfang vom Ende der Meisterpflicht. Mit dem EU-Dienstleistungspaket will Brüssel den Meister auch in anderen Gewerken abschaffen. Mit welchen Folgen?

Ohne Meisterpflicht: Entwicklung der Fliesenleger

Das weiß das Fliesenlegerhandwerk aus eigener Erfahrung. Mit der Abschaffung der Meisterpflicht ist zunächst die Zahl der Betriebe explodiert: von 12.000 im Jahr 2004 auf zuletzt 72.000 Betriebe. Darunter viele Soloselbständige und Mitbewerber aus dem europäischen Ausland.

„Der Anstieg ist immens“, sagt Klaus Müller, Geschäftsführer des Volkswirtschaftlichen Instituts für Mittelstand und Handwerk (IFH) an der Universität Göttingen. Allerdings: Ganz so dramatisch wie es zunächst scheint, wirke sich diese Zahl nicht aus, sagt Müller: „Nicht jeder der 72.000 Unternehmen verdient sein Geld auch mit Fliesenlegen.“ Die Liste der zulassungsfreien Gewerke macht es möglich. Ohne Zusatzkosten und Qualifikationen kann sich ein Betrieb für mehrere Gewerke eintragen lassen. So geht er rechtlich auf Nummer sicher, falls doch mal eine Fliese repariert werden muss.

Konkurrenz vor allem aus Europa

Wie stark ist der Konkurrenzdruck seit der Abschaffung der Meisterpflicht? Fliesenlegermeister Thomas Lustig aus Wadenburg sieht die Konkurrenz zum meisterlosen Wettbewerb eher gelassen: „Ich glaube, es gibt für jeden einen Markt“, sagt Lustig. Kleinstunternehmer, die für Privatleute arbeiten, bereiten ihm keine Sorgen.

Etwas anders sehe das bei den Subunternehmer-Kolonnen aus dem EU-Ausland aus. In Deutschland sind mehr als 20.000 Fliesenleger aus den Nachbarstaaten gemeldet.

Das drückt auf den Preis. „Ich wurde schon von potenziellen Auftraggebern angesprochen, ob ich nicht auch ausländische Subunternehmer beschäftigen könnte, um billiger zu sein“, sagt Lustig. Er lehnt diese Praxis ab und verzichtet so zähneknirschend auf manchen Auftrag. „So werden die sozial- und tarifpflichtigen Arbeitsplätze untergraben“, sagt Lustig. Aber der Meister macht nicht nur negative Erfahrungen. „Wo Qualität verlangt wird, setzt man auf renommierte Betriebe“, sagt Lustig.

Auswirkungen auf Qualifikation und Qualität

Da schließt sich die nächste Befürchtung an: Führt die Abschaffung der Meisterpflicht zu einem Qualitätsverlust? „Wir sind vielleicht auf dem Weg dahin“, sagt Lustig. Auf den Weiterbildungen der Innungen habe er selten einen der neuen Soloselbständigen gesehen. Hinzu kommt, dass die Zahl der Lehrlinge immer weiter zurückgeht. „Das Knowhow muss ja an irgendjemanden weitergegeben werden“, sagt Lustig. Aktuell gibt es im Fliesenlegerhandwerk gut 2.000 Lehrlinge. Bestandene Meisterprüfungen haben sich zuletzt auf einem schwachen Niveau von jährlich rund 100 eingepegelt.

„Das Qualifikationsniveau ist erheblich gefallen“, warnt IFH-Geschäftsführer Klaus Müller. Die Ursache sieht er aber nicht allein in der fehlenden Meisterpflicht: Die Krise am Bau Mitte der Neunziger Jahre, demografische Faktoren, mehr Jugendliche mit Abitur – all das trage eine Mitschuld. „In den Neunzigern gab es noch über 9.000 Auszubildende im Fliesenlegerhandwerk“, sagt Müller, „schon vor Abschaffung der Meisterpflicht waren es nur noch 3.500.“

„Das wirklich Schlimme ist, dass sich jeder selbstständig machen darf ohne überhaupt etwas gelernt zu haben“, sagt Fliesenleger Thomas Wulf. „Da ist der Kunde der Dumme, weil der null Fachkraft bekommt.“ Wulf ist selbstständiger Geselle in Oldenburg, bildet aktuell einen Lehrling aus.

Mit der Situation ohne Meisterpflicht arrangiert

Die Abschaffung der Meisterpflicht hält er für einen großen Fehler. Auch wenn er davon profitiert hat, aus der Not heraus: „Die großen Firmen gingen baden, also habe ich als Altgeselle reagiert und mich selbständig gemacht.“ Das nötige unternehmerische Wissen zu Kalkulation und Buchhaltung hat Wulf bei seiner militärischen Meisterausbildung zum Rechnungsführerfeldwebel erworben. „Wer so etwas nicht hat, geht baden“, sagt der Geselle.

Die Sorge, die Billigkonkurrenz könne eine ernsthafte Gefahr für durchkalkulierte Preise sein, hat sich bei dem Unternehmer indes gelegt. Das sei anfangs der Fall gewesen. Nun aber kehre sich der Trend um. „Ich bin ausgebucht bis August, so geht es auch vielen Kollegen – und die Preise gehen hoch“, sagt Wulf.

So haben sich die Betriebe mit der fehlenden Meisterpflicht weitgehend arrangiert. Die Auswirkungen auf die Zukunft ihres Handwerks aber sehen sie negativ. (wie andere Leser die Situation beurteilen, lesen Sie hier)

Wie weiter mit dem Meister?

Ähnlich beurteilt es IFH-Geschäftsführer Klaus Müller: Die positiven Effekte, die sich die verantwortlichen Politiker durch die Abschaffung des Meisters versprochen haben, seien ausgeblieben. „Weniger Regulierung sollte zu mehr Innovation und sozialversicherungspflichtig Beschäftigten führen. Dieses Ziel wurde klar verfehlt“, sagt Müller. Stattdessen sei die Zahl der abhängig Beschäftigten rückläufig.

„Die Fliesenleger beklagen, dass ihnen die nötigen Gesellen fehlen, um Innovationskraft aufzubauen.“ Die Humankapitalbildung sei rückläufig: weniger Lehrlinge, weniger Gesellen, weniger Meister. „Das Handwerk bildet auch für die Industrie und den Großhandel aus“, sagt Müller, „auch hier besteht ein Bedarf an ausgebildeten Fliesenlegern.“

Was würde nun helfen? Eine sofortige Rückkehr zur Meisterpflicht? „Das würde neue Probleme geben“, sagt Müller. Den aktuell Selbständigen müsse wohl Bestandsschutz gewährt werden. Höhere Ausbildungszahlen könne es auch nicht so schnell geben. Dazu sei die Zahl der Meister zu gering. Er plädiert für eine zusätzliche Qualifizierung. „Vor allem braucht es jetzt Anreize, die die Zahl der Lehrlinge und Meisterprüfungen erhöhen.“

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