Auf einen Blick:
- Ein Urteil des Finanzgerichts Münster zeigt, wohin die Reise bei der Betriebsprüfung geht: Finden Betriebsprüfer formelle Verstöße gegen die Grundsätze der digitalen Buchführung (GoBD), dann sind die Betriebe in der Beweislast. Sie müssen nachweisen, dass ihre digitalen Daten nicht manipulierbar sind. Doch so ein Nachweis ist faktisch unmöglich.
- Praktische für Betriebsprüfer: Finden sie formelle Mängel, dann können sie relativ schnell die Buchhaltung verwerfen und die Steuern schätzen. Dafür können schon fehlende Protokolldateien sowie fehlende oder unvollständige Dokumentationen genügen.
- Die Folge: Der Fiskus sucht ganz gezielt nach solchen Fehlern, um schneller abzukassieren.
- Wie können sich Betriebe gegen Steuerschätzungen schützen? Indem sie möglichst sauber alle Prozesse wie auch Programmänderungen dokumentieren, Mitarbeiter schulen und ihre Abläufe regelmäßig von unabhängigen Dritten überwachen lassen.
Betriebsprüfer der Finanzämter konzentrieren sich zunehmend auf die Suche nach formellen Fehlern. Den Grund kennt Steuerberater Michael de Beer von der Kanzlei Gehrke Econ: „Im Vergleich zu materiellen Fehlern, ist der Nachweis formeller Mängel relativ einfach – vor allem nach den Grundsätzen der digitalen Buchführung.“ Es genüge zum Beispiel schon, wenn die Verfahrensdokumentation fehlt oder unvollständig ist. „Dann können Betriebsprüfer schneller und einfacher die komplette Buchhaltung verwerfen und Steuern hinzuschätzen.“
Anders bei materiellen Fehlern, wenn ein Betrieb zum Beispiel in einer Rechnung den falschen Umsatzsteuersatz ausgewiesen hat: Das Ausmaß solcher Fehler müssen die Betriebsprüfer über den Einzelfall hinaus belegen, zum Beispiel durch Nachkalkulationen und Geldverkehrsrechnungen. „Das ist trotz der Digitalisierung vergleichsweise aufwendig“, sagt de Beer.
GoBD soll Manipulation verhindern
Die Suche nach formellen Mängeln in der Betriebsprüfung ist nicht neu. Dass ihre Bedeutung zunimmt, hat zwei Gründe:
- Beweisnot der Prüfer: Die Manipulation digitaler Daten lässt sich oft nur schwer beweisen. Um gar nicht erst in diese Verlegenheit zu kommen, hat die Finanzverwaltung mit den GoBD den Spieß umgedreht: Ihre Regeln machen Manipulationen nahezu unmöglich. Folglich müssen Betriebsprüfer nicht auf Manipulationen achten, sondern auf die Einhaltung der formellen GoBD.
- Praxis in den Betrieben: Genau da sind viele Betriebe angreifbar. Sie digitalisieren zwar ihre Prozesse, Aufzeichnungen und Belege, beachten jedoch die Dokumentationspflichten oft nicht genügend.
Welche formellen Vorschriften müssen die Betriebe beachten? Das schreiben die GoBD genau vor:
- Dokumentation:. Dazu zählen unter anderem Handbücher und Programmieranleitungen, die Verfahrensdokumentation wie auch Protokolle zu Programmänderungen und Updates.
- Vollständigkeit: Alle für einen Geschäftsvorfall notwendigen Informationen sind vollständig und lückenlos aufzuzeichnen.
- Nachvollziehbarkeit: Die Eingabe und Verarbeitung von Daten zu einem Geschäftsvorfall muss für einen Dritten relativ einfach nachvollziehbar und nachprüfbar sein.
- Lesbarkeit und Auswertbarkeit: Betriebe müssen sicherstellen, dass Daten während der gesamten Aufbewahrungsfrist les- und auswertbar sind.
- Unveränderbarkeit: Aufzeichnungen und Belege dürfen nach der Eingabe nicht spurlos löschbar sein. Dateneingaben und Änderungen müssen lückenlos dokumentiert und nachvollziehbar sein.
Urteil: Fehlende Programmierprotokolle sind Grund für Schätzung
Wie wichtig eine lückenlose Dokumentation gemäß GoBD ist, zeigt ein aktuelles Urteil des Finanzgerichts Münster:
Der Fall: Es ging um das PC-gestützte Kassensystem eines Friseursalons: In einer Betriebsprüfung hatte das Finanzamt eine Reihe materieller Fehler gefunden. Unter anderem bemängelte der Fiskus nicht nummerierte Kassenberichte, unvollständig aufbewahrte Gutscheine und fehlende Rechnungsnummern. Hinzu kam ein formeller Fehler, die Protokolle über die Einrichtung und Programmierung des Kassensystems fehlten. Die Folge: Der Fiskus wollte schätzen.
Das Urteil: Schon die fehlenden Protokolle seien Grund genug für eine Schätzung, meint das Finanzgericht: „Bei der Nutzung programmierbarer elektronischer Kassensysteme stellt das Fehlen der Programmierprotokolle einen gewichtigen formellen Kassenführungsmangel dar, der jedenfalls bei bargeldintensiven Betrieben zu Hinzuschätzungen berechtigt“, entschieden die Richter. (FG Münster, Urteil vom 29. März 2017, Az. 7 K 3675/13)
Für Steuerberater Michael de Beer ein klares Signal, dass Betriebe ihre Dokumentationspflichten ernst nehmen sollten. „Das ist zwar nur ein erstes Urteil, aber es zeigt deutlich, was passieren kann, wenn die GoBD nicht eingehalten werden.“ Die Risiken bestünden nicht nur bei Kassensystemen, sondern bei allen steuerrelevanten digitalen Systemen.
Unter Manipulationsverdacht: Betriebe bei GoBD in der Beweislast
Mit den GoBD steigen nicht nur die Anforderungen an die Dokumentation. Auch die Beweislast scheint sich zu ändern. „Die Unschuldsvermutung kippt leider ein Stück weit zu Lasten der Steuerpflichtigen“, sagt Steuerberater Michael de Beer. „Die Finanzverwaltung muss eine Manipulation nicht mehr konkret beweisen. Jetzt muss der Steuerpflichtige beweisen, dass sein System nicht manipulierbar ist.“
Auch das zeige das Urteil des Finanzgerichts Münster: In dem Fall wollte der Friseur den Vorwurf fehlender Programmierprotokolle für sein Kassensystem mit dem Einwand abwehren, dass seine Kasse gar nicht manipulierbar sei. Die Richter hielten entgegen: Dieses Argument greife nur, wenn der Steuerpflichtige das auch beweisen kann.
Tatsächlich kam ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger zu dem Ergebnis, dass eine Manipulation der Kasse schwierig, aber machbar sei. Dazu das Gericht: Es komme nicht darauf an, mit welchem Aufwand eine Kassenmanipulation möglich ist. Entscheidend sei vielmehr, dass sie überhaupt möglich ist. Ob der Friseur in diesem Fall Manipulationen vorgenommen hat, sei dann unerheblich und müsse vom Finanzamt nicht nachgewiesen werden.
Für Steuerberater de Beer zeigt das Urteil, dass Steuerpflichtige im Streitfall künftig wohl in der Beweislast sind. Doch wie soll das funktionieren, da es faktisch keine zu 100 Prozent manipulationssicheren Systeme gibt?
Tipps: So vermeiden Sie den Vorwurf formeller GoBD-Mängel!
Dank der GoBD können Betriebsprüfer formelle Mängel leicht begründen. „Darum ist es wichtig, dass sich Betriebe frühzeitig mit Munition versorgen“ sagt Steuerberater Michael de Beer. Das Ziel sei es, den Prüfer von der Richtigkeit und Vollständigkeit der Buchführung zu überzeugen.
Überzeugen könnten Betriebe den Fiskus mit folgenden Maßnahmen:
- Verfahrensdokumentation: Dokumentieren Sie alle steuerlich relevanten Prozesse. Wie kommen zum Beispiel Rechnungen an – per Post, E-Mail, Fax …? Wer bearbeitet sie und wie gelangen sie in die EDV? Dafür gibt es eine Musterdokumentation der Arbeitsgemeinschaft für wirtschaftliche Verwaltung e.V.
- Richtlinien und Schulungen: Definieren Sie Richtlinien für solche Prozesse und schulen Sie Mitarbeiter dementsprechend. Dokumentieren Sie Richtlinien und Schulungen.
- System-Dokumentation: Archivieren und dokumentieren Sie alle Informationen und Handbücher zur Erstinstallation von Software und EDV-Systemen wie auch zu Schnittstellen zwischen verschiedenen Systemen und zu Software-Updates.
- Laufende Kontrollen: Überprüfen Sie regelmäßig, ob Dokumentation und Abläufe noch übereinstimmen. Dokumentieren Sie die Kontrollen und Änderungen.
- Stichproben vom Experten: Lassen Sie Ihren Steuerberater oder einen Wirtschaftsprüfer regelmäßig Stichproben durchführen, ob die definierten Prozesse eingehalten werden.
„So kann man dem Vorwurf formeller Mängel vorbeugen“, sagt de Beer. Und ohne formelle Mängel dreht sich der Spieß wieder um: Dann ist der Betriebsprüfer in der Beweislast.
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