Auch (kleine) Mädchen können Handwerk. Vor allem, wenn sie früh positive Erfahrungen machen.
Foto: A.KaZaK - stock.adobe.com
Auch (kleine) Mädchen können Handwerk. Vor allem, wenn sie früh positive Erfahrungen machen.

Inhaltsverzeichnis

Fachkräftemangel

Zu spät: Nachwuchssuche muss im Kindergarten anfangen

Kleine Kinder interessieren sich für alles. Erst später verlieren sie die Lust an der Technik – vor allem Mädchen. Fachkräftesuche sollte daher im Kindergarten starten, meinen Experten.

Auf einen Blick:

  • Handwerker finden keinen Nachwuchs. Das liegt auch daran, dass sich zu wenige Mädchen für eine Ausbildung im Handwerk interessieren.
  • Die klassische Berufsberatung, die in der Mittelstufe einsetzt, kommt dafür zu spät. In dem Alter haben sich Klischees über Berufe und Fähigkeiten bei den Jugendlichen schon verfestigt
  • Mit der Suche nach Nachwuchs sollten Handwerker deshalb am besten schon im Kindergarten beginnen.
  • Wer früher gezielt Mädchen ansprechen will, sollte zudem auf weibliche Vorbilder setzen.

Ob Elektro-, Dachdecker- oder Sanitärhandwerk: Frauen sind in den typischen Männerberufen auf dem Bau oder in der Werkstatt nicht oft zu finden. Betriebe, die gezielt junge Frauen anwerben wollen, stellen schnell fest: Es braucht schon mehr als nur ein bisschen Glück, damit sich eine weibliche Auszubildende unter die Jungs mischt.

Unter den bei Mädchen beliebtesten Berufen sind nur zwei Handwerksgewerke

Dabei wird der weibliche Nachwuchs dringend gebraucht. Gerade Gewerke, die die Energiewende mitgestalten, wären dringend darauf angewiesen, mehr Mädchen für sich zu begeistern.

An Bemühungen auf allen Ebenen mangelt es nicht. Berufsberater, Kreishandwerkerschaften, Handwerkskammern und Betriebe werben mit den verschiedensten Aktionen um die Schülerinnen.

Doch bislang bleibt der Erfolg aus. Laut Statistischem Bundesamt waren 2021 unter den 20 beliebtesten Ausbildungsberufen für Mädchen nur zwei handwerkliche: Friseurin auf Platz 7 und Augenoptikerin auf Platz 17. Insgesamt entfielen fast 70 Prozent der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit jungen Frauen auf diese 20 Berufe.

Mädchen im Handwerk: „Frauen aus Überzeugung fördern“

Elektro Barth in Emden beschäftigt sechs Auszubildende – und zum ersten Mal ist auch eine junge Frau darunter.
Artikel lesen

Die Berufsberatung kommt zu spät

Woran liegt das? Katharina Drummer vom Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb), sieht vor allem einen Grund: Die Bemühungen um die Mädchen kommen zu spät. „Die klassische Berufsberatung setzt in der 8. Klasse an. Da ist aber die gesellschaftliche Zuschreibung, welche Arbeiten männlich oder weiblich sind, längst erfolgt.“ In der Grundschule oder sogar im Kindergarten gebe es aber keine institutionalisierte Berufsorientierung, sondern lediglich Leuchtturmprojekte oder das Engagement einzelner.

„Es gibt zu wenig Angebote zur Berufsorientierung in der Grundschule oder im Kindergarten“, sagt Wissenschaftlerin Katharina Drummer
Foto: Forschungsinstitut Betriebliche Bildung (f-bb) gGmbH
„Es gibt zu wenig Angebote zur Berufsorientierung in der Grundschule oder im Kindergarten“, sagt Wissenschaftlerin Katharina Drummer

[Tipp: Weitere Tipps zur Mitarbeitergewinnung  für Ihren Betrieb liefert der kostenlose handwerk.com-Newsletter: Jetzt anmelden!]

Leuchtturmprojekt: „Kleine Hände, große Zukunft“

Der bundesweite Wettbewerb „Kleine Hände, große Zukunft“ des Vereins Aktion Modernes Handwerk (AMH) ist so ein Leuchtturmprojekt. Kita-Kinder besuchen Handwerksbetriebe im Ort, basteln danach ein großes Poster mit ihren Erlebnissen und schicken es an eine Jury. Die schönsten werden mit 500 Euro für ein Kita-Fest oder einen Aktionstag „Handwerk“ prämiert.

„Kleine Kinder sind von Natur aus Handwerker, sie wollen alles im wahrsten Sinne des Wortes erfassen – unabhängig ob Junge oder Mädchen“, sagt Ruxandra Ciocoiu. Sie betreut bei der AMH den Wettbewerb, den es bereits seit zehn Jahren gibt. Häufig schickten die Kita-Gruppen auch eine Dokumentation ihres Besuches mit. „Da sieht man bei allen leuchtende Augen, vor allem, wenn die Kinder selbst viel mitmachen dürfen“, so Ciocoiu.

Hilft mehr Mathematikunterricht?

Doch später flaut das Interesse der Mädchen an technischen oder naturwissenschaftlichen Themen ab. Es wieder zu wecken, scheint nicht einfach zu sein. Baden-Württemberg beschloss 1999, die Stundenzahl im Unterrichtsfach Mathematik in der gymnasialen Oberstufe zu erhöhen. Die Idee: Mehr Mathematikunterricht würde gerade Mädchen das Grundwissen für ein Studium in einem der MINT-Fächer vermitteln und sie dorthin lenken.

Leider zeigte sich: Zwar holten die Mädchen auf, was den zuvor festgestellten Leistungsrückstand anging, aber die Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten hielt damit nicht Schritt. Im Gegenteil: Sie schätzten ihre Fähigkeiten sogar niedriger ein als vorher. Und während sich mehr Jungen für ein MINT-Studium entschieden, war das bei den Mädchen nicht der Fall.

„Wer schlechte Erfahrungen macht, verliert das Interesse“

Den Neurobiologe Gerald Hüther wundert das nicht. „So macht man die Mädchen zum Objekt: Ihnen mehr von dem zu geben, was sie für unsinnig oder uninteressant halten, löst eine Abwehrreaktion aus.“

„Dinge, mit denen Kinder schlechte Erfahrungen machen, verschwinden aus dem Interesse“, sagt Neurobiologe Gerald Hüther.
Foto: Michael Liebert / www.gerald-huether.de
„Dinge, mit denen Kinder schlechte Erfahrungen machen, verschwinden aus dem Interesse“, sagt Neurobiologe Gerald Hüther.

Auch er hält den Ansatz, Mädchen erst in den weiterführenden Schulen für Technik oder Handwerk begeistern zu wollen, für viel zu spät. „Am Anfang ihres Lebens sind Kinder offen und lernen alles gerne. Doch dann rücken bestimmte Dinge in den Fokus des Interesses, andere werden weniger wichtig. Und die, mit denen die Kinder schlechte Erfahrungen machen, verschwinden ganz.“

Mehr bauen in der Grundschule, mehr Anerkennung für Handwerker

Wo, wie und wann kann man also ansetzen, um mehr Mädchen für technische Berufe zu interessieren? „Wenn es gelänge, in der Grundschule mehr zu bauen, die Kinder Dinge selbst herstellen zu lassen, dann bräuchte sich kein Handwerker mehr Gedanken um fehlenden Nachwuchs zu machen“, ist Hüther überzeugt. Außerdem müsse die Gesellschaft denen mehr Anerkennung und sozialen Status zuerkennen, die mit den Händen arbeiten – ein langer Weg.

Weibliche Talentscout als Vorbilder in die Schule

Auf den gesellschaftlichen Wandel will Katharina Drummer nicht warten – und geht einen anderen Weg. In einem gemeinsamen Projekt des f-bb mit den Handwerkskammern Oberfranken und Niederbayern/Oberpfalz sollen gezielt Mädchen für handwerkliche Berufe interessiert werden.

Dabei setzen die Wissenschaftlerinnen des f-bb auf Vorbilder: Zwei junge Frauen kommen als „Talentscouts“ in die weiterführenden Schulen. Sie sorgen für praktische Berufsorientierung, zum Beispiel basteln sie Handyhalterungen mit den Schülerinnen. Unterschiedliche Berufsbilder können in digitalen Schnitzeljagden entdeckt werden. Die Scouts sind auch Ansprechpartnerinnen für Betriebe, die verstärkt nach Mädchen suchen.

Vorurteile abbauen bei Lehrern und Eltern

Außerdem werden Lehrer und Eltern einbezogen. „Es gibt viele Vorurteile gegenüber dem Handwerk“, sagt Drummer. „Auch bei Lehrern und Eltern, die einen großen Einfluss auf die Berufswahl haben. Wir räumen sie aus.“

In der Praxis bedeutet das: Elternabende, Infonachmittage, Ausflüge in Betriebe und die Vermittlung von Praktika. „Die Schulen wissen oft gar nicht, welche Betriebe es in der Region gibt.“ Deshalb ist ein wichtiges Ziel des Projektes die bessere Vernetzung von Schulen und Betrieben.

Noch bis Oktober 2023 läuft das vom Land Bayern geförderte Projekt. Dann wird sich zeigen, wie stark das Interesse der Mädchen gewachsen ist. „Wir wollen eine klischeefreie Berufsberatung unterstützen“, sagt Drummer. Die Betriebe seien bereit, neue Wege zu gehen. Fehlen nur noch die Frauen.

Tipp: Sie wollen alle wichtigen Meldungen zum Thema Mitarbeitergewinnung erhalten? Dann abonnieren Sie den handwerk.com-Newsletter. Jetzt anmelden!

Auch interessant:

3 Gründe: Darum gehen Azubis ins Handwerk

Eine Studie zeigt: Spaß, Sicherheit und guter Verdienst sind die wichtigsten Gründe, eine handwerkliche Ausbildung zu beginnen. Und was spielt keine Rolle?
Artikel lesen

Erfolgsrezept mit Frauenpower

In der Schreinerei Schlingmann haben nicht nur Männer das Sagen. Und das ist gut so. Mitgeschäftsführerin Ina Trautmann weiß, was es braucht, damit ein Handwerksbetrieb für Frauen attraktiv wird.
Artikel lesen

„Frauen verbessern das Betriebsklima“

Vorurteile gegenüber Frauen sind überholt, findet Meister Hermann Schenk. Er schätzt Frauen im Team – aus mehreren Gründen.
Artikel lesen

Frustriert von der Mitarbeitersuche?

handwerk.com und die Schlütersche helfen Ihnen Ihre offenen Stellen einfach, zeit- und kostensparend mit den richtigen Kandidaten zu besetzen! Mehr als 500 Betriebe vertrauen uns bei der Mitarbeitersuche!

Jetzt Bewerber finden!

Wir haben noch mehr für Sie!

Praktische Tipps zur Betriebsführung und Erfahrungsberichte von Kollegen gibt es dienstags und donnerstags auch direkt ins Postfach: nützlich, übersichtlich und auf den Punkt.
Melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an - schnell und kostenlos!
Wir geben Ihre Daten nicht an Dritte weiter. Die Übermittlung erfolgt verschlüsselt. Zu statistischen Zwecken führen wir ein anonymisiertes Link-Tracking durch.
Neben einigen Stolpersteinen ist die Mitarbeiterbindung für Christine Knopf ein Argument für die 4-Tage-Woche.

Pro und Contra

4-Tage-Woche: „Größte Hürde ist die Baustellenplanung“

Für Mitarbeitende ist die 4-Tage-Woche in diesem Betrieb ein Angebot. Für die Inhaber erhöht sie vor allem den Planungsaufwand. Vorteile gibt es bei der Fachkräftesuche.

    • Personal
Entspannte Mütter, entspannte Kinder: Attraktiv für Frauen mit Familien sind Arbeitgeber dann, wenn sie flexible Arbeitszeiten anbieten.

Ideen sind gefragt

4 Tipps: So werden Betriebe attraktive Arbeitgeber für Mütter

Flexible Arbeitszeiten, Kinderbetreuung, Ferienaktionen: Darauf sollten Betriebe setzen, die Mütter beschäftigen wollen. Doch auch andere Kleinigkeiten machen den Unterschied.

    • Personal
Bundestagsbeschluss: Ab 1. Juli 2023 steigt der Beitragssatz zur Gesetzlichen Pflegeversicherung auf 4 Prozent für Kinderlose, Eltern zahlen zwischen 3,4 und 2,4 Prozent.

Personal

Pflegeversicherung: Beiträge sollen zum 1. Juli 2023 steigen

Grünes Licht vom Bundestag für die Pflegereform: Wie viel Versicherte künftig für ihre Pflegeversicherung zahlen, hängt davon ab, wie viele Kinder sie haben.

    • Personal, Unternehmensfinanzierung
Gemeinsame Zeit ist wichtig für Vater und Kind: Wenn Sie beide Freude am Kicken haben, können Sie zum Beispiel zusammen Fußball spielen.

Work-Life-Balance

Zeit für den Betrieb und die Kinder: Wie geht das?

Sie führen einen Handwerksbetrieb und haben wenig Freizeit: 9 Tipps, wie Sie als Betriebsinhaber trotzdem Zeit für Ihre Kinder finden.

    • Work-Life-Balance