Leiten die Kiez-Tischlerei Ißleib (v.l.): die Geschwister Imanuel und Theresa Ißleib.
Foto: Denny Gille
Leiten die Kiez-Tischlerei Ißleib (v.l.): die Geschwister Imanuel und Theresa Ißleib.

Holzhelden

Die Marktnischen der Kieztischler

Das Ökosystem Kiez hat seine speziellen Bedürfnisse und Eigenheiten. Die Berliner Kieztischlerei Ißleib ist im Hinterhof zu Hause und weiß auf diese Bedürfnisse einzugehen.

  • Ein echter Kieztischler orientiert sich an den Bedürfnissen seines Umfelds. Bei der Tischlerei Ißleib ist das der Berliner Altbau.
  • Zum Beispiel mit exakten Nachbauten alter Fenster, Türen und Möbel besetzt der Betrieb eine Nische für hohe Qualitätsansprüche.
  • Die Geschwister Theresa und Imanuel Ißleib führen das Unternehmen gemeinsam. Sie legen Wert auf gute Kommunikation, gutes Miteinander und gute Ausbildung.

Jede Stadt hat ihre Geheimnisse. Unzählige Orte, die von jenen unbemerkt bleiben, die hektisch durch die Häuserschluchten jagen. Nur wer auf seinem Weg kurz innehält, kann sie fernab des Straßenlärms entdecken: die Innenhöfe hinter den Stadtfassaden. Hier gibt es Spielplätze, Gärten, Läden und manchen Handwerksbetrieb. So wie die Berliner Tischlerei Ißleib, die nur ein paar Schritte von der Potsdamer Straße entfernt hinter einer langen, schmalen Hofeinfahrt liegt. „Wir sind eine typische Kieztischlerei“, sagt Imanuel Ißleib, der den Familienbetrieb gemeinsam mit seiner Schwester Theresa Ißleib leitet. Gemeinsam bestimmen die Geschwister die Ausrichtung des Unternehmens. „Es tut gut, zu zweit zu sein, die Verantwortung aufteilen zu können und sich mal vertrauensvoll austauschen zu können", sagt Theresa Ißleib .

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Frischer Wind im Familienbetrieb

Theresa Ißleib im Büro des Unternehmens. Die Gestalterin im Handwerk erstellt unter anderem 3D-Visualisierungen, um Kunden zu überzeugen.
Foto: Denny Gille
Theresa Ißleib im Büro des Unternehmens. Die Gestalterin im Handwerk erstellt unter anderem 3D-Visualisierungen, um Kunden zu überzeugen.

2015 hat Vater Ernst Helmut Ißleib das Unternehmen schrittweise in die Hände seiner Kinder gegeben. 2020 übernahm Imanuel Ißleib die Geschäftsführung. Frischen Wind bringen die Geschwister unter anderem beim Thema Digitalisierung, Marketing und Ausbildung in das Unternehmen. Zugleich wollen sie manch alte Tugend erhalten.

Als echter Kieztischler orientiert sich das Unternehmen stark an den Bedürfnissen seines Umfelds. „Der Berliner Altbau ist unser Thema“, sagt Holztechniker Imanuel Ißleib. „Wir sanieren und renovieren alte Türen, Kastendoppelfenster, machen Komplettnachbauten und erweitern alte Bauarten mit modernen Sicherheitsfunktionen wie Stahlverstärkungen und Sicherheitsbeschlägen.“ Das Angebot passe zum aktuellen Trend, Altes zu erhalten – und die Tischler besetzen darin eine Nische für hohe Qualitätsansprüche. „Wir haben die Kunden, die auf den Millimeter genau schauen, dass das nachgebaute Profil mit dem Original identisch ist“, erklärt Ißleib.

Die Nische im Altbau

Frisch eingetroffen: diese Bohlen werden gekürzt und eingelagert. 
Foto: Denny Gille
Frisch eingetroffen: diese Bohlen werden gekürzt und eingelagert. 

Zu den wichtigsten Kunden des Betriebs zählen private Auftraggeber, Architekten und Hausverwaltungen. „Wer Eigentum an einer Hauptstraße erworben hat, wünscht bei einer Fensteraufarbeitung neben dem Wärmeschutz häufig auch bessere Schallschutzeigenschaften“, sagt Ißleib. Und wenn alles Alte schon nicht mehr existiert, schaut der Betrieb, ob es für den originalgetreuen Nachbau noch Vorbilder aus Nachbarwohnungen gibt.

Im Hansaviertel, der internationalen Bauaustellung Berlin 1957, sollte der Betrieb zuletzt originalgetreue Möbel für einen Privatkunden anfertigen. „Hier hatten wir Glück, dass der Kunde vom Denkmalamt die Baupläne des Architekten des Hauses bekommen hat“, erzählt Theresa Ißleib. In den Plänen waren die Möbel, Nischeneinbauschränke mit Detailzeichnungen und Angaben zu alten Dekoren, Beschlägen und Griffmuscheln dabei. „Die haben wir direkt mit angefertigt“, ergänzt sie.

Der Möbelbau ist ein aufstrebendes Geschäftsfeld der Tischler. Und die Gestalterin im Handwerk hilft mit ihren 3D-Visualisierungen, Kunden dafür zu begeistern.

Mut zur Handarbeit

Schöner Schliff: Altgeselle Andre Henning bearbeitet eine Tischplatte. 
Foto: Denny Gille
Schöner Schliff: Altgeselle Andre Henning bearbeitet eine Tischplatte. 

In der Werkstatt ist aber vieles noch Handwerk:  Gerade tragen zwei Mitarbeiter eine frische Lieferung vom Hof durch die Werkstatt in einen weiteren kleinen Außenbereich: Ein kompletter Nadelbaum wird hier Bohle für Bohle eingeholt, gekürzt und eingelagert. Im Lackierraum des Betriebs lagern ein paar frisch geölte Tischplatten aus Esche. Weitere bearbeitet Altgeselle Andre Hennig gerade mit feinkörnigem Schleifpapier in der Werkstatt. Eine CNC-Maschine gibt es hier nicht. „Dafür haben wir einfach keinen Platz“, sagt Imanuel Ißleib.

Dass die Kieztischler ihr Handwerk vor allem von Hand machen, scheint bei den Fachkräften gut anzukommen. Zuletzt hat der Betrieb zwei neue Mitarbeiter eingestellt. Einer von ihnen konnte mit 30 Jahren Berufserfahrung spürbar die Produktivität steigern.

Azubis im Ausland

Die Werkstatt bietet alles, was Massivholzbearbeitung braucht. In der Tischlerei lernen Azubis das komplette Handwerk. 
Foto: Denny Gille
Die Werkstatt bietet alles, was Massivholzbearbeitung braucht. In der Tischlerei lernen Azubis das komplette Handwerk. 

„Wir bekommen auch viel Resonanz auf unser Ausbildungsangebot“, erzählt Theresa Ißleib. Die Chefs legen Wert darauf, dass die Auszubildenden bei ihnen das komplette Handwerk lernen. Und der Betrieb ermutigt die Azubis zum Blick über den Tellerrand, erklärt ihr Bruder: „Wir haben gerade einen Azubiaustausch über das Erasmus-Programm der EU ausprobiert.“ Die Idee kam vom Azubi Manuel selbst. Seinen zweimonatigen Austausch Ende 2021 verbrachte er bei einer Tischlerei in Portugal, wo er die Arbeit mit Drechselbank und CNC-Fräse kennenlernte und einige Restaurierungsprojekte durchgeführt hat. Im Gegenzug bekam die Tischlerei Ißleib Austauschlehrling Ole aus Norwegen. „Für uns war das eine tolle Erfahrung: Man erfährt, wie so eine Ausbildung anderswo abläuft und bekommt eine aufschlussreiche externe Perspektive auf das eigene Unternehmen“, sagt der Imanuel Ißleib..

Bei der Ausbildung verfolgt der Betrieb einen modernen Ansatz aus Eigenverantwortung und Förderung der handwerklichen Stärken. „Wir geben unseren Azubis eigene Projekte und übertragen ihnen auch Verantwortung“, erzählt Theresa Ißleib. So war Azubi Alex bereits im ersten Lehrjahr für den Montagewagen verantwortlich – explizit mit der Genehmigung, Kollegen auf Versäumnisse anzusprechen, wenn sie ihn nicht ordnungsgemäß hinterlassen haben. „Insgesamt leben wir hier ein schönes Miteinander. Wir verbringen die Pausen zusammen und gehen offen miteinander um“, sagt Theresa Ißleib.

Vom Fluch und Segen des Alten

Fluch und Segen: die gut sortierte große Auswahl alter Beschläge und anderer Materialien. 
Foto: Denny Gille
Fluch und Segen: die gut sortierte große Auswahl alter Beschläge und anderer Materialien. 

Künftig will der Betrieb weiter an seiner Ausrichtung feilen. Alte Leistungen wie Klein-Reparaturen wollen die Ißleibs stärker zurückfahren,  um unter anderem den Möbelbau und die Bauelemente zu stärken. Und dann ist da noch die Frage, was mit den alten Schubkästen im Durchgang zwischen Büro und Werkstatt passieren soll.

Die stammen aus der Sammelleidenschaft des Vaters und beinhalten eine gut sortierte große Auswahl an alten Beschlägen und anderen Materialien, die über Jahrzehnte bei Renovierungen abfielen. „Für uns ist es Fluch und Segen zugleich“, sagt Theresa Ißleib. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sei es ein Fehler, Dinge 20 Jahre aufzuheben, bis sie vielleicht gebraucht werden. „Aber das schöne Gefühl jemandem im Kiez mit dem richtigen Teil geholfen zu haben, überwiegt das manchmal.“ Und irgendwie passt das ja auch zum Image eines waschechten Kieztischlers im Hinterhof.

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