Auf einen Blick:
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Kölner Elektrotechnikbetrieb bildet „über Kapazität“ aus, um den Personalbedarf zu decken
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Neu im Team: Omar, Syrer, 19 Jahre alt
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Wer einen Flüchtling einstellen will, sollte sich an einen Bildungsträger wenden, rät die Unternehmerin Laura Günther
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Im Fall der Fälle zieht Günther während der Probezeit die Reißleine
Das Gespräch beginnt ungewöhnlich. Auf die Frage, ob sie etwas Zeit für ein Telefonat habe, antwortet die Unternehmerin Laura Günther: „Ja, noch 3 Tage.“
handwerk.com: „3 Tage?“
Günther: „Ich bin schwanger, das ist der errechnete Geburtstermin. (lacht) Danach falle ich bestimmt für einige Tage aus.“
handwerk.com: „Gut, das sollte gehen, ich dachte eher an 15 Minuten. Und im Prinzip geht es auch um den Nachwuchs. Sie bilden einen jungen Syrer aus. Warum?“
Günther: „Wir bilden sogar zwei Flüchtlinge aus. Warum? Es gibt nicht den einen Grund, hoffentlich schaffen wir das Thema bis zur Geburt. Um welchen der beiden geht es denn?“
handwerk.com: „Um Omar. Omar Sheikh Khamiis.“
„Viele deutsche Bewerber unmotiviert“
Das „Elektrohaus Bernhard Günther“ ist ein alteingesessener Betrieb in Köln, Laura Günther leitet ihn gemeinsam mit ihrem Bruder Martin. Auf der Homepage der Firma sind unter dem Stichpunkt „Unser Team“ Einträge zu finden, die fast wie Hilferufe klingen: „Mitarbeiter gesucht.“ „Wir suchen regelmäßig ausgebildete Elektrotechniker, die flexibel einsetzbar sind.“ „Wir sind ständig auf der Suche nach den besten Mitarbeitern.“
Laura Günther wollte für das neue Ausbildungsjahr „eigentlich nur einen Flüchtling“ einstellen, aber: „Omar hat einen guten Eindruck gemacht, er kam motiviert rüber.“
Und das ist eine Eigenschaft, die Günther „bei vielen deutschen Bewerbern fehlt“.
„Müssen über Kapazität ausbilden“
Der Betrieb beschäftigt um die 20 Mitarbeiter, allein 7 davon sind Auszubildende. Das ist noch nicht genug? „Nein, wir könnten immer noch mehr Leute einstellen, aber der Markt ist leer.“
Laura Günther freut sich vor allem über junge Elektrotechniker, die nicht „sofort nach der Ausbildung weggehen, die nicht studieren wollen, die nicht in die Industrie abwandern.“ Im Umkehrschluss bedeutet das für den Betrieb: „Wir müssen über Kapazität ausbilden, um den normalen Personalbedarf zu decken. Und vielleicht bleiben die Jungs ja bei uns, das ist die Hoffnung.“
Kein Glauben? In Syrien unmöglich!
Omar kam im Herbst 2015 nach Deutschland, damals war er 17 Jahre alt. Es ist eigentlich keine Information, die irgendjemanden etwas angeht, aber in seinem Fall ist sie wichtig: Omar ist Atheist. „Du darfst Christ sein, Du darfst Moslem sein. Aber keinen Glauben zu haben, das ist in Syrien unmöglich.“ Damit ist der Krieg in seinem Land nur einer der Gründe, die ihn zur Flucht bewegten. Omar hatte vor allem Angst vor Repressalien, weil er sich zu keiner religiösen Gemeinschaft bekennen mag.
Seine Leidenschaft ist der Rap. Bereits mit 12 hat er auf den Straßen der syrischen Hafenstadt Latakia die ersten Texte geschrieben, und offenbar hilft ihm sein Faible für Wortwitz, Beats und Reime auch in Deutschland.
Es ist ein Phänomen: Nach nicht einmal zwei Jahren in Deutschland tritt der 19-Jährige mit dem Künstlernamen „MC Omar aka Farrel“ in Kölner Clubs auf, er rappt gleichzeitig auf Deutsch und Arabisch. Videos über den Azubi und den Musiker sehen Sie hier.
An Bildungsträger wenden
„Omars Alltagsdeutsch ist ungewöhnlich gut“, sagt Laura Günther. Natürlich sei nicht jeder Jugendliche gleich sprachbegabt, die Mindestvoraussetzung für eine erfolgreiche Ausbildung ist aus Sicht der Unternehmerin das Sprachniveau A2: „Eigentlich eher B1.“
Ihr Tipp: Wer einen Auszubildenden sucht, sollte sich an einen der zahlreichen Bildungsträger in Deutschland wenden. Omar wird beispielsweise vom Integrationszentrum Kolping unterstützt. Günther: „Es ist für mich als Arbeitgeberin ein angenehmes Gefühl, wenn die Jugendlichen einen Betreuer an der Hand haben – vor allem, falls es Probleme gibt.“
Reißleine während der Probezeit ziehen
Probleme? Gutes Stichwort. Was würde denn passieren, wenn einer der syrischen Auszubildenden die Erwartungen nicht erfüllt?
„Dann ist es so wie mit jedem anderen Azubi, dann wird’s bitter“, sagt Laura Günther. Die Ausbildung beginne im Elektrohaus Bernhard Günther immer am 1. September: „Bei 4 Monaten Probezeit kann man sich leicht ausrechnen, wie schön es ist, jemanden kurz vor Weihnachten vor die Tür zu setzen.“
Die Gründe für ein vorzeitiges Ausbildungsende seien vielfältig. Die wichtigsten:
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dem Azubi fehlt das Auffassungsvermögen
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der Azubi ist kein Praktiker
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der Azubi passt nicht zu den anderen Mitarbeitern
„Ich kann einen Lehrling nicht nur zu dem einen Monteur schicken, mit dem er klarkommt“, weiß Laura Günther. Und es bringe nur Ärger ein, den Nachwuchs wider besseres Wissens durch die Ausbildung zu schleppen: „Das ist ein Krampf, ein Krampf über Jahre.“
Der jüngste Zuwachs im Elektrohaus Günther
Bei allen rationalen Gründen, die dafür sprechen, dass Laura Günther Flüchtlinge ausbildet: Die Unternehmerin will den jungen Männern einfach helfen. „Omar hat durch den Ausbildungsvertrag eine stärkere Position gegenüber den Behörden – er hat eine Zukunft in Deutschland.“
Übrigens: Es ist ein Mädchen! Lotte. 56 Zentimeter. 4040 Gramm.
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