Norbert Miesner hat Verantwortung abgegeben. Das Ergebnis:  „Wir werden immer besser durch gute Kommunikation und vorausschauendes Handeln“, sagt der Handwerksmeister.
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Norbert Miesner hat Verantwortung abgegeben. Das Ergebnis:  „Wir werden immer besser durch gute Kommunikation und vorausschauendes Handeln“, sagt der Handwerksmeister.

Inhaltsverzeichnis

Strategie

„Ich arbeite nicht mehr im, sondern am Betrieb“

Ein Team, das selbst die richtigen Entscheidungen trifft? Was sich mancher Chef im Handwerk wünscht, hat Norbert Miesner geschafft – mit 4 Gesellen und 2 Azubis.

  • Als die Arbeitsbelastung für ihn immer mehr stieg, zog Norbert Miesner die Reißleine und delegierte einen Teil der Verantwortung an sein Team.
  • Dank dieser Entscheidung führte der Handwerksmeister seinen Betrieb erfolgreich durch die Corona-Krise – weil er sich um neue Geschäftsfelder kümmern konnte.
  • Verantwortlich sind die Mitarbeiter für eigene Projekte, Werkstatt und Arbeitsvorbereitung. In den morgendlichen Besprechungen geht es nun um Verbesserungen: um Tagesziele und Hindernisse, die aus dem Weg zu räumen sind.
  • Das Ergebnis: Effizienzsteigerungen – und der Chef kann sich trotz der kleinen Mannschaft voll auf die Strategie konzentrieren, statt produktiv mitzuarbeiten.
  • Völlig schmerzlos ging es aber nicht, denn das neue Modell passt nicht für alle Gesellen: „In Krisenzeine muss ich auch genauer hingucken, wer wie arbeitet“, sagt Miesner.

Raus aus dem Hamsterrad – und durch die Krise

Einen großen Teil seines Arbeitslebens ist Norbert Miesner wohl ein ziemlich typischer Chef gewesen: der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Betriebs. Er traf alle Entscheidungen, große und kleine, und gab vor, was zu tun war – oft bis ins letzte Detail. Bis ihn ein guter Freund eines Abends warnte: „Norbert, du musst auf dich aufpassen.“ Miesner wusste sofort, worum es ging: „Ich habe mich immer mehr wie in einem Hamsterrad gefühlt“, erzählt der Schreinermeister. „Wir waren damals im Messebau tätig, da ist die Taktzahl extrem hoch und steigt durch die technischen und digitalen Möglichkeiten immer weiter.“

Am nächsten Tag übergab Miesner dem Team die Verantwortung für die Werkstatt seiner Kölner Schreinerei Mhoch3. Danach organisierte er zwei Segeltörns für seine Mannschaft, auf denen sie sich mit Organisation, Kommunikation und Zukunftsfragen beschäftigten.

Das war 2018 – und bis heute ist Miesner froh über seinen Kurswechsel: Nur so habe er wohl die Corona-Krise überstanden, die sein Messebau-Unternehmen 2020 hart getroffen hatte. „Wenn ich 2020 nicht gewusst hätte, dass ich mich auf mein Team verlassen und um neue Geschäftsfelder kümmern kann, hätte ich wahrscheinlich das Handtuch geworfen.“ Doch gestärkt durch die neue Arbeitsteilung zog er stattdessen neue Aufträge im Innen- und Möbelbau an Land. Und sicherte so den Erhalt des Betriebs.

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So übernimmt das Team Verantwortung

„Ich entscheide nicht mehr das operative Geschäft in der Werkstatt, das macht die Arbeitsvorbereitung zusammen mit dem Werkstattleiter“, berichtet Miesner. Für die beiden Gesellen sei das keine Umstellung gewesen, „im Gegenteil, die beiden sind ja schon in einer Zwitterposition zwischen Chef und Werkstattteam“. So setzen sich die drei morgens kurz zusammen und Miesner erfährt, ob er sich um irgendetwas kümmern muss. „Ich stehe hinter ihnen, sie müssen ja auch sehen, dass der Betrieb läuft.“

Verantwortung zählt auch bei jedem einzelnen Auftrag: Ein großes Board in der Werkstatt zeigt alle laufenden Aufträge, deren Arbeitsfortschritte und noch zu erledigende Aufgaben. An jedem Auftrag heftet ein Foto des verantwortlichen Gesellen, „damit die Zuständigkeiten allen klar sind“, betont der Chef.

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Mit Transparenz zu ständigen Verbesserungen

Das Board mit den Auftragsverantwortlichkeiten sei bei den Mitarbeitern anfangs nicht so gut angekommen, sie hätten es „Rechtfertigungsboard“ genannt, erinnert sich Miesner. Denn vor dem Board trifft sich das Team morgens zur Besprechung. Die wichtigsten Punkte: Habe ich mein Tagesziel gestern erreicht? Falls nicht: Was hat mich davon abgehalten? Und was möchte ich heute erreichen?

Miesner musste erst in vielen Gesprächen klarmachen, dass es bei dem Board nicht um Druck, Schuld oder Rechtfertigung geht. „Es geht darum, die eigene Arbeitskraft einzuschätzen, realistische Ziele zu setzen und Fehler und Engpässe zu finden, die uns an der Zielerreichung hindern.“ Wenn es zum Beispiel immer wieder zu Verzögerungen kommt, weil zu wenig Material bestellt wurde, eine Lackierpistole nicht sauber war oder eine Maschine nicht rund läuft, lasse sich das nur ändern, indem man darüber spricht. Und so manche Rückmeldung über Hindernisse auf dem Weg zum Ziel geht dann auch ganz direkt an den Chef: die Dinge, um die er sich kümmern muss, weil sie in seiner Verantwortung liegen.

„Wir werden immer besser durch gute Kommunikation und vorausschauendes Handeln“, sagt Miesner. „Da sind wir schon deutlich smarter in der Bewertung und Erreichung unserer Ziele geworden.“

Die Produktivität steigt – aber nicht bei allen

Dieser Mix aus Eigenverantwortung, schnellen Entscheidungen und ständigen Verbesserungen habe sich sofort positiv auf die Produktivität ausgewirkt: Durch die Effizienzsteigerungen schaffe das Team deutlich mehr – so dass Miesner nicht mehr selbst produktiv in der Werkstatt mitarbeiten muss.

Allerdings sei die Neuausrichtung nicht für jeden Mitarbeiter etwas gewesen: „Wenn man immer wieder auf den Arbeitsfortschritt und die Zeiten guckt, dann merkt man sehr schnell, wer effizient arbeitet und wer nicht.“ Die Folge: Als dem Betrieb 2020 das Messegeschäft wegbrach, trennte sich Miesner von einigen Kollegen. „Wenn die Aufträge stimmen und man im Messebau gut verdient, dann geht alles gut, aber in Krisenzeine muss ich auch genauer hingucken, wer wie arbeitet.“

Die personellen Veränderungen habe sein verbleibendes Team aus vier Gesellen und zwei Azubis gut überstanden. Auch weil Miesner Kapazitätsengpässe durch sein Netzwerk ausgleicht: „Ich arbeite eng mit zwei anderen Schreinereien zusammen und habe einen großen Pool an guten freien Mitarbeitern, selbstständigen Schreinergesellen, Monteuren und Helfern, auf die ich je nach Auftragslage zurückgreife.“

So sei sein Team „jetzt sehr gut unterwegs“. „Ich ernte jetzt ein bisschen, was ich alles reingesteckt habe. Das bekomme ich vom Team ganz gut zurückgespielt und das freut mich.“

Chefsache: Zukunftsfähigkeit

Natürlich sei das alles kein Selbstläufer, räumt der Firmenchef ein. „Ich muss schon dranbleiben und das Team manchmal anstupsen, damit es das Board und den ständigen Verbesserungsprozess konsequent nutzt.“

Doch im Großen und Ganzen sei er auf dem richtigen Weg. Wie im Hamsterrad fühle er sich jedenfalls nicht mehr, berichtet der 59-jährige. Im Gegenteil: Miesner kann sich auf die Aufgaben konzentrieren, die seinen Betrieb voranbringen. „Ich arbeite nicht mehr im, sondern am Betrieb“, sagt der Handwerker. Seine wichtigste Aufgabe sei die „Zukunftsfähigkeit“ des Unternehmens. Dafür entwickle er neue Projekte und Geschäftsfelder.

Eines dieser neuen Projekte – und vielleicht das wichtigste für die Unternehmenszukunft – sind Tiny Houses: kleine, individuell und ökologisch gefertigte und dennoch preiswerte Holzhäuser. „Bei uns können die Kunden frei wählen, von der Form über die Materialien bis zur Dämmung“, berichtet Miesner. Eng damit verbunden sei ein zweites Projekt: Multifunktionsmöbel für Tiny Houses als Serienfertigung in Kooperation mit einem Möbelhersteller. „Mir geht es darum, dass wir hier innovativ unterwegs sind und Lösungen entwickeln, die kein anderer hat. Da steckt viel Entwicklungsarbeit drin, aber das ist ein Geschäftsfeld mit Zukunft.“

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