Der Ukrainekrieg führt zu Materialausfällen im Handwerk. Wann es zu einer Besserung  kommt, ist nicht vorherzusagen.
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Der Ukrainekrieg führt zu Materialausfällen im Handwerk. Wann es zu einer Besserung  kommt, ist nicht vorherzusagen.

Inhaltsverzeichnis

Krieg in der Ukraine

Schwierige Verhandlungen: Zwischen Preisexplosion und Materialausfall

Ein Jahr Engpässe und Höchstpreise beim Material: Welche Vertragsklauseln haben sich bewährt und wie geht es für Handwerker und Kunden weiter?

  • Prognosen über die weitere Entwicklung von Preisen und Engpässen beim Material sind angesichts der politischen Lage unmöglich.
  • Doch Handwerker und Verbraucher haben sich darauf eingestellt und reagieren flexibel auf früher eher ungewohnte Absprachen wie freibleibende Angebote, Nachverhandlungsvereinbarungen und Preisgleitklauseln.
  • Dennoch sollten Handwerker bei Absprachen und Verträgen auf gute Kommunikation und eine ausgewogene Verteilung der Risiken durch steigende Preise achten.
  • Bewegung zeichnet sich nun auch bei den öffentlichen Aufträgen ab. Nur bei einem Thema bleiben die Auftraggeber stur: den Kraftstoffkosten.

Material bleibt knapp und die Preise explodieren. Vor einem Jahr hat die Juristin Cornelia Höltkemeier an dieser Stelle Tipps gegeben, wie Handwerker vertraglich richtig auf die Preissteigerungen reagieren. Wie gut das funktioniert und wie es jetzt weitergeht, verrät die Geschäftsführerin der Landesvereinigung Bauwirtschaft Niedersachsen im Interview.

„Prognosen sind derzeit unmöglich“

Ende 2021 hieß es noch, die Lage bei den Materialpreisen werde sich ab dem Sommer entspannen. Wie schätzen Sie die Situation angesichts des Kriegs in der Ukraine ein?

Cornelia Höltkemeier: Wir erhalten täglich neue Nachrichten, dass die Auswirkungen des Kriegs auf neue Teilbereiche übergreifen. Wir sprechen nicht mehr von einer Materialpreisexplosion, sondern oft von Materialausfall: Stahl fehlt, aber auch kleine Teile wie Schrauben, Leitungen oder Kunststoffklemmen. Klinkersteine sind schwer zu bekommen, weil die mit Gas gebrannt werden und Hersteller die Produktion aus Kostengründen drosseln. Man muss ganz klar sagen, dass im Moment Prognosen zur Besserung  schlicht nicht möglich sind.

Bedeutet ein Materialausfall nicht letztlich Baustopp?

Höltkemeier: Materialausfall bedeutet, dass ich im Moment nicht alles bestellen und einbauen kann, was ich vertraglich zugesagt habe. Das kann zu Baustopps führen. Derzeit sprechen wir aber vor allem von einer erheblichen Verlängerung der Ausführungsfristen. Dann bedeutet, dass Betriebe und Kunden extrem flexibel sein müssen.  

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Freibleibende Angebote: Kunden zeigen Verständnis

Lange Wartezeiten bis zur Ausführung waren schon vor dem Ukraine-Krieg ein Problem, jetzt dauert es noch länger. Wie reagieren die Kunden?

Höltkemeier:  Die Verbraucher zeigen oft sehr großes Verständnis: Wenn es das Wunschmaterial nicht gibt, sind manche Kunden offen für Alternativen, während andere lieber länger warten. Die Folgen des Kriegs sind angesichts der Medienberichte allgegenwärtig. Daher ist die offene Kommunikation der Botschaft leichter: Seriöse Handwerker können in dieser Lage oft keine verbindlichen Aussagen zur Ausführung und Fertigstellung machen. Wir haben besondere Zeiten und wenn sich beide Seiten darauf einstellen, kommen sie zu zufriedenstellenden Ergebnissen.

Vor einem Jahr haben Sie als eine Lösung freibleibende Angebote empfohlen: Wie funktioniert das angesichts immer längerer Wartezeiten bis zur Ausführung?

Höltkemeier: Freibleibende, unverbindliche Angebote sind eine Möglichkeit, wenn ein Handwerker den Auftrag zu einem bestimmten Termin übernehmen könnte, aber noch keine Aussage zu den dann geltenden Materialpreisen möglich ist. Handwerker und Kunde planen also den Auftrag zu einem bestimmten Termin. Der Vertrag kommt aber erst zustande, wenn der Kunde zum Zeitpunkt der Auftragsrealisierung sich ausdrücklich mit den dann geltenden Preisen einverstanden erklärt. Diese Erklärung ist dann das Angebot auf Vertragsschluss – das der Handwerker dann noch annehmen muss. Auch hier gilt: Gute Kommunikation ist die wichtigste Voraussetzung, damit Kunden sich darauf einlassen.

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Nachverhandlungsklauseln erleichtern den Ausstieg

Eine Alternative wäre eine Nachverhandlungsklausel im Vertrag: Was passiert, wenn ein Kunde Nachverhandlungen führt, aber einer Anpassung am Ende nicht zustimmt?

Höltkemeier: Zunächst einmal zum Vorteil dieser Klausel, die natürlich als Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) einzuordnen ist: Sie sieht Verhandlungen über eine angemessene Anpassung der Materialpreise vor, wenn die bei Vertragsabschluss vereinbarten Preise zum Lieferzeitpunkt einen vereinbarten Prozentsatz übersteigen oder unterschreiten. Weil hier also keine einseitige Verlagerung des Risikos auf den Kunden erfolgt, hält diese Klausel in der Regel auch der strengen AGB-Inhaltskontrolle stand.

Der Nachteil der Klausel: Was tun, wenn sich Kunden vertragswidrig einer Anpassung verweigern? Hier bleibt dem Handwerker dann nur die Vertragsaufkündigung wegen Vertragsverletzung.

Preisgleitklauseln muss Vertragsinhalt sein

Auch Preisgleitklauseln sind immer wieder ein Thema: eine automatische Anpassung der Materialpreise an den tatsächlichen Lieferpreis. Wie rechtssicher ist diese Lösung?

Höltkemeier: Eine Preisgleitklausel regelt bereits bei Vertragsschluss, dass Handwerker und Kunde alle Preissteigerungen für eine bestimmte Produktgruppe, die einen bestimmten Prozentsatz übersteigen, automatisch nach einem vereinbarten Schlüssel aufteilen.

Wichtig ist: Man muss die passende Klausel je nach Produkt wählen, man muss die Ausgangspreise offenlegen und es muss vereinbart sein, dass die Preisgleitklausel Bestandteil des Vertrages ist. Mein dringender Tipp: Die Preisgleitung nicht einfach als Beiblatt beifügen – sie muss Vertragsinhalt sein.

Handwerker können nicht alle Risiken ausschließen

Das klingt so, als ob freibleibende Angebote die Lösung mit den geringsten rechtlichen Problemen sind.

Höltkemeier: Das ist sicher richtig. Sie haben allerdings den Nachteil, dass es sich der Kunde kurz vor dem Starttermin noch anders überlegen kann, wenn ihm die Materialpreise zu hoch sind. Andererseits schützen sie Handwerker am besten vor der Gefahr, für hohe Materialpreissteigerungen alleine aufkommen zu müssen. Beides gleichzeitig lässt sich einfach nicht absichern. Handwerker können nicht alle unternehmerischen Risiken von vornherein ausschließen – das ist diesen Zeiten noch weniger möglich als unter normalen Umständen.

Bewegung bei öffentlichen Aufträgen

Bisher haben wir über Privatkunden gesprochen. Aber besondere Schwierigkeiten scheinen bei den öffentlichen Auftraggebern zu bestehen?

Höltkemeier: Hier gab es bisher zwei Problemfelder: Bei Neuabschlüssen können die dringend nötigen Preisgleitklauseln derzeit nur für einige Materialien vereinbart werden. Jetzt konnten wir auf Bundesebene erreichen, dass zu Ende März die Erlasse zu Lieferengpässen und Stoffpreisänderungen angepasst werden. Bisher fehlende Produktgruppen werden in Stoffpreisgleitklauseln aufgenommen.

Außerdem durfte bisher die Preisgleitung bei öffentlichen Aufträgen erst ab einer Auftragslaufzeit von 10 Monaten vereinbart werden – diese Frist wird auf einen Monat verkürzt. So können viele kurzlaufende Bauverträge in die Preisgleitung einbezogen werden.

Zudem ist bei bestehenden Verträgen eine Preisanpassung bisher nahezu unmöglich. Nun soll klargestellt werden, dass eine Störung der Geschäftsgrundlage konkret geprüft werden muss. Der Krieg wird nun grundsätzlich als eine solche Störung eingeordnet. Sobald zu den Möglichkeiten der Preisanpassung im Rahmen der Zumutbarkeit konkrete Informationen vorliegen, werden wir die Betriebe informieren.

Aber das bindet die Kommunen nicht. Deswegen sind wir auf Landesebene zu diesem Thema weiter im Austausch, damit die zuständigen Ministerien bei den Kommunen für einen fairen Lastenausgleich werben und ihnen Gleitpreise als probates Mittel empfehlen. Immerhin gilt gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A, dass den Betrieben kein Wagnis für Umstände und Ereignisse auferlegt werden darf, auf das sie keinen Einfluss haben und deren Einwirkung auf die Preise sie nicht im Voraus schätzen können.

Lösung für Dieselpreise im Straßenbau gesucht

Und wie sieht es mit den Kraftstoffpreisen im Straßen- und Hochbau aus?

Höltkemeier: Die Kosten für Kraftstoffe waren bisher als Betriebskosten nie Gegenstand von gesonderten Vereinbarungen. Aber die Explosion der Dieselpreise hat natürlich Konsequenzen für die Betriebe, insbesondere für den Einsatz von Maschinen und Baufahrzeugen. Hier muss etwas passieren. Wir brauchen eine Lösung, die das angemessen auffängt. Entweder über Preisgleitklauseln, zumindest aber über steuerliche Erleichterungen für einen „Betriebsdiesel“.

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