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Foto: handwerk.com

Trotz Familie

Arbeitspensum: Das wird schon klappen

Kleine Kinder, Arbeit, Freizeit: Wie stemmen Handwerker und ihre Familien den Wahnsinn des Alltags? Ein Recherchebericht mit Hindernissen.

Es ist 1 Uhr. Und zum ersten Mal an diesem Tag frage ich mich, ob die Entscheidung für Kinder eine gute Entscheidung war. Wenn ich aus der Tiefschlafphase gerissen werde, sind die Gedanken noch freier als üblich. Lennard hat Durst, ich bringe ihm Wasser. Weiterschlafen.

4 Uhr. Maurits, der andere Zwilling, hat schlecht geträumt. Ich stelle mich schlafend, meine Frau geht ins Kinderzimmer und tröstet ihn.

8 Uhr 15. Ich fahre die Jungs mit dem Fahrrad zum Kindergarten. Dass Maurits leichten Durchfall hat, verschweige ich besser. Wird schon nicht so schlimm sein. Eine Erzieherin ist genervt, weil ich vergessen habe, dass Lennards Gruppe heute picknicken geht. Schnell zum Bäcker und das Nötigste kaufen.

9 Uhr 10. Mein Bürotelefon klingelt. Am liebsten würde ich mich wieder schlafend stellen – die Freiheit des freien Journalisten. Ich hebe dann doch ab. Die Chefredakteurin der Fachzeitung Norddeutsches Handwerk kündigt eine Spezialausgabe ihres Blattes an, lauter Beiträge zum Thema Familie. Ob ich nicht eine Idee hätte. Ich schlage eine Reportage über einen Handwerker vor, der Kind und Betrieb schaukelt. Abgemacht.

Von Handwerksmeistern mit Firma, Kindern und gaaanz wenig Zeit lesen Sie auf der nächsten Seite.

10 Uhr. Telefonrecherche: Ein Bäckermeister hat drei Kinder, das jüngste ist zwei, das älteste fünf Jahre alt. Bei seinem Beruf kann er immerhin gleich weiterarbeiten, wenn seine Kinder ihn nachts aus dem Schlaf holen ;-). Ich frage ihn, ob ich ihn durch seinen Alltag zwischen Selbstständigkeit und Wickeltisch begleiten darf. „Ich weiß nicht“, sagt er, „eigentlich habe ich für so etwas keine Zeit. Ich habe ja kaum für meine Kinder Zeit.“ Aber ich könne nachher mit seiner Frau sprechen, die würde im Betrieb sowieso fast alles organisieren. Aha.

10.30 Uhr. Anruf bei einem Maurermeister mit zwei Kindern. Hat auch keine Zeit. Das wird nicht einfach.

11 Uhr. Die Leiterin des Kindergartens ruft an. Maurits hat üblen Durchfall. Sie holt zur Beschreibung aus. Gerne würde ich ihr sagen, dass sie für solche Situationen doch ausgebildet ist und damit schon klarkommen wird: „Au weia, ich hole ihn gleich ab.“

11.15 Uhr. Maurits sitzt in seiner Kindergarten-Gruppe und strahlt mich an. „Könnte ja ansteckend sein“, sagt die Erzieherin.

12 Uhr. Ich muss für handwerk.com noch einen Text über das Image von Handwerkern im Fernsehen schreiben, das ZDF bemüht in einer Vorabendserie mal wieder das Klischee des unpünktlichen und unleidlichen Handwerkers. Ob das auch Familienväter sind? Maurits sitzt unter meinem Schreibtisch und … drückt auf den Schalter der Steckdosenleiste. Der Computer geht aus. Den Text schreibe ich wohl besser heute Abend. Ich bin sowieso mit dem Elektromeister Richard Schildgen verabredet. „Maurits, wir drehen gleich ein Video bei einem Handwerker. Ich nehme Dich mit, aber da musst Du gaaanz lieb sein.“ Maurits nickt. Ob so ein Elektrobetrieb mit Kindersicherungen ausgestattet ist? Und was koche ich eigentlich einem Dreijährigen mit Durchfall?

Von einer zupackenden Unternehmerfrau, die freie Zeit für Kinder Luxus nennt, lesen Sie auf Seite 3.

14 Uhr. Zwieback, heißes Wasser, etwas Zucker, geriebener Apfel – ein Ratschlag der Oma. Also mir hat das nicht geschmeckt. Und Maurits auch nicht. Während ich Richard Schildgen filme, spielt Maurits mit dem Werkstatthund, einem jungen Boxer. Nettes Tier. Hoffentlich können sich Hunde nicht bei Kindern anstecken. Schildgen hat Maurits gleich zur Begrüßung zwei Taschenlampen geschenkt: „Eine für Dich, eine für Deinen Bruder.“ Der Mann kennt sich nicht nur in seinem Gewerk aus.

15.30 Uhr. Maurits ist unleidlich, weil ich noch zwei Außenaufnahmen von Schildgens Werkstatt drehen will. „Magst Du nicht einmal durchs Bild laufen? Das sieht bestimmt toll aus!“ Seine Antwort: „Mir ist kalt.“ Ob ich ihn zu dünn angezogen habe?

16 Uhr. Wieder im Kindergarten. Lennard ist sauer. Maurits durfte mit mir durch die Gegend fahren und er nicht. Dass es Zuhause nur Zwieback mit heißem Wasser und geriebenem Apfel gibt, wird ihm auch nicht schmecken.

16.40 Uhr. Wir hocken neben einer Pfütze, spielen Angeln und fangen jede Menge Fische. Die Entscheidung für Kinder war die beste Entscheidung überhaupt.

17.30 Uhr. Die Unternehmerfrau mit den drei kleinen Kindern ruft an. Prinzipiell sei das mit der Alltagsreportage eine gute Idee, aber in den nächsten drei Wochen: „Ganz schwierig, 1000 Termine.“ Und dann sagt sie einen bemerkenswerten Satz: „Freie Zeit für Kinder ist ein Luxus. Ein schöner Luxus. Den muss man sich gönnen, jeden Tag.“

18.10 Uhr. Die Chefredakteurin fragt, ob ich schon weitergekommen sei. Schon, also, na ja, wenn Maurits nicht, ach: „Das wird schon klappen mit dem Text für die Familien-Ausgabe.“

Am Ende dieses Textes fehlt noch die Hauptperson: Ein Handwerker, der seinen Laden und seinen Nachwuchs gut unter einen Hut bringt. Und der außerdem Lust auf einen Reportagetermin hätte. Würden Sie, können Sie aushelfen? Dann schreiben Sie an siefken@handwerk.com!

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