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My-Hammer

Aufträge in Absurdistan

Meisterbrief: gekauft. Gewerbeanmeldung: ungültig. Versicherungsnachweis: unleserlich. Mit solchen Unterlagen hat sich Rainer Retlow bei My-Hammer und anderen Auftragsportalen registriert. Und Absurdes erlebt.

Hannover, ein Internetcafé. Besser von hier aus, sagt er. "Mit der IP-Adresse des Cafés können sie nicht viel anfangen." Retlow kennt sich aus hier. Er sagt, er habe es immer nur in solchen Cafés getan. Der Mann ist kein Computerhacker. Er heißt auch nicht Retlow. Im normalen Leben ist er Handwerksmeister. Und er wäre jetzt in seiner kleinen Werkstatt, würde ihn der Gedanke an diese Internetportale nicht so umtreiben.

My-Hammer, Quotatis, Blauarbeit, Undertool. Diese Namen gehen ihm nicht mehr aus dem Kopf. Alle vier Portale verheißen Handwerkern neue Kunden und Kunden saubere Arbeit zu gutem Preis. Mit zweien hat der Untenehmer Retlow schlechte Erfahrungen gemacht. So schlechte, dass der Privatmann Retlow sich in alle hineingemogelt hat. Er hat dies nicht getan, um Schaden anzurichten, sondern um Schwachstellen aufzuzeigen. Hier, zwischen chattenden Teenagern und Erwachsenen, die in fremden Sprachen in Telefonhörer schreien, lässt er sich über die Schulter schauen.

Der Bildschirm leuchtet orange und blau. Es sind Farben von My-Hammer, nach eigener Aussage die Nummer eins in dem Geschäft. Die Betreiber der Website haben vor Kurzem den Deutschen Internetpreis erhalten. Retlow nippt an einer Tasse Tee. Dann loggt er sich ein. "Hallo D.", begrüßt ihn My-Hammer. D.? "Für die bin ich Herr D. und Kfz-Mechaniker", sagt der Mittvierziger. Er zieht einen Kfz-Meisterbrief aus den frühen 70er Jahren aus seiner Aktenmappe. "Ein Schnäppchen, leicht zu bekommen", erklärt er. Zum Beweis zeigt er die Kaufpapiere. Preis für den Brief: 1,50 Euro.

Das Schnäppchen hat Retlow als pdf-Dokument auf der Website hochgeladen. Zusammen mit einer so gut wie unleserlichen Anleitung zum Einbau von Trabbi-Rücksitzgurten als Versicherungsnachweis. Plus dem Vordruck einer Gewerbeanmeldung für Dachdeckerarbeiten, die Montage von Möbeln und Hausmeisterdienste. Auf dem Vordruck beantwortet Retlow alias D. auch die Frage nach der Handwerkerkarte. In großen Buchstaben steht da: "noch nicht erteilt". Der "Dokumenten-Dienst" von My-Hammer hat die Unterlagen "akzeptiert".

D. firmiert in dem Portal für jedermann ersichtlich als Inhaber einer Ein-Mann-Firma mit Eintrag in die Handwerksrolle. Und er äußert den Wunsch, in allerlei Gewerken tätig sein zu wollen. Retlow öffnet ein E-Mail-Postfach, das er bei einem einschlägigen Provider angelegt hat. D.s Wunsch ist My-Hammer offenbar Befehl. Fast täglich treffen Anfragen von Kunden ein: Treppenhaus renovieren, Parkett verlegen, Heizung reparieren, Solaranlage installieren "die Auftraggeber freuen sich auf Ihre Angebote", schreibt My-Hammer in jeder Mail.

Otto Richter als Referenz

Einmal hat D. ein Angebot abgegeben. Der Auftrag: Ausbau eines Dachbodens. Er ist nicht der einzige Bieter gewesen. Keiner der anderen hat sich beschwert, dass ein Kfz-Meister mitmischt.

Keinen Anstoß erregt hat auch D.s Selbstdarstellung auf der Website. My-Hammer empfiehlt Handwerkern, spezielle Qualifikationen zu beschreiben und Referenzen zu präsentieren. Retlows Eindruck: "Da könnte jeder behaupten, er arbeitet für den Handwerkspräsidenten." Zu den Referenzen, mit denen D. seit Wochen wirbt, gehören etwa Otto Richter, bei dem "schwarz gestrichen" worden ist, und die "Schlankenpreis GmbH".

Zurückgewiesen hat My-Hammer D.s Personalausweis, den Retlow zehn Tage nach der Anmeldung auf der Website hochgeladen hat. Das Dokument weist D. als Bürger der "Bunten Republik Deutschland" aus. Das Passfoto zeigt das Gesicht des Vorstandsvorsitzenden der My-Hammer AG. Nur Bart und Brille gehören nicht zu Markus Berger-de León. D.s Account ist danach nicht gesperrt worden.

Ohne D.s Namen zu nennen, hat handwerk.com My-Hammer gefragt, wie es sein kann, dass unzureichende Unterlagen wie ein solcher Gewerbeschein durchgehen. "Unser Service prüft jeden Tag mehr als 200 solcher Dokumente", antwortet Unternehmenssprecher Niels Genzmer. Und er will wissen, um welchen Nutzer es sich handelt, "sodass wir alle Daten prüfen können, die uns vorgelegt wurden". Grundsätzlich werde "bei den benötigten Dokumenten und Nachweisen in Abhängigkeit von der jeweiligen Einstufung des Handwerkers oder Dienstleisters unterschieden". Genzmer stellt klar, dass My-Hammer auch Nutzer hat, die keinen Gewerbeschein benötigen. Als Beispiel führt er Schüler und Studenten an, die als Babysitter jobben.

Auch sieht das Unternehmen die Auftraggeber in der Verantwortung. My-Hammer rate allen, sich vor der Vergabe des Auftrags, spätestens aber vor Arbeitsbeginn, die erforderlichen Dokumente zeigen zu lassen, teilt der Pressesprecher mit.

Stellt sich die Frage nach D.s Gewerk ohne Grenzen. Warum kann sich ein Kfz-Betrieb um einen Auftrag bewerben, der Zimmermannsarbeit ist? Genzmer verweist auf die Grenzen der Technik. "Es wäre schlicht unmöglich, technisch nach Gewerken so zu trennen, dass nur ,berechtigte' Handwerker auf einen einzelnen Auftrag bieten können." Würden Riegel vorgeschoben, kämen unweigerlich auch berechtigte Kollegen nicht mehr zum Zug, sagt Genzmer und betont: "Den neuen Herd darf nur ein Elektromeister anschließen; er wird aber kaum die gesamte neue Küche einbauen der Auftraggeber wird es aber in der Regel als einen Auftrag behandeln."

Gute Noten für schwarze Schafe?

My-Hammer vertritt die Aufassung, ein "sehr wirksamer Mechanismus" verhindere Verstöße gegen die Handwerksordnung. Die Plattform sei so konstruiert, dass die Vergabe von Aufträgen "voll transparent und für jeden kontrollierbar ist", heißt es. Das habe eine abschreckende Wirkung. Wer sich nicht an Regeln halte, tue dies vor der Öffentlichkeit des Internets. Nutzer und Handwerkskammern machten von der Transparenz regen Gebrauch, versichert Genzmer. Auf Beschwerden reagiere man prompt.

Vertrauen in das Portal zeigt Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, Schirmherr des Deutschen Internetpreises und gelernter Handwerksmeister. Die My-Hammer AG habe Vorkehrungen getroffen, um einen Missbrauch der Plattform "weitestgehend zu verhindern", teilt eine Sprecherin des Ministers auf Nachfrage von handwerk.com mit. Dabei hebt sie das Online-Forum hervor, in dem Kunden Handwerker beurteilen können.

Retlow zeigt einen aktuellen Screenshot, der die Frage aufwirft, inwieweit dieses Forum zur Einhaltung der Handwerksordnung beiträgt. Auf der Webseite präsentiert sich eine Firma aus Nordrhein-Westfalen als "Allround Handwerksunternehmen" in mehreren zulassungspflichtigen Gewerken. Laut My-Hammer-Website ist es weder in die Handwerksrolle eingetragen noch in das Verzeichnis der zulassungsfreien Gewerke oder das der handwerksähnlichen Betriebe. Auch die Frage nach der Betriebshaftpflichtversicherung ist mit Nein beantwortet. Zwei "Auftraggeber" haben das Unternehmen mit "100 Prozent positiv" bewertet. handwerk.com hat festgestellt, dass der Name des Geschäftsführers dieses Unternehmens in Polizeiakten im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen Betrugs und Wuchers auftaucht.

Quotatis: Schriller Auftragsalarm

Mit denselben pdf-Dokumenten ist der Handwerksmeister bei Quotatis vorstellig geworden. "Vielen Dank für Ihre Unterlagen. Sie sind bei uns unter der Kundennummer XXXX* registriert", hat das Service-Team geantwortet. D. ist Abonnent des "Basic-Pakets". Quotatis verspricht ihm so viele Anfragen, wie er will, und signalisiert ihm mitunter mehrmals am Tag per E-Mail "Auftragsalarm. Fundamente, Fenster, Dächer, Möbel, Elektrogeräte das Service-Team hält D. anscheinend für einen Generalunternehmer.

Drei Anfragen hat er sich schicken lassen. Darin teilt ihm Quotatis Namen, Adressen und Telefonnummern der Kunden mit und fügt hinzu: "Entsprechend unserer Qualitätsvereinbarung würden wir uns freuen, wenn Sie schnell Kontakt mit dem Kunden aufnehmen." Zwei der Anfragen hat ihm das Portal in Rechnung gestellt. D. muss mit einer Mahnung rechnen, da die Abbuchung von seinem Konto bei der "Bundesbank" sicher scheitern wird.

"Es nimmt eine gewisse Zeit in Anspruch, die Unterlagen von Handwerkern zu prüfen", sagt Quotatis-Sprecherin Frauke Ganswind und spricht von "ein bis zwei Wochen". Retlows Anmeldung liegt deutlich länger zurück. "Handwerker, die sich online anmelden, interessieren sich oft gleich für einen konkreten Auftrag. Wir wollen ihnen die Chance geben, den Zuschlag zu bekommen", erklärt Ganswind. Anders als Retlow meldeten sich die meisten per Fax oder auf dem Postweg an. Jeder bestätige schriftlich, dass er sich nur um Aufträge bemüht, für die er zugelassen ist.

Die Sprecherin zieht einen Vergleich zu Inseraten in Branchenbüchern: "Da findet keinerlei Kontrolle statt, ob der Handwerker die Arbeiten, die er anbietet, auch machen darf. Wir sind weiter." Ganswind räumt ein, dass Quotatis nicht die Kompetenz hat, "um in jedem Fall zu beurteilen, welche Grenzen dem Handwerker gesetzt sind". Und sie fragt sich, "weshalb Innungen und Verbände mit uns nicht kooperieren", um Verstößen gegen die Handwerksordnung vorzubeugen".

* Nummer der Redaktion bekannt

Blauarbeit: Mit Inkasso-Partner

Auf Blauarbeit angesprochen, seufzt Retlow. Ohne den Blick zu senken, klopft er die Internetadresse und seine Zugangsdaten in die Tasten. D. ist mit der "AllesausDaams GmbH i.G." eingetragen, die "alle" Branchen abdeckt. Unter "Über uns" findet sich das Firmenprofil: "Auch Elektroarbeiten und Gasthermenwartungen sind kein Problem. Habe Praktikanten und Lehrlinge, die Erfahrungen sammeln möchten", heißt es darin. Es folgt ein Lebenslauf, dem zu entnehmen ist, dass D. seinen Meisterbrief käuflich erworben hat.

Im Gegensatz zu My-Hammer und Quotatis bietet Blauarbeit keine Möglichkeit, den Meisterbrief hochzuladen. Vier Tage nach der Anmeldung hat Blauarbeit gemailt: "Leider konnten wir noch keinen Fax-Eingang mit Ihren Dokumenten feststellen. Als "Basic Kunde" erlange er das "blauarbeit.de-Zertifikat", wenn er Brief, Gewerbeschein und weitere Unterlagen einreiche. Das Zertifikat eröffne ihm Zugang zu allen Aufträgen. Von D. ist kein Fax gekommen. Blauarbeit stößt sich daran nicht. Das Portal leitet Kundenanfragen an ihn weiter. D. kann nach Lust und Laune mal den Klempner, Elektriker, Dachdecker, mal einen anderen Experten spielen und Gebote abgeben.

Schneller als die Nachfrage nach dem Meisterbrief ist die erste Rechnung gekommen. Einen Tag nach der Registrierung hat Blauarbeit angekündigt, die Nutzungsgebühr für ein halbes Jahr vom Konto abzubuchen. Summa summarum: 178,43 Euro. "In der Mahnung, die sie einen Monat später geschickt haben, weisen sie auf ihren Inkasso-Partner hin", berichtet Retlow.

Ramin Ziai, der Geschäftsführer von Blauarbeit, betont gegenüber handwerk.com, dass das Auftragsportal "keine reine Handwerkerbörse" sei. Es gebe eine Vielzahl anderweitiger Dienstleistungsgesuche. "Umzüge, Babysitting, Reinigungsarbeiten und Eventveranstaltungen", zählt er als Beispiele auf. Die Website vergleicht er mit einem Kleinanzeigenmarkt. "Ein Qualifikationsnachweis für alle unterschiedlichen Gewerke, als Voraussetzung für die Einrichtung eines Kontos, wäre daher weder praktikabel noch sinnvoll", sagt er.

Auch wenn Blauarbeit keine Qualifikationsnachweise verlangt "mehr als 70 Prozent" der Nutzer haben sie laut Ziai eingereicht. Diese Nutzer seien entsprechend gekennzeichnet. Maßgebend bei der Auftragsvergabe sei die Arbeitsqualität, nicht der Preis, sagt der Chef. Für Transparenz sorge ein Qualitätsindex, der "Dienstleister nach der Arbeitsgüte" einstuft.

Damit dubiose Bieter nicht zum Zug kommen, kontrolliert Blauarbeit nach eigenen Angaben regelmäßig die Webseiten und geht Hinweisen von Nutzern nach. Was den Kontrolleuren entgangen ist: Mit der simplen Botschaft "Biete Ihnen qualifizierte Arbeit, bin Meister" hätte D. beinahe einen Kunden gewonnen - Retlow hat einen Rückzieher gemacht.

Undertool: Prüfung nach Vergabe

Keine Minute ist nach der Anmeldung vergangen: Um "eine seriöse Plattform bieten zu können", überprüfen wir die Daten (Adresse, Telefonnummer) aller neu registrierten Benutzer", hat Undertool D. per Mail informiert. Wer unvollständige oder falsche Angaben mache, dessen Zugang werde gesperrt, ist zu lesen.

Als D. im Internetcafe unter "Mein Undertool" nachsieht, ist noch gut zu erkennen, welche Aufträge er vor Wochen absichtlich nicht gewonnen hat: "Wartung von sechs Gasdurchlauferhitzern und eines Heizkessels" und Bau eines "Carports mit begehbarem Dach als Balkon". Geboten hat er, wie Retlow versichert, ohne irgendwelche Nachweise vorgelegt zu haben.

Undertool erklärt, D. hätte keine Chance gehabt, die Aufträge zu gewinnen: Man überprüfe nach erfolgreicher Vermittlung in den Kategorien für gefahrengeneigte Tätigkeiten, ob die Angebote der Handwerksordnung genügen, sagt Pressesprecher Günay Sahin. Nicht regelkonforme Angebote würden "ersatzlos gestrichen".

Das Portal stellt Auftragnehmer je nach eingereichten Unterlagen auf eine von fünf "Stufen". Wer auf die höchste wolle, müsse "Meisterbrief, Gewerbeschein, Versicherungsnachweis plus steuerliche und sozialrechtliche Unbedenklichkeitserklärung" vorweisen, sagt Günay. Für "Newcomer" reiche die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer oder Steuernummer. Auftraggeber könnten vorgeben, auf welcher Stufe Bieter stehen müssen.

Dass D. offensichtlich als "Newcomer" nicht von der Plattform geflogen ist, deutet auf eine Schwachstelle in der Programmierung hin: Diese Daten werden automatisch gecheckt, verrät der Pressesprecher.

Fazit?

Drei Stunden sind vergangen, seit sich Retlow im Café in das erste Portal eingeloggt hat. Wie viele er insgesamt schon in seine Nachforschungen gesteckt hat, weiß er nicht. Es müssen Dutzende sein. Seine Mappe ist prallvoll mit Screenshots und Aufzeichnungen. Warum all das? "Ich bin in den Portalen brutal unterboten worden, dabei arbeite ich schon im unteren Preissegment", erzählt er. Eines Tages habe er bemerkt, dass "Handwerkeraufträge auf kurzem Weg an Hausmeister und Nachbarschaftshilfen" vergeben worden sind.

Was er von den Portalen fordert: "Sobald jemand in einer Sache Meister geworden ist, sollte er in einer neuen Sache Schüler werden", zitiert Rainer Retlow Gerhart Hauptmann. Ob die Betreiber dazulernen?

Manfred Fischer

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