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Märchenstunde im Spiegel

Das Magazin und die Wut auf die Windmasten

In einem Artikel des Spiegels: Übertreibungen, Fehleinschätzungen, Falschaussagen. Das Magazin hat sich mal wieder die Windkraft vorgeknöpft – und wir haben uns den Text genau angesehen.

Der Grundtenor in der aktuellen Spiegel-Ausgabe: Die Bundesrepublik soll mit Windmasten regelrecht zugepflastert werden. „Deutschland dreht durch.“ Die Bundesländer haben jede Verhältnismäßigkeit verloren. Jetzt sollen die Bürger Sturm gegen den Wildwuchs laufen. Doch wie viel ist dran am großen Windwahn?

Denny Gille ist Redakteur des Fachmagazins Erneuerbare Energien. Er hat den Spiegel-Artikel gelesen – und krasse Fehler entdeckt.

Fehler Nummer 1: Der Spiegel und die falschen Zahlen – lesen Sie Seite 2.

Neue Schätzung mit alten Zahlen

Fehler Nummer 1: „Bis zu 60.000 neue Windkraftanlagen sollen in Deutschland errichtet werden“, schreibt der Spiegel. Weit gefehlt: Zwar will die Bundesregierung bis 2050 eine Windleistung von 85.000 Megawatt am Netz haben, dafür wären aber höchstens mit der Technik der neunziger Jahre so viele Windmasten nötig. Heute würden 35.000 Anlagen genügen.

Zudem wird knapp ein Drittel der Leistung auf Großanlagen in Nord- und Ostsee verteilt. Damit lichtet sich der benötigte Rotorenwald an Land auf 25.500 Windräder. Zum Vergleich: Heute sind es 23.000. Die müssen bis 2050 zwar mindestens einmal ersetzt werden, viel mehr zusätzliche Rotoren sind aber nicht nötig.

Nächste Seite: Fehler Nummer 2 – das Schauermärchen vom Wildwuchs.

Wildwuchs? Das Gegenteil sorgt Experten

Noch mehr als die Ziele der Bundesregierung ängstigen die Länderziele den Spiegel. Die Regierung wolle bis 2020 ja nur 35 Prozent Ökostrom. Die Länder aber hätten „in ihrem Übereifer“ schon so viele Flächen ausgewiesen, dass der Ökostromanteil in sieben Jahren auf 80 Prozent klettern kann.

Fehler Nummer 2: Diese angeblichen Ausbauziele beruhen zu großen Teilen auf Potenzialstudien und Energiekonzepten der Bundesländer. Deren Ziel ist es, Möglichkeiten zu zeigen. Realisiert wird das noch lange nicht.

Beispiel Bayern: Im neuerdings so windfreundlichen Süden der Republik soll die Leistung von aktuell rund 900 Megawatt auf bald vier Gigawatt klettern. Doch Landeschef Seehofer rudert schon kräftig zurück: Bayern und Sachsen wollen die Abstände von Windturbinen zur Wohnbebauung mit Anträgen im Bundesrat drastisch erhöhen. Die zehnfache Anlagenhöhe soll als Kriterium gelten. „Das sind Abstände von 1,5 bis zwei Kilometer zum nächsten Haus. Damit würden fast gar keine Windturbinen mehr gebaut werden können“, sagt Matthias Hochstätter, Sprecher des Bundesverbands Windenergie.

„Richtig ist, dass Wildwuchs herrscht“, behauptet der Spiegel. Dabei gilt es eher umgekehrt, aufzupassen, dass nicht zu wenig ausgebaut wird. Der Bundesverband Windenergie geht auch künftig von knapp zwei Gigawatt Jahreszubau an Land aus.

Fehler Nummer 3: Der Spiegel und die fürchterliche Zukunft der Vögel.

Die Störche und die brutalen Windräder

Gefährdet der Zuwachs an Windrädern ganze Vogelarten? Glaubt man dem Ornithologen Jörg Lippert im Spiegelartikel, „düsen“ Störche voll in die Rotoren hinein und der Rotmilan hat eine „fürchterliche Zukunft“. Neue Studien der Vogelschützer sollen die angebliche Brutalität der Windräder belegen. Benannt werden die jedoch nicht.

Fehler Nummer 3: Ältere, dafür belastbare Daten sagen etwas anderes: Laut Gutachten Artenhilfskonzept Rotmilan, das im Auftrag mehrerer Bundesländer erstellt wurde, ist der Bestand des geschützten Raubvogels seit Ende der 90er Jahre stabil. Doch erst ab da wurden überhaupt Windparks im großen Umfang errichtet. Und der Weißstorch? Im turbinenreichen Niedersachsen hat der Naturschutzbund Nabu zuletzt 2008 nachgezählt. Da wurden 440 Brutpaare gesichtet – so viele wie seit 1981 nicht mehr.

Zum guten Schluss: Ein Dutzend Fehler, wo bleiben die wichtigen Fragen?

Welche Alternative haben wir eigentlich?

Insgesamt finden sich leicht ein Dutzend Übertreibungen, Fehleinschätzungen und Falschaussagen in dem fünfseitigen Werk des Spiegels. Einige interessante Fragen dagegen fehlen. Zum Beispiel: Welche Alternative haben wir zu den Erneuerbaren Energien?

Täglich werden weltweit fast eine Milliarde Liter Öl aus der Erde gepumpt. Irgendwann ist der Öltropf versiegt und die Energiekosten werden explodieren. Wind und Sonne sichern die energetische Zukunft. Zu 100 oder nur 80 Prozent könnte der fluktuierende Grünstrom zurzeit freilich nicht den Strom im Netz stellen – die starken Schwankungen würden es zusammenbrechen lassen.

Doch bei der Lösung dieser Aufgabe machen Wissenschaft und Industrie mit Speichertechniken und intelligenten Netzen schon heute große Fortschritte. Und wie Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, muss auch die Energiewende nicht in nur zwanzig Jahren abgeschlossen sein.

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